Vorwürfe gegen Strauss-Kahn:Wem der Skandal nutzt

Täter oder Opfer? Im Fall des Vergewaltigungsverfahrens der US-Justiz gegen Strauss-Kahn ist die Stunde der Verschwörungstheoretiker gekommen. Seine Unterstützer glauben, der Ex-IWF-Chef ist in eine Falle getappt - und sie haben einen Verdacht, wer diese stellte.

Stefan Ulrich, Paris

Wochenlang mussten sie Schläge einstecken, die Parteigänger Dominique Strauss-Kahns. Jetzt beginnt ihr Gegenangriff. Sie sprechen von einer "Falle", die dem sozialistischen Spitzenpolitiker und früheren Chef des Internationalen Währungsfonds im New Yorker Sofitel-Hotel gestellt worden sei. Sie deuten auf "mögliche französische Komplizen" hin und beklagen ein "politisches Komplott".

Dominique Strauss-Kahn

Dominique Strauss-Kahn am Samstag in New York. Wochenlang mussten seine Anhänger Schläge einstecken. Jetzt beginnt ihr Gegenangriff. Sie sprechen von einer "Falle".

(Foto: AP)

Nun, da das Vergewaltigungsverfahren der US-Justiz gegen Strauss-Kahn zusammenbrechen könnte, ist die Stunde der Verschwörungstheoretiker gekommen. Cui bono?, fragen sie. Wem nutzte der Skandal um Strauss-Kahn? Natürlich steckt in der Frage ein Fingerzeig auf Nicolas Sarkozy. DSK, wie Strauss-Kahn genannt wird, galt wegen seines Durchsetzungsvermögens und wirtschaftlichen Sachverstands, seiner Intelligenz und Popularität als gefährlichster Gegner des konservativen Präsidenten. Indem Sarkozy den Rivalen 2007 zum IWF nach Washington weglobte, wurde er ihn auf elegante Weise los.

Zuletzt aber plante Strauss-Kahn, nach Frankreich zurückzukehren und bei der Präsidentschaftswahl 2012 gegen Sarkozy anzutreten. Umfragen räumten ihm allerbeste Erfolgsaussichten für dieses Unterfangen ein. Hatte Sarkozy daher nicht allen Grund, den umtriebigen Strauss-Kahn in eine Sex-Falle zu locken, um ihn politisch zu erledigen?

In diese Richtung gehen die Überlegungen etlicher Parteifreunde des Ex-IWF-Chefs. Sie trauen sich zwar nicht, Sarkozy direkt beim Namen zu nennen, verbreiten aber eindeutige Anspielungen. So betonen sie, es sei wohl kein Zufall, dass das Sofitel-Hotel in New York dem französischen Accor-Konzern gehöre. Strauss-Kahn steht - noch - im Verdacht, am 14. Mai in einer Suite des Hotels ein Zimmermädchen vergewaltigt zu haben. "Im Verhalten der Manager des Sofitel und der Accor-Gruppe gibt es Unklarheiten", sagt der sozialistische Abgeordnete François Loncle. "Mit wem haben die Leute des Sofitel in Paris telefoniert? Mit dem Chef des Inlandsgeheimdienstes? Und warum hat das Hotel erklärt, das Zimmermädchen sei eine musterhafte Angestellte gewesen?" Loncle deutet so eine Verschwörer-Kette an, die vom Élysée bis in die New Yorker Suite reichen könnte.

Dieselbe Spur verfolgt die Sozialistin Michèle Sabban, eine glühende Anhängerin Strauss-Kahns. Auch sie lenkt den Verdacht auf das Sofitel. Außerdem insinuiert sie: "Welche Beziehung gibt es zwischen den Anklagen gegen Strauss-Kahn und der Tatsache, dass der Präsident der Republik (Sarkozy) vor fünf Jahren den Chef der New Yorker Polizei mit der Ehrenlegion ausgezeichnet hat?" Der Abgeordnete Jean-Marie Le Guen fragt sich, ob "dieses arme Mädchen" - das mögliche Vergewaltigungsopfer - alleine handelte. "Man kann sich schlecht vorstellen, dass die New Yorker Polizei von dieser jungen Frau manipuliert wurde."

In diesem Stil geht es weiter in Frankreich, durch alle Sender, Zeitungen und Internetseiten. Während Sarkozy staatsmännisch schweigt, was ihm schwer fallen dürfte, schießt Innenminister Claude Guéant zurück. Die Anspielungen seien skandalös und abscheulich. Wer Beweise für eine Verschwörung habe, solle sie vorlegen. Die US-Ermittler seien völlig unabhängig. "Niemand in Frankreich kann die amerikanische Justiz manipulieren."

Die Accor-Gruppe dementiert ebenfalls kategorisch, irgendetwas mit einer Verschwörung zu tun zu haben. Bernard Squarcini, der Chef des Inlandsgeheimdienstes, beteuert: "Ich hatte niemals Kontakt mit dem Direktor des Sofitel oder irgendeinem Verantwortlichen von Accor." Die Agentur AFP will indes erfahren haben, Accor habe den Élysée etwa eine Stunde nach der Festnahme Strauss-Kahns am 14.Mai informiert. Gegen eine Verschwörung zum Nutzen Sarkozys sprechen mehrere Gründe. Sarkozy kämpft mit harten Bandagen, aber er ist kein tolldreister Glücksritter, der seine Karriere mit einem aberwitzigen Komplott ruiniert. Hätten Regierungskreise Strauss-Kahn eine Falle stellen wollen, dann hätten sie einen Lockvogel ohne Fehl und Tadel benutzt und keine Frau wie das New Yorker Zimmermädchen, deren problematische Vergangenheit herauskommen musste.

Zudem wäre der Zeitpunkt für eine Falle seltsam gewählt gewesen. Strauss-Kahn hatte noch nicht einmal seine Kandidatur für die Urwahlen der Sozialisten erklärt. Der Schaden für die Opposition wäre viel größer gewesen, wenn man ihn erst nach seiner Wahl zum Präsidentschaftskandidaten diskreditiert hätte. Auch andere Verschwörungsmuster wirken sehr fragwürdig. Falls etwa die USA den IWF-Direktor ausschalten wollten, warum hätten sie es erst dann getan, als sein Mandat auslief?

Noch ist nur ein Bruchteil der Affäre aufgeklärt, noch bleibt Raum für weitere Deutungen. Auffällig ist, dass Strauss-Kahn selbst im April von einer möglichen Falle sprach. So sagte er Journalisten, dass eine Frau eine Million Euro bekommen könnte, damit sie behaupte, sie sei vergewaltigt worden. Laut Le Monde soll Strauss-Kahn einem Politiker anvertraut haben: "Manche haben ein Interesse daran, dass ich beim IWF gefeuert werde. Die Russen sind am meisten interessiert. Und Putin steht Sarko nahe."

All das Geraune könnte eine Rückkehr Strauss-Kahns auf die politische Bühne Frankreichs begünstigen. Falls die US-Justiz die Anklage gegen ihn aufgibt, könnte er versuchen, doch noch als Präsidentschaftskandidat anzutreten. Dabei würde es ihm nutzen, als verfolgte Unschuld da zu stehen.

Nicht alle Sozialisten wirken begeistert von diesem Szenario. Martine Aubry, François Hollande und Ségolène Royal - die drei aussichtsreichsten Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur - wären lediglich bereit, den Zeitplan für die Urwahlen zu strecken, um Strauss-Kahn eine Kandidatur zu ermöglichen. Doch sie wollen nicht für ihn beiseitetreten. So sagte Aubry, die ursprünglich einen Pakt mit Strauss-Kahn geschlossen hatte, wonach nur einer von beiden antreten sollte: "Meine Kandidatur steht. Ich gehe bis zum Ende."

Allmählich beginnt in Frankreich auch die Debatte, ob Strauss-Kahn noch einen geeigneten Kandidaten der Linken abgeben kann. Selbst wenn ihm juristisch in New York nichts vorzuwerfen ist, sind doch Umstände über seinen Lebenswandel bekanntgeworden, die viele abschrecken könnten. Sein protziger Lebensstil zwischen Porsche, Luxussuiten und Trüffel-Pasta dürfte gerade linke Franzosen irritieren.

Darüber hinaus droht Strauss-Kahn nun auch in Frankreich eine Anzeige wegen versuchter Vergewaltigung. Wie der Anwalt David Koubbi am Montag sagte, werde die Autorin Tristane Banon am Dienstag in Paris Klage einreichen. Banon bezieht sich auf einen Vorfall vom Februar 2003, als Strauss-Kahn sie angegangen haben soll.

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