Europa führt wieder wesentlich mehr Waffen ein als noch vor sechs Jahren. Genauer gesagt sind die Importe um 47 Prozent gestiegen, bei Nato-Mitgliedern sogar um 65 Prozent, wobei die meisten Waffen nach Großbritannien, in die Ukraine und nach Norwegen geliefert wurden. Diese und andere Fakten zu internationalen Waffenlieferungen hat das Stockholm International Peace Research Institute - kurz Sipri - in seinem jährlichen Bericht zu dem Thema zusammengetragen, der im Kontext des Krieges in der Ukraine gerade besonders relevant und aufschlussreich ist. Letzteres allerdings teilweise unfreiwillig, denn man merkt dem Bericht den schwierigen Umgang mit dem Epochenbruch an, den der russische Angriffskrieg in der Ukraine darstellt.
So meldeten einige Nachrichtenagenturen am Montag ausgehend von dem Bericht, der weltweite Handel mit Waffen habe abgenommen. Tatsächlich ist für die zurückliegenden Jahre aber das Gegenteil der Fall, wie auch aus den Daten des Instituts hervorgeht. Der statistische Rückgang kommt daher, dass der Bericht immer Zeiträume von fünf Jahren miteinander vergleicht. Im Vergleich zu den Jahren 2013 bis 2017 ist der Waffenhandel von 2018 bis 2022 deshalb statistisch um 5,1 Prozent zurückgegangen, obwohl er aber schon ab der Mitte dieses erfassten Zeitraums schon wieder stark angestiegen ist, was laut Sipri auch gar nicht nur auf den Krieg in der Ukraine zurückzuführen ist. Schon dieses Detail zeigt, wie disruptiv sich der russische Angriff auf die internationale Sicherheitspolitik ausgewirkt hat, auch wenn sich das erst in ein paar Jahren deutlicher in der Statistik abzeichnen wird.
Deutschland hat seine Ausfuhren seit 2018 um ein Drittel verringert
Aufschlussreich für das Verständnis internationaler Konflikte und solcher, die möglicherweise noch drohen, sind die Zahlen des Berichts aber trotzdem schon jetzt. So stammen mehr als drei Viertel der gesamten exportierten Waffen aus nur fünf Ländern: Aus den USA, Russland, Frankreich, China und Deutschland, und das, obwohl Russland und Deutschland ihre Ausfuhren zwischen 2018 und 2022 um etwa ein Drittel reduziert haben. Frankreich steigerte seine Exporte dafür um 44 Prozent auf mehr als ein Zehntel des gesamten globalen Volumens. Auch andere Länder wie Südkorea, die Türkei, Australien, Polen und Belgien führten teils deutlich mehr Waffen aus als im Vergleichszeitraum 2013 bis 2017. Mit einem Anteil von 40 Prozent wird der Handel von Rüstungsgütern aber mit großem Abstand von den USA dominiert.
Der Großteil der Waffen ging dabei gar nicht in die Ukraine, die Lieferungen an Kiew machen nur zwei Prozent des globalen Volumens aus, was gleichzeitig aber eine Steigerung um 8631 Prozent im Vergleich zu den vorherigen fünf Jahren bedeutet. Die meisten Rüstungsgüter für die Ukraine kommen aus den USA, Polen und Deutschland.
Global betrachtet sind die größten Waffenimporteure Indien mit elf Prozent Anteil am Gesamtvolumen, Saudi-Arabien mit 9,6 Prozent und Katar mit 6,4 Prozent. Die Ukraine liegt auf Platz 14. Stark gesteigert haben ihre Importe unter anderem auch Japan, Norwegen und die Niederlande. Letztere haben sie mehr als verdreifacht. Auch die Nato als Organisation hat zusätzlich zu den Anschaffungen der einzelnen Mitgliedsstaaten ihre Rüstungskäufe um 2700 Prozent auf 0,7 Prozent des globalen Gesamtvolumens erhöht.
Russland führt kaum Waffen aus - es braucht sie für den Krieg
Würde man nur das Jahr 2022 betrachten, stünde die Ukraine auf Platz drei der Importliste. Die Ukraine ist allerdings auch in anderer Hinsicht ein Ausreißer, denn streng genommen wurden die Waffen, im Gegensatz zu den meisten anderen Lieferungen in der Statistik, nicht an die Ukraine verkauft. Außerdem stammen sie meistens aus alten Beständen und wurden nicht eigens für die Lieferungen produziert.
Russland hat dagegen zuletzt kaum Waffen importiert, da die meisten Rüstungsgüter im Land selbst hergestellt werden, und auch die eigenen Exporte um ein Drittel reduziert, was zum einen daran liegt, dass die Güter im Krieg in der Ukraine gebraucht werden, zum anderen aber auch an abgesagten Bestellungen, unter anderen von Ägypten. Anhand der derzeit noch ausstehenden Waffenbestellungen gehen die Experten von Sipri davon aus, dass die russischen Exporte in den kommenden Jahren weiter zurückgehen werden.
Alle Nachrichten im Überblick:SZ am Morgen & Abend Newsletter
Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.
Als die Weltregion, in der die meisten Waffen importiert wurden, identifiziert der Bericht indessen nicht Europa, sondern Asien und Ozeanien. 41 Prozent der weltweit gelieferten Waffen würden in dieser Region landen, neben Indien vor allem in Australien, Südkorea, China, Japan und Pakistan, was der Bericht in erster Linie auf die Bedrohung durch Nordkorea und die Gebietsansprüche Pekings im Südchinesischen Meer zurückführt. Trotz eines deutlichen Rückgangs der Importe bedeutet das laut dem Bericht eine Fortsetzung des Trends zur Aufrüstung in Asien und im indopazifischen Raum. Denn die Rückgänge seien darauf zurückzuführen, dass die Streitkräfte erst noch vorherige Lieferungen integrieren würden, was an der Statistik aber natürlich nicht erkennbar ist.