Vorwurf der Denunziation:Milan Kundera teilweise entlastet

Der Schriftsteller spricht von "Mord an einem Autor". Doch jetzt sagt ein Zeitzeuge: Nicht Kundera, sondern ein Freund hat Regimegegner denunziert.

K. Brill

Der tschechisch-französische Schriftsteller Milan Kundera wird durch die Aussagen eines Zeitzeugen teilweise von dem Vorwurf entlastet, 1950 als 20-jähriger Student in Prag einen Regimegegner bei der Polizei angezeigt zu haben.

Vorwurf der Denunziation: Der öffentlichkeitsscheue Milan Kundera weist alle Vorwürfe zurück und klagt über den "Mord an einem Autor".

Der öffentlichkeitsscheue Milan Kundera weist alle Vorwürfe zurück und klagt über den "Mord an einem Autor".

(Foto: Foto: dpa)

Die Anzeige sei von einem Freund Kunderas, dem Studenten Miroslav Dlask, erstattet worden, erklärte jetzt der Literaturhistoriker Zdenek Pesat der tschechischen Nachrichtenagentur CTK.

Vorwurf energisch bestritten

Allerdings wird in dem Polizeiprotokoll vom 14. März 1950, das das staatliche Institut für die Erforschung der totalitären Regime am Montag in Prag veröffentlicht hatte, als Aufgeber der Anzeige Milan Kundera genannt. Dieser hatte an seinem Wohnort Paris den Vorwurf energisch bestritten und als Lüge bezeichnet.

Das Opfer der Affäre war seinerzeit der junge Pilot Miroslav Dvoracek, der nach der kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948 aus der Tschechoslowakei nach Bayern geflohen und 1950 im Auftrag westlicher Geheimdienste als Kurier illegal nach Prag zurückgekommen war.

Er wollte in einem Studentenheim bei einer früheren Bekannten übernachten, die diesen Besuch ihrem neuen Liebhaber und späteren Ehemann Miroslav Dlask ankündigte. Dieser, ein Freund Kunderas, war ebenfalls Student und ein eifriges Mitglied der Kommunistischen Partei.

Pflicht zur Meldung

Wie der Zeitzeuge und Literaturhistoriker Zdenek Pesat jetzt erklärte, teilte Miroslav Dlask ihm seinerzeit selber mit, dass er die Anzeige gegen den Besucher bei der Polizei erstattet habe. Dlask habe es auch als seine Pflicht empfunden, davon der zuständigen Einheit der Kommunistischen Partei Meldung zu machen, und sich deshalb an Pesat gewandt. Dieser war damals Mitglied des zuständigen KP-Ausschusses an der Kunst-Fakultät der Prager Karls-Universität.

Pesat äußerte die Meinung, Miroslav Dlask habe seine Freundin Iva Militka vor möglichen Sanktionen wegen der Beherbergung eines Flüchtlings schützen wollen. Er habe es auch für möglich gehalten, dass der Besucher ein Agent Provocateur der kommunistischen Geheimpolizei sei.

Der 21-jährige Pilot Dvoracek war noch am Tag der Anzeige in dem Studentenheim festgenommen worden. Er wurde später wegen Desertion, Spionage und Hochverrats zu 22 Jahren Haft verurteilt, von denen er 14 abbüßen musste, großenteils als Zwangsarbeiter in einem Uranbergwerk. Seit Mitte der 1970er Jahre lebt er in Schweden, doch wollte er sich aus Gesundheitsgründen nach einem Schlaganfall nicht zu dem Fall äußern.

Miroslav Dlask kann nicht mehr befragt werden, da er in den 1990er Jahren verstorben ist. Somit bleibt offen, ob nicht auch Eifersucht als Motiv für sein mögliches Handeln in Frage kommt.

"Mord an einem Autor"

Sollte die neueste Version der Wahrheit entsprechen, so fragt sich ferner, wie der Name Milan Kunderas ins Polizeiprotokoll kam. Entweder müsste Miroslav Dlask auf der Dienststelle gelogen und statt seines eigenen Namens den des Freundes angegeben oder dieser ihm den unangenehmen Gang abgenommen haben.

Allerdings hatte Kundera erklärt, er habe von diesem Vorgang keinerlei Kenntnis, und ein solcher habe auch nicht stattgefunden. Das Institut für die Erforschung der totalitären Regime und die Medien verübten "einen Mord an einem Autor".

Der Fall hat in Tschechien eine lebhafte Diskussion über die Lebensbedingungen im früheren kommunistischen Regime ausgelöst. Das Institut für die Erforschung der totalitären Regime, das mit der deutschen Birthler-Behörde zur Aufklärung der Stasi-Untaten vergleichbar ist und erst vor einem Jahr installiert wurde, verwaltet die Akten des früheren Geheimdienstes StB.

Der dort beschäftigte Historiker Adam Hradilek war nach eigenen Angaben durch Zufall auf das Polizeiprotokoll von 1950 gestoßen. Das Protokoll wurde zusammen mit einem Artikel Hradileks am Montag von der Zeitschrift Respekt veröffentlicht.

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