Wählerschaft:Die Vergessenen

Viele von Trumps Wählern fühlen sich als Verlierer. Sie wollen aber zu den Gewinnern zählen und haben deswegen für einen Mann gestimmt, der ihnen Siege vorgaukelt. Ihre Wut war groß genug, um zu glauben, Trump könne ihnen helfen.

Von Stefan Kornelius

Amerika hat ein brutales Urteil gefällt. Präsident wird ein Mann, der mit einer beispiellosen Kampagne gegen den Staat, den politischen Betrieb und am Ende gegen die ganze Welt gefährliche Emotionen und Erwartungen geweckt hat. Gewonnen hat ein Mann, der charakterlich und im Licht seines Erfahrungsschatzes nicht mal den Ortsverband einer Partei führen dürfte. Gewonnen hat ein Mann, der lügt, der seine finanziellen Abhängigkeiten verheimlicht, der Minderheiten verhöhnt und damit prahlt, dass er Frauen belästigt. Dieser Donald Trump wird nun Präsident der USA.

Angesichts der schieren Wucht dieser Wahlentscheidung wirkt es müßig, nach Ursachen zu suchen und über Folgen zu spekulieren. Donald Trump war als Kandidat nicht zu greifen, seine wahren Ziele jenseits der Befriedigung seines narzisstischen Charakters werden sich auch am Tag nach der Wahl nicht plötzlich herauskristallisieren. Viel hängt davon ab, mit welchen Menschen sich der neue Präsident umgibt, und wie stark die Institutionen dessen impulsiven Charakter unter Kontrolle halten.

Das Problem Trump ist viel größer als die Sorge um die Weltwirtschaft oder um Irrlichtereien im Weißen Haus. Trump löst tief sitzende Ängste aus, er steht für eine dunkle Ungewissheit. Es ist dieses gewaltige Wählerheer, das ihn zum Sieg getragen hat und quasi handstreichartig alles wegräumt, was die USA und ihre Demokratie noch berechenbar gemacht hat. Was also hat es zu bedeuten, wenn eine derart große Zahl von Amerikanern alle Zweifel an Inhalten und Person beiseiteschiebt und einen Mann wählt, der weder Programm noch Ziel hat - außer, dass er eben gegen das System ist?

Ja, Trump hat eine demokratische Mehrheit errungen, das gilt es zu respektieren. Kein Demoskop hat diese Mehrheit prognostiziert, und viele klassische Medien haben den Kontakt zu diesen Wählern verloren. Man mag sie beschreiben, zitieren, analysieren, ihre Lebenswirklichkeit sezieren - zu erreichen sind sie nicht. Sie haben ihre eigene Wahrheit und ihre eigenen Informationsquellen. Ihr Ziel ist die Revolution, der Umsturz der bestehenden Verhältnisse, die als repressiv angesehen werden und voller Nachteile für das eigene Leben. Ob dieses eigene Leben ohne Freihandel und mit Mauer zu Mexiko besser wird - irrelevant. Es geht zuerst um die Zerstörung, den Denkzettel - nicht um den Aufbau.

Zornige wählten sich ihren Präsidenten. Sind sie zu retten?

Der Typus des Trump-Wählers findet sich in Großbritannien, in Ungarn und auch in Deutschland. Sie haben genug vom rasanten Tempo der gesellschaftlichen Umbrüche. Sie haben genug von zu vielen anderen Meinungen und Talkshow-Gezeter, von zu viel Veränderung und Innovation, von Automatisierung und Industrie 4.0, von Flüchtlingen und Freihandel. Sie fühlen sich bevormundet und wollen ihr Leben unter Kontrolle bekommen, indem sie die Welt unter Kontrolle bekommen und in ein Eisbad packen. Sie wollen keine Angst mehr haben vor dem Abstieg, sondern sich großartig fühlen - make America great again.

Gerne werden diese Wähler als "Globalisierungsverlierer" bezeichnet. Das ist nicht zwingend richtig, wie ökonomische Zahlen zeigen. Aber es entspricht ihrem Lebensgefühl. Unklar ist überdies, ob einer wie Trump ihnen helfen kann. Den Praxistest hat noch keiner bestanden: Wird es den Briten tatsächlich besser gehen außerhalb der EU? Entsteht wirklich eine neue Industrie, wenn Abwehrzölle erhoben werden? Hilft eine Mauer gegen Migration? Die Antwort ist nach aller Vernunft: nein. Aber Vernunft setzt den differenzierten Umgang mit den Problemen voraus. Bei Trump und seinen Gesinnungsgenossen geht es indes nicht um Differenzierung. Hier siegt die Axt über das Schnitzmesser.

In den USA sind diese Wähler das Produkt von mindestens 20 Jahren heftiger Polarisierung und politischer Kompromissunfähigkeit, von einer degenerierten und gespaltenen Medienlandschaft und von der ökonomischen Kluft zwischen den Boom-Regionen an den Küsten und der Tristesse im flyover country, dem Zwischenland. Die Demokraten hätten diesen Wählern helfen können, aber sie wurden in der Regel blockiert von einer disfunktionalen Republikanischen Partei, die stets nach weniger Steuern schreit und nach mehr Ausgaben fürs Militär.

Die Verfassung der USA, das Zwei-Parteien-System, sieht den Ausgleich zwischen den Lagern vor, nicht die Zerstörung des Gegners. Republikanische Extremisten haben aber eine Generation lang jeden Ausgleich verhindert und den Zorn auf "die" Politik geschürt, für die der Name Clinton auch noch beispielhaft steht.

Donald Trump hat gewonnen, weil er sich sowohl von den Extremisten der eigenen Partei distanzierte als auch das Feindbild Demokraten/Clinton (neben vielen anderen Feindbildern) kultivierte. Nun haben ihn die Orbáns, Putins und Le Pens dieser Welt freudig in ihrem Kreis willkommen geheißen. Gegen seinen Rundumschlag-Populismus müssen sich die Demokratien wappnen.

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