Das jetzt auch noch. Eben bei der Peacebuilding Commission konnte man es noch aushalten. Da saß die finnische Außenministerin Elina Valtonen neben Johann Wadephul, gut gelaunt und eloquent. Gerade erst, berichtete sie, sei Finnland zum achten Mal am Stück zum glücklichsten Land der Erde gewählt worden. Die Stimmung im Saal war freundlich und, das ist eben auch nicht egal, die Temperatur angenehm. Einen Saal weiter, beim Treffen der G20, herrscht Frost und das nicht nur im übertragenen Sinne. Warum die Klimaanlage ausgerechnet hier auf Maximum läuft, bleibt eines der Geheimnisse in der wundersamen Welt der Vereinten Nationen, die vermutlich nie gelüftet werden.
Als der deutsche Außenminister seinen Platz einnimmt, hat die kanadische Chefdiplomatin Anita Anand gerade einen sofortigen Waffenstillstand im Gazastreifen gefordert. Wadephul bleibt noch ein bisschen Zeit, er kann sich kurz umschauen im Saal. Links gegenüber arbeitet sich Sergej Lawrow, seit 21 Jahren russischer Außenminister, durch seine Papiere. Der Russe schenkt anderen Rednern wenig Aufmerksamkeit, es sei denn der Vertreter aus China spricht gerade über die neuen Machtzentren in der Welt.
Lawrow schaut kaum auf, als Wadephul über Russland spricht
Als Wadephul Russlands „sinnlosen Angriffskrieg“ gegen die Ukraine anprangert und eine „existenzielle Krise“ der UN in ihrem 80. Jahr diagnostiziert, schaut Lawrow kaum auf. Später wird er auf den Sieg über den „deutschen Nazismus“ vor 80 Jahren zu sprechen kommen und darauf, dass in der Ukraine Nato und Europa seinem Land „im Grunde den Krieg erklärt“ hätten.
Willkommen in der ersten „UN-Woche“ des immer noch vergleichsweise neuen deutschen Außenministers. Es geht um Gaza, die Ukraine, Iran – die großen Konflikte. Für die Welt steht einiges auf dem Spiel, auch für Wadephul persönlich.
Er hat schon einiges erlebt seit seinem Amtsantritt, Krisentrips in den Nahen Osten, Nachtfahrten in die Ukraine, aber diese eine Woche, in der sich zur Generaldebatte die Mächtigen und weniger Mächtigen im Hauptquartier der Vereinten Nationen versammeln, bildet Jahr für Jahr den irrwitzigen Höhepunkt der internationalen Diplomatie. Da kann es in der Hektik vorkommen, dass Johann Wadephul bei einer Veranstaltung im Deutschen Haus an der First Avenue den Außenminister Tschads auf die Bühne bittet, obwohl der gar nicht im Saal ist.
Wadephul hat eben eine Geberveranstaltung eröffnet für GCERF, einen Fonds, der sich dem Kampf gegen gewaltsamen Extremismus verschrieben hat. GCERF finanziert Sportveranstaltungen in Mosambik, leistet Gewaltopfern in Burkina Faso psychologische Hilfe oder kümmert sich um Weiterbildung von Lehrern in Kosovo. „Wenn wir verhindern wollen, dass junge Menschen auf falsche Versprechungen extremistischer Gruppen hereinfallen, müssen wir in ihr Leben investieren“, sagt Wadephul. Deutschland fühle sich einer Außen- und Sicherheitspolitik verpflichtet, die auf Krisenprävention und auf Menschen setze. Deshalb freue er sich, fährt er fort, 11,8 Millionen Euro weiterer Hilfe für den Fonds zusagen zu können. Werde Deutschland in den UN-Sicherheitsrat gewählt, verspricht er, werde es auch dort diese Ziele verfolgen.
Wenn er neben dem Minister aus Papua-Neuguinea sitzt, muss Wadephul wissen, wo das Land steht
Der Werbeblock muss sein, denn der deutsche Außenminister befindet sich im Wahlkampf. Schon vor Jahren, lange vor Wadephuls Amtsantritt, hat die Bundesrepublik die Kandidatur für einen nicht-ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat für die Periode 2027/2028 angekündigt. An Wadephul ist es nun, diesen Sitz zu gewinnen. Scheitert die Kandidatur, fiele ein dunkler Schatten auf Wadephuls Amtszeit. Praktisch jeder Termin, jedes Gespräch während dieser UN-Woche ist auch Teil des Wahlkampfs, auch jede scheinbar harmlose Plauderei am Rande. Dutzende Treffen sind anberaumt, ganze Tage dafür reserviert.
„Wir gehören an diesen Tisch. Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen für Freiheit, Sicherheit und Wohlstand – nicht mit missionarischem Eifer, sondern aus der Überzeugung, dass es richtig ist für eine friedvolle Welt“, sagt Wadephul. Das ist am Mittwoch, allerdings im Bundestag in Berlin. Den 24-stündigen Abstecher muss er einlegen wegen der Haushaltswoche.
Auf der Oberfläche funktioniert das Werben für den Sitz im Sicherheitsrat tatsächlich wie ein Wahlkampf. Es gibt Broschüren und Slogans (Deutschland: „Respekt. Gerechtigkeit. Frieden.“), die eigentliche Kampagne findet fast vollständig im Verborgenen statt. Über Jahre geht es darum, möglichst viele Unterstützungszusagen einzusammeln. Dabei geht es rustikal, oder wie es diplomatisch umschrieben wird, „transaktional“ zu: Wählst Du mich in den Sicherheitsrat, gehört Dir meine Stimme für den Menschenrechtsrat. Wadephuls Leute haben ihn gebrieft, welche Stimme noch unsicher ist. Wenn er neben dem Minister aus Papua-Neuguinea sitzt, muss er wissen, wo das Land steht.
Aus Wien sind Präsident, Kanzler und Außenministerin angereist – Österreich ist ein Konkurrent in diesem Rennen
Benötigt werden in geheimer Abstimmung zwei Drittel der Stimmen aller 193 Mitgliedstaaten. Das sind 129. Die zehn nicht-ständigen Sitze werden nach Regionalgruppen vergeben, innerhalb derer die Staaten gegeneinander antreten müssen.
59 Staaten, beginnend bei Afghanistan und endend bei Vanuatu, waren noch nie im Sicherheitsrat. Andere verstehen sich als so etwas wie ständige nicht-ständige Mitglieder. Japan etwa, das zwölfmal dazu gehörte, und Brasilien, das elfmal dabei war. Zu diesem Kreis zählt sich auch Deutschland, das bisher sechsmal Mitglied war. Alle acht Jahre will es seit der Wiedervereinigung in das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen gewählt werden.
Ein Ersatz für die ständige Mitgliedschaft, die Deutschland offiziell immer noch anstrebt, ist das nicht. Aber es gehört zum Selbstverständnis der deutschen Außenpolitik, als zweitgrößter Finanzier des UN-Systems und als größte europäische Volkswirtschaft zumindest regelmäßig Sitz und Stimme im Rat zu beanspruchen.
Um die zwei Plätze in der Gruppe der Westeuropäer bewerben sich für die Periode 2027/2028 drei Staaten – neben Deutschland auch Österreich und Portugal. Aus Wien sind diesmal Präsident, Kanzler und Außenministerin angereist. Österreich glaube, eine „Stimme für die vielen kleinen Staaten“ sein zu können, sagt der österreichische Präsident Alexander van der Bellen in New York. Bundeskanzler Friedrich Merz fehlt wegen der Haushaltswoche.
Deutsche Diplomaten bestreiten nicht, dass die eine oder andere Stimme tatsächlich noch vom Kanzler zu fischen sei, aber das müsse ja nicht unbedingt in New York geschehen. Bis zur Wahl im Juni sei noch Zeit. Die Zahl der bereits eingesammelten Unterstützungszusagen ist unbekannt; jedenfalls wird es als Staatsgeheimnis gehütet. Allerdings sollen alle drei europäischen Bewerber derzeit in etwa gleich stark sein. Wie verlässlich solche Schätzungen sind, gehört zu den Mysterien des Verfahrens, schließlich ist die Wahl geheim.
Schwer abzuschätzen ist, welche Rolle das deutsche Nein zu einer jetzigen Anerkennung Palästinas gegen die absolute Mehrheitsmeinung bei den UN spielen könnte. Am Tag vor seiner Rede und nach einem kämpferischen Auftritt des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu verweist Wadephul darauf, dass es Verständnis gebe für die besondere deutsche Haltung zum Nahost-Konflikt, aber auch die Kritik der Bundesregierung an der israelischen Regierung wahrgenommen werde. „Wir gehen einen sehr glaubwürdigen Weg”, sagt er. Das finde Anerkennung. „Deswegen sind unsere Chancen“, versichert er, „diese Abstimmung zu gewinnen nach wie vor sehr gut.“
Deutschlands Konkurrent Portugal gehört zu den EU-Staaten, die Palästina in diesen Tagen anerkannt haben. „Wir sind ein berechenbares Land, ein Brückenbauer, ein verlässlicher Partner und ein kompromissloser Verteidiger der UN-Charta“, warb Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa in einer Rede vor der Generalversammlung. An diesem Samstag ist Wadephul an der Reihe. Er wird ähnlich klingen.

