Vorwürfe gegen Pakistan:Gefährlicher Grenzverkehr

Pakistan behauptet, die Taliban in der Region zu Afghanistan zu bekämpfen - doch unabhängige Beobachter werfen dem Land vor, die Aufständischen logistisch zu unterstützten.

Tobias Matern, Damadola

Auf dem staubigen Boden liegen eine Packung mit Medikamenten, Sandalen, ein Koran, Matten und Kissen. Angenehm kühl ist es im Inneren der Höhle. Flach sind die Decken, gerade so, dass man darin stehen kann. Ein verzweigtes Netz aus Gängen führt ins Innere des Felsens. Einer der Räume diente als Küche, nebenan findet sich ein karg eingerichtetes Schlafzimmer. Hier waren Menschen am Werk, die Zeit hatten, die einst ungestört buddeln konnten, um sich ihren Stützpunkt zu errichten. Über Verästelungen geht es wieder nach draußen, in die pralle Sonne. Schießscharten sind zu erkennen. Ein Wecker in Form einer Miniatur-Moschee liegt vor der Höhle, die auf einer Anhöhe gelegen ist. Der Zeiger der Plastik-Uhr funktioniert nicht mehr.

Vorwürfe gegen Pakistan: Pakistanische Soldaten bei Damadola in der Region Bajaur.

Pakistanische Soldaten bei Damadola in der Region Bajaur.

(Foto: ag.afp)

Damadola in der pakistanischen Bajaur-Region: Nur noch ein paar Kilometer sind es von hier aus bis nach Afghanistan, die Berge sind schon klar zu erkennen. Wo das Nachbarland anfängt und Pakistan aufhört, ist hingegen nicht immer so eindeutig auszumachen. Die Grenze wurde vor mehr als 100 Jahren von den britischen Kolonialherren am Reißbrett gezogen, sie verläuft in manchen Dörfern mitten durch Häuser. Heute ist die ungenaue Markierung eine der zentralen Gründe für die Stärke der Taliban: geraten sie in dem einen Land unter Druck, fliehen sie auf die andere Seite der Grenze. Auf der Anhöhe von Damadola griff die pakistanische Armee im Februar eine der letzten Bastionen der Aufständischen in der Region an. Neun Soldaten starben allein in dieser Schlacht. Das Militär fand anschließend nach eigenen Angaben mehr als 30 getötete Taliban-Kämpfer. In der Höhle sieht es aus, als hätten die übrigen Islamisten vor ihrer Flucht keine Zeit verschwendet, irgendetwas zu packen. Alles liegt wild durcheinander verstreut.

Die pakistanische Armee hat an diesem Tag ein halbes Dutzend deutscher Journalisten mit einem Helikopter aus der Hauptstadt Islamabad nach Bajaur geflogen. Die Region gehört zu den weitgehend autonomen Stammesgebieten Pakistans, die Regierung hat hier wenig Einfluss. Lange Zeit war auch Bajaur ein Rückzugsgebiet für die Taliban, bis die Armee im Jahr 2008 eine Offensive gegen die Aufständischen begann und nach mehr als einem Jahr für weitgehend beendet erklärte. Normalerweise ist dieses Gebiet für unabhängige Berichterstatter nicht zugänglich, aber die Armee möchte die Vorwürfe des Westens widerlegen, der offizielle Verbündete Pakistan tue im Kampf gegen die Taliban zu wenig.

Einige Kilometer von der Höhle entfernt, im Hauptquartier des Grenzcorps, zeigt Oberst Nauman Saeed grausame Bilder. Ein enthaupteter Soldat ist auf den Aufnahmen zu erkennen, angeblich von den Taliban hingerichtet. Es folgen Karten von Bajaur. Schattiert sind darauf die Gebiete, aus denen die Aufständischen vertrieben worden sind, auch die Stämme hätten sich dem Kampf angeschlossen, erzählt Saeed. Fast die komplette Region sei nun "unter Kontrolle". In pakistanischen Zeitungen heißt es allerdings, Bewohner in Bajaur berichteten inzwischen wieder voller Schrecken von Drohbriefen der Taliban.

Die Sichtweise Pakistans

Die pakistanischen Stammesgebiete, sagt Saeed während seines Vortrags, seien nicht der zentrale Grund für die Probleme der Nato in Afghanistan. Im Gegenteil: Erst durch den Einmarsch des Westens im Nachbarland seien etliche zusätzliche Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer nach Pakistan gekommen. Nach der Offensive von Bajaur wiederum hätten sich die Aufständischen auf die andere Seite der Grenze geflüchtet. Es klingt ein wenig wie ein Nullsummenspiel im Kampf gegen die Extremisten.

Pakistan, Afghanistan, Grenze

Lange Zeit war die Gegend mit seiner unübersichtlichen Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan Rückzugsgebiet für die Taliban, bis die Armee 2008 eine Offensive gegen die Aufständischen begann und nach mehr als einem Jahr für beendet erklärte. Gezielt führt man nun unabhängige Berichterstatter in die Region, um den Vorwurf des Westens zu widerlegen, Pakistan tue im Kampf gegen die Taliban zu wenig. (Zum Vergrößern bitte auf die Karte klicken.)

(Foto: SZ-Karte)

"Es gibt immer zwei Seiten einer Geschichte, wir würden uns wünschen, dass auch unsere Seite berichtet wird", sagt ein Mitarbeiter des umstrittenen pakistanischen Geheimdienstes ISI nach der Rückkehr aus Bajaur bei einem Gespräch in Islamabad. Die pakistanische Seite der Geschichte geht so: Kein anderes Land hat im Kampf gegen den Terrorismus einen so hohen Preis gezahlt. Allein in den vergangenen vier Jahren seien in den Kämpfen an der Grenze zu Afghanistan mindestens 2700 pakistanische Soldaten gefallen, sagt der ISI-Mann. Hinzu kämen Tausende tote Zivilisten, gestorben bei Selbstmordanschlägen im ganzen Land. "Wir bekämpfen die Aufständischen, wir unterscheiden nicht nach afghanischen oder pakistanischen Taliban", sagt der Geheimdienst-Mann.

Die Liste der unabhängigen Beobachter, die dies bezweifeln, ist lang. Die London School of Economics etwa stellte jüngst eine umfassende Studie vor, der Autor hat dafür mit afghanischen Taliban-Kommandeuren gesprochen. Die Verbindungen des pakistanischen Geheimdienstes zu den Aufständischen, heißt es darin, sind demnach noch intensiver als bisher schon angenommen. Die Islamisten erhielten vom ISI logistische Unterstützung, Geld, Waffen. Der Mann vom Geheimdienst hat zwei Worte für die Studie übrig: "Totaler Müll".

Aber auch unabhängige pakistanische Experten sind sich sicher, dass die pakistanische Armee ihren Kampf auf den Teil der Aufständischen konzentriert, der dem pakistanischen Staat den Krieg erklärt hat. "Die afghanischen Taliban sind aus Sicht der Armee und des Geheimdienstes eine strategische Trumpfkarte", sagt ein Sicherheitsexperte, der dem Mann vom ISI damit fundamental widerspricht, mit ihm aber gemein hat, anonym bleiben zu wollen. Noch immer halte sich die Führungsebene der Taliban in Pakistan auf, die Armee wolle mitreden, wenn es um die künftige Machtstruktur in Afghanistan geht. Die Taliban spielten in diesen Erwägungen eine zentrale Rolle, sagt der Experte. Der ISI-Mann weist dies zurück, räumt aber ein, dass sein Dienst aufgrund der historischen Bande zu den Extremisten versuchen könne, bei Gesprächen zu vermitteln, um eine Aussöhnung in Afghanistan auf den Weg zu bringen. "Wenn man uns fragt, könnten wir die entsprechenden Kontakte wohl herstellen."

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