Wählermobilisierung in den USA:"Sandy" bringt Gegenwind für Obama

Der Hurrikan "Sandy" könnte sich unmittelbar auf die US-Wahlen auswirken - mit Nachteil für US-Präsident Barack Obama. Seine derzeitige Strategie besteht darin, jene ausfindig zu machen, die wanken, zaudern, zweifeln oder zu bequem sind, wählen zu gehen. Doch in den umkämpften Bundesstaaten Virginia und Ohio könnten nun viele zu Hause bleiben - und auch am 6. November womöglich gar nicht wählen gehen.

Nicolas Richter, Washington

Wählermobilisierung in den USA: Der Sturm könnte sich unmittelbar auf die Wähler auswirken, weil er die umkämpften Bundesstaaten Virginia und Ohio treffen wird. Wer früh wählen wollte, bleibt womöglich zu Hause und enthält sich womöglich auch am 6. November.

Der Sturm könnte sich unmittelbar auf die Wähler auswirken, weil er die umkämpften Bundesstaaten Virginia und Ohio treffen wird. Wer früh wählen wollte, bleibt womöglich zu Hause und enthält sich womöglich auch am 6. November.

(Foto: AFP)

Was immer Sandy auch anrichtet, zwei Stimmen hat Barack Obama schon sicher: die seiner Frau Michelle und seine eigene. Beide sind lange vor dem Termin am 6. November wählen gegangen. Der Präsident ist immer früh dran in diesem Wahlkampf. Im Sommer versuchte er mit einer massiven Negativkampagne, seinen Rivalen Mitt Romney vorzeitig auszuschalten. Beim Parteitag im September erklärten seine Helfer, die Sache sei gelaufen, und im ersten Fernsehduell mit Romney verhielt sich Obama, als sei er zur Nachbetrachtung seiner Wiederwahl erschienen.

Seit dem Duell aber hat Romney in allen Umfragen aufgeholt, landesweit führt er sogar. Obama und seine Leute schienen zuletzt in Panik zu geraten. In den letzten beiden Fernsehduellen klang der Präsident aggressiv, in Mails bettelte er um frische Spenden: "Ich möchte diese Wahl nicht verlieren." Seine Anhänger ahnen plötzlich, dass der Traum schon wieder vorbei sein könnte, vielleicht zu früh, um etwas Bleibendes zu hinterlassen.

Obamas Strategen geben sich trotzdem optimistisch. Diesmal setzen sie nicht auf Euphorie, sondern auf Mathematik, Planung, Organisation. Sie haben langfristige Wahltrends studiert und in den vergangenen vier Jahren einen Apparat aufgebaut, der darauf ausgerichtet ist.

Sie nennen es "ground game", das Spiel am Boden: Es besteht darin, jene ausfindig zu machen, die wanken, zaudern, zweifeln oder zu bequem sind, wählen zu gehen. Obamas Kampagne will sie finden und ihnen die Stimme abtrotzen, wenn nötig, wie in alten Zeiten, an jeder Haustür. Wenn nötig, auch durch psychologischen Druck.

Weil jede Stimme zählt, wirbt Obama für das frühe Wählen. "Dann muss man sich am Wahltag nicht freinehmen, oder überlegen, wie man auch noch die Kinder abholt. Und wenn es regnet, wirst du nicht nass", sagte der Präsident, als er vergangene Woche in Chicago an den Wahlcomputer trat. Das Weiße Haus ergänzte, dass Obama in umkämpften Bundesstaaten bei Frühwählern mit 15 bis 35 Prozentpunkten vor Romney liege. Bei seinen Wahlkampfauftritten stehen Busse bereit, die das selige Publikum sofort zum Wahllokal fahren.

Jetzt kommt allerdings der Hurrikan dazwischen. Der Sturm könnte sich unmittelbar auf die Wähler auswirken, weil er die umkämpften Bundesstaaten Virginia und Ohio treffen wird. Wer früh wählen wollte, bleibt womöglich zu Hause und enthält sich womöglich auch am 6. November.

Für Obama könnten darin größere Risiken liegen als für Romney. Falls die Regierung schlecht auf die absehbare Zerstörung an der Ostküste reagiert, könnte der Zorn den Oberbefehlshaber treffen; die Pannen nach Hurrikan Katrina 2005 haben Obamas Vorgänger George W. Bush bis zum Ende der Amtszeit verfolgt. Auf jeden Fall stört Sandy Obamas Strategie, seine möglichen Wähler früh und maximal zu mobilisieren.

Leuchtendes Beispiel für die Überlegenheit der Bodentruppen Obamas ist Nevada, der Bundesstaat im Südwesten. Las Vegas, die Stadt der Exzesse, hat eine exzessive Dosis Wahlkampf abbekommen: Zwischen Januar und Mitte Oktober haben die Fernsehsender hier 73.000 Wahlwerbespots ausgestrahlt. Wer überhaupt noch fernsieht, möchte sein Gerät aus dem Fenster werfen, zumal Nevada mehr als andere Staaten von der Krise gebeutelt wurde; die Arbeitslosenquote liegt über zehn Prozent, es ist die höchste im ganzen Land.

Ein schlechtes Gewissen ist die beste Motivation

Aber Nevada ist auch der Bundesstaat von Harry Reid. Der demokratische Senator, dem persönlich daran liegt, dass Obama gewinnt (und Romney verliert), hat hier perfektioniert, was Obamas Leute bundesweit aufgebaut haben. Reids Bilanz: 26 Bürgerbüros, 255 Teamleiter, 3,2 Millionen Anrufe, 325.000 Haustüren, 70.000 neu registrierte Wähler. Obwohl es dem Staat schlecht geht, kann Obama hier gewinnen, weil er das Volk besser erreicht.

Barack Obama Sandy Hurrikan US-Wahlen

Falls die Regierung schlecht auf die absehbare Zerstörung an der Ostküste reagiert, könnte der Zorn den Oberbefehlshaber treffen.

(Foto: REUTERS)

"Obama ist Großhandel, Romney ist Einzelhandel. Obama ist ein Sozialarbeiter, Romney eine Werbeagentur. Romney verkauft eine große Botschaft, Obama versucht, auch den letzten wohlgesonnenen Wähler zu identifizieren, zu motivieren und dessen Stimme zu holen", schreibt der Onlinedienst Politico.

Beide Strategien sind aus der Not geboren: Die wirtschaftliche Tristesse lässt einen Hoffnungswahlkampf Obamas nicht zu. Romney wiederum hatte nach der zehrenden Vorwahl weder Zeit noch Mittel, einen Apparat wie Obama aufzubauen. Der hat im womöglich entscheidenden Bundesstaat Ohio 137 Wahlkampfbüros, Romney nur 39.

Von diesen Stützpunkten aus rufen Freiwillige die Wähler an, oder sie schwärmen aus und klingeln an Haustüren. Allein dieser persönliche Kontakt mit euphorischen, meist jungen Menschen kann Bürger noch beeinflussen. Flugblätter oder Briefe gelten als wirkungslos. Obamas Wahlkampf-App für das Smartphone zeigt auf interaktiven Stadtplänen, wo die Wankelmütigen wohnen und was man aus Wahllisten oder Datenbanken über sie weiß.

Die beste Motivation ist dabei schlechtes Gewissen. Obamas Kampagne stützt sich auf das Buch "Get out the vote" der Sozialwissenschaftler Donald Green und Alan Gerber. Sie haben herausgefunden, dass man Wähler zur Urne treibt, indem man sie mit dem konfrontiert, was in öffentlich zugänglichen Wählerlisten steht.

Dass sie sich beim letzten Mal enthalten haben, die Nachbarn aber nicht. "Viele Nicht-Wähler wählen, wenn sie glauben, dass andere zuschauen", schreiben Green und Gerber. Wer zu Obama neigt, aber nicht zur Urne geht, soll sich schuldig fühlen.

Obama versucht also, aus seiner Kernwählerschaft, vor allem Junge, Schwarze, Latinos und Frauen, alles herauszuholen. Seit Jahren schon glauben Wahlstrategen, dass man in dem polarisierten Land immer seltener Meinungen ändert. Eher kommt es darauf an, jene zu mobilisieren, die eh von einem überzeugt sind.

In dieser letzten Woche fragen sich Obamas Berater allerdings, ob ihr System jener Erfolgswelle standhält, auf der Romney seit den Fernsehduellen reitet. Am Ende könnten die wenigen Wechselwähler so genervt sein von Krise und Wahlschlacht, dass sie allein schon für Romney stimmen könnten, um mal was Neues auszuprobieren. Romneys Leute wiederum fürchten, dass er seinen Schwung aus den TV-Debatten schon wieder verloren hat.

Es bleibt unklar, wer gewinnen wird. Während beide Kandidaten Landkreis für Landkreis um die letzten Stimmen kämpfen, zieht vor der Küste ein Jahrhundertsturm auf.

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