Waffenexporte:Schändliche Bilanz

Deutschland muss herunter vom vierten Platz als globaler Rüstungslieferant. Der Streit mit Frankreich um eine gemeinsame europäische Militärpolitik bietet die Gelegenheit, die Wende einzuleiten.

Von Georg Mascolo

Rang vier: eine Zahl, zwei Ansichten. Deutschland ist laut den neuen Erhebungen des schwedischen Friedensforschungsinstituts Sipri einer der größten Rüstungslieferanten der Welt, auf dem vierten Platz, wieder einmal. Damit gehört Deutschland zum Klub von fünf Staaten, die für 75 Prozent aller weltweiten Exporte von Schießgerät verantwortlich zeichnen. Warum nur Rang vier? Das fragt sich die deutsche Rüstungsindustrie. Deutschland ist schließlich der Exportweltmeister, und die Nachfrage in einer aus den Fugen geratenen Welt ist gerade ungeheuer groß. Rang vier, so mahnen dagegen seit Jahren die Kritiker, sei ein Grund, sich zu schämen. Jedenfalls in einem Land, in dem sogar Politiker wie der junge Franz Josef Strauß sagten, dass jedem die Hand abfallen solle, der wieder ein Gewehr in die Hand nimmt.

Tatsächlich ist dieser vierte Platz eine Mahnung an die deutsche Politik, dass es so wie bisher nicht weitergehen darf. Der Export von Kriegswaffen außerhalb der Nato sollte stets die Ausnahme bleiben, in Spannungsgebiete sollte überhaupt nicht geliefert werden. Aber ausgerechnet die Staaten des am Abgrund balancierenden Nahen Ostens entwickelten sich in den vergangenen Jahren zu den besten Kunden. Die deutsche Zurückhaltung, ein Verfassungsauftrag, gibt es schon lange nicht mehr. Aber immer wieder gibt es Politiker, die erschrecken, was die mit ihrer Genehmigung gelieferten Waffen anrichten.

Deutschland muss herunter vom vierten Platz als globaler Rüstungslieferant

Im Falkland-Krieg 1982 traf eine mit einem deutschen Suchkopf ausgerüstete Rakete einen britischen Zerstörer. Die damalige argentinische Militärjunta war ein beliebter Kunde. Der türkische Machthaber Recep Tayyip Erdoğan verfügt über Hunderte Leopard-II-Panzer, deren Exportvertrag in den letzten Tagen der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder unterschrieben wurde. Erdoğan galt damals als Reformer. Auflagen, wofür die Panzer nicht verwendet werden dürften, wurden vergessen. So konnten sie in die Kurdengebiete Nordsyriens rollen.

Mancher umstrittene deutsche Export hat sich als richtig erwiesen, etwa die Kurden für ihren Kampf gegen den "Islamischen Staat" auszurüsten. Es war einer der wenigen Fälle, in denen eine Bundesregierung ihre Politik des Waffenexports erklärte: als "Nothilfe zur Rettung von Menschenleben". Sonst herrscht meist Schweigen. In einem der heikelsten und umstrittensten Felder der Politik musste das Parlament der Regierung noch jeden Schritt zu mehr Transparenz mühsam abringen.

Ein Grund für den vierten Platz ist die sogenannte Merkel-Doktrin, die von der Kanzlerin nie umfassend erklärte Haltung, dass es besser sei, Partner auszurüsten, als selbst in den Krieg zu ziehen. Saudi-Arabien, einer der größten Waffenimporteure der Welt, war der große Nutznießer dieser Doktrin. Nicht der schreckliche Krieg in Jemen, erst die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi führte im November zum deutschen Exportstopp.

Die CDU will nun ein Ende dieses Stopps, mindestens jedenfalls, dass wieder solche Teile geliefert werden dürfen, die in europäischen Gemeinschaftsprojekten wie dem Eurofighter eingebaut werden. Die Wut der Briten und Franzosen ist groß, sie können wegen des deutschen Neins nicht liefern. Für Frankreichs Präsident Macron hängt daran die Frage, ob Deutschland ein verlässlicher Partner, ob eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik möglich ist. Die Kanzlerin ist eingeklemmt zwischen ihrem unwilligen Koalitionspartner SPD und ihrem engsten Verbündeten. Tatsächlich eröffnet dieser Konflikt die Chance, Rüstungsexporte dauerhaft stärker zu reglementieren. Ein Kompromiss könnte so aussehen: Union und Kanzleramt sagen verbindlich zu, die Ausfuhr von rein deutschem Großgerät an Länder wie Saudi-Arabien auch künftig nicht mehr zu genehmigen; im Gegenzug stimmt die SPD zumindest den früher vereinbarten Zulieferungen an europäische Gemeinschaftsprojekte zu. Schließlich war sie oft genug an diesen Entscheidungen beteiligt.

Merkel hat jetzt eine "gemeinsame Kultur der Rüstungsexporte" in Europa angemahnt. In Wahrheit gibt es einen solchen Verhaltenskodex seit 2008. Die Menschenrechtslage und die Sicherheit in der Region müssen berücksichtigt werden. Bei europäischen Rüstungsprojekten sollte man sich vorab mit Macron verständigen, was dies zu bedeuten hat. Deutschland steht in der Pflicht, europäische Verantwortung zu übernehmen für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Diese aber vorrangig an der Lieferung von Kriegswaffen festzumachen, ist falsch.

Man werde "noch viele komplizierte Diskussionen" über Rüstungsexporte führen müssen, sagt die Kanzlerin. Es wäre gut, wenn diese nicht nur im geheim tagenden Bundessicherheitsrat stattfinden würden, sondern auch im Bundestag. Man möchte hören, was die Regierung plant, um Deutschland in dieser Branche ein bisschen weniger wettbewerbsfähig zu machen. Und um herunterzukommen von diesem schändlichen vierten Platz.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: