Süddeutsche Zeitung

Währungsturbulenzen:Die Türkei gerät in eine gefährliche Schieflage

  • Der Wirtschaftsstreit zwischen Washington und Ankara spitzt sich zu. Erdoğan zeigt sich unnachgiebig.
  • Die türkische Lira ist dramatisch abgestürzt. Viele Unternehmen sind bereits in einer schwierigen Lage.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Die regierungsnahe Zeitung Yeni Şafak versuchte sich in Zuversicht: "Wir werden den Wirtschaftskrieg gewinnen", titelte sie am Wochenende. Dazu sah man das Bild eines lächelnden Recep Tayyip Erdoğan. Als gäbe es keinen Grund zur Sorge. Dabei war die türkische Lira am Freitag so tief abgestürzt wie an keinem anderen Tag in den vergangenen 20 Jahren. US-Präsident Donald Trump hatte zuvor per Twitter Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei angekündigt.

Erdoğan wiederum zeigte sich unnachgiebig. Die USA und andere Länder führten einen Krieg gegen die Türkei, sagte er bei einer Rede in der Provinz Rize im Nordosten des Landes. Dollar, Euro und Gold seien die "Patronen, Kanonen und Raketen" dieses Wirtschaftskriegs. Erdoğan versprach seinen Anhängern, die Türkei werde die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen treffen, um ihre Wirtschaft zu schützen. Am wichtigsten sei es jedoch "die Hände zu brechen, die diese Waffen abfeuern".

Erdoğan ließ mitteilen, er habe mit dem russischen Präsident Wladimir Putin telefoniert. Es sei dabei auch um die Zusammenarbeit im Rüstungsbereich gegangen, zudem um Syrien und die positive Entwicklung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen. In einem Gastbeitrag für die New York Times schrieb Erdoğan: Sollte die US-Regierung die Souveränität der Türkei nicht respektieren, dann könne die Türkei auch "nach neuen Freunden und Verbündeten suchen".

Die Türkei gehört seit 1952 der Nato an. Es gab in dieser Zeit schon mehrere Eiszeiten zwischen Ankara und Washington, aber der derzeitige Konflikt ist beispiellos. Zur jüngsten Eskalation kam es, nachdem Trump zum wiederholten Male verlangt hatte, die Türkei müsse den im Oktober 2016 inhaftierten US-Pastor Andrew Brunson endlich freilassen. Türkische Zeitungen berichteten von einem Ultimatum bis kommenden Mittwoch.

Die Türkei verlangt im Gegenzug bereits seit längerem die Überstellung des in den USA lebenden türkischen Predigers Fethullah Gülen in die Türkei. Erdoğan beschuldigt Gülen, Drahtzieher des Putschversuchs vom Juli 2016 zu sein. Gülen führt ein großes Netzwerk von Gläubigen, die in der Türkei vor dem Putschversuch viele Positionen im Staat besetzten - unter anderem in Polizei, Militär und Justiz.

Etwa so lange wie Gülen in den USA lebt - fast 20 Jahre -, so lange lebt der amerikanische Pastor Brunson in der Türkei. Er führt jedoch nur eine kleine Missionsgemeinde in Izmir. Der Vorwurf der türkischen Justiz gegen ihn lautet: Spionage und Unterstützung der Putschisten. Brunson, vor kurzem aus dem Gefängnis in den Hausarrest entlassen, bestreitet dies.

"Schande, Schande! Sie ziehen einen Pastor einem strategischen Nato-Partner vor", sagte Erdoğan am Samstag vor Anhängern in der Provinz Ordu am Schwarzen Meer. Er rief seine Landsleute erneut dazu auf, wegen des Kursverfalls der Lira Euro und Dollar zu tauschen. "Diejenigen, die Dollars, Euros oder Gold unter ihren Matratzen haben, sollten gehen und sie in Lira tauschen. Das ist ein nationaler Kampf", sagte der Präsident.

Dass die Umtauschrate für den Dollar mit einer Sechs beginnt und die für den Euro eine Sieben vor dem Komma hat, daran müssen sich die Türken erst gewöhnen. Wer Dollar und Euro unter dem Kopfkissen oder auf einem Devisenkonto hat, kann nun tatsächlich Kasse machen. Aber viele Türken haben Fremdwährungskredite, oft nur ein paar Tausend Euro oder Dollar. Die zu bedienen wird nun schwierig.

Die Verbindlichkeiten übersteigen die Devisenreserven um 200 Milliarden Dollar

Dramatisch ist die Lage schon jetzt für mehrere große Unternehmen. Nach Angaben der türkischen Notenbank übersteigen die Verbindlichkeiten der türkischen Firmen (ohne den Finanzsektor) in Fremdwährungen deren Devisenreserven um 200 Milliarden Dollar. Davon werden in den nächsten zwölf Monaten 66 Milliarden Dollar fällig oder müssen umstrukturiert werden.

Zu der gefährlichen Schieflage hat auch das überhitzte Wachstum in der Türkei beigetragen. Der neue Finanzminister Berat Albayrak deutete bei einem Auftritt in Istanbul eine vorsichtige Korrektur in Richtung eines "nachhaltigen" Wachstums an. Albayrak hatte seine Rede über das "neue türkische Wirtschaftsmodell" noch nicht beendet, da ließ Trump Ankara per Tweet wissen, dass er Strafzölle verhängen werde.

Albayrak ist Erdoğans Schwiegersohn. Zu seinem Auftritt waren Scharen türkischer Wirtschaftsleute und Banker geladen. Sie mussten länger warten, als geplant. Die Hürriyet Daily News erklärte am Samstag warum: Erdoğan sprach gerade noch in der Schwarzmeerstadt Bayburt. Dort sagte er: "Sie mögen ihre Dollars haben, wir aber haben unser Volk und unseren Gott." Und bei der Fernsehübertragung schlägt der Präsident noch immer seinen Schwiegersohn.

Die Stadt Uşak im Westen der Türkei will künftig keine Anzeigen mehr auf Google, Facebook und anderen amerikanischen Media-Plattformen schalten, als Reaktion auf die US-Sanktionen. "Wir haben unser Budget für Facebook, Google, Instagram, Twitter und Youtube gestrichen," teilte die Stadtverwaltung mit, auf Twitter. Bürgermeister Nurullah Cahan verkündete, auch über Twitter, man werde "gegen die Feinde gewinnen", die die Türkei "von allen Seiten umzingeln".

Die regierungstreue Zeitung Yeni Şafak verglich die Lira-Krise mit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016. Die türkische Wirtschaft befände sich jetzt unter einem "ähnlichen Angriff", die USA versuchten mit ihrer Zoll-Entscheidung die Türkei "auf die Knie zu zwingen".

Bislang hatte die türkische Opposition sich in der aktuellen Krise eher solidarisch mit der Regierung gezeigt. Kemal Kılıçdaroğlu, Chef der größten Oppositionspartei, der CHP, änderte nun aber den Ton. Er sagte, die Türkei durchlebe nicht nur eine ökonomische Krise, "das ist eine politische Krise". Die AKP habe in den 16 Jahren ihrer Herrschaft die Wirtschaft "abhängig" gemacht, und es gebe Zweifel an der Unabhängigkeit der Zentralbank.

Die Türkei exportierte 2017 nach Angaben des Handelsministeriums in Ankara Eisen, Stahl und Aluminium im Wert von 1,1 Milliarden Dollar in die USA - ein Anteil von 0,7 Prozent aller Ausfuhren. US-Handelsminister Wilbur Ross versuchte, dem Streit um die Strafzölle ein wenig die politische Schärfe zu nehmen. In einer Erklärung, die das Weiße Haus herausgab, hieß es, die Zölle seien ein entscheidender Schritt, um die Lebensfähigkeit der amerikanischen Stahlindustrie sicherzustellen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4089901
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/biaz/bepe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.