Vorwahl der Republikaner in Florida:Lautsprecher Gingrich kämpft gegen den Trend

"Wir müssen ihn stoppen": Mit Pizza-König Herman Cain und dem Sohn Ronald Reagans präsentiert sich Newt Gingrich als einzig konservative Alternative zu US-Präsident Obama. Auch wenn die Vorwahl in Florida wohl verlorengeht, plant Stehaufmännchen Gingrich, noch lange weiterzukämpfen. Die Partei-Elite ist entsetzt, doch seine Anhänger feiern ihn für seine plumpen Slogans und seine scharfe Zunge.

Matthias Kolb, Tampa

Newt Gingrich kämpft gegen die Zeit. Eigentlich hätte er bereits um 13 Uhr im "Tampa Jet Center" vor das Mikrofon treten sollen, um eine kämpferische Rede vor seinen Anhängern zu halten. Doch wie so oft in diesem Vorwahlkampf verspätet sich der frühere Sprecher des Repräsentantenhauses, und so bleibt den 250 meist älteren Besuchern genug Zeit, sich von den Reportern befragen zu lassen, sich neue Anti-Obama-Sticker zu kaufen und die aktuellsten Umfragewerte zu diskutieren.

U.S. Republican presidential candidate and former Speaker of the House Newt Gingrich speaks at a rally in Orlando, Florida

Newt Gingrich kämpft gegen die Zeit: Laut einer Erhebung liegt der US-Republikaner im Vorwahlkampf weit hinter seinem Konkurrenten Mitt Romney.

(Foto: REUTERS)

Einer Erhebung der Quinnipiac University zufolge kann Mitt Romney mit 43 Prozent rechnen, während für Gingrich nur 29 Prozent prognostiziert werden. Rick Santorum und Ron Paul kommen jeweils auf elf Prozent. Seinen Coup von South Carolina, als er einen ähnlichen Rückstand auf Romney aufholen konnte, wird Gingrich nicht wiederholen können. Dazu fehlt ihm wenige Stunden vor der Primary an diesem Dienstag schlicht die Zeit.

Martha Saddler meint, den Grund für Gingrichs Rückstand zu kennen: "Romney überschwemmt ganz Florida mit seinen verleumderischen Werbespots." Das Geld habe einen viel zu großen Einfluss, sagte die 69-Jährige. Sie glaubt Gingrichs Argumentation, dass er nicht als Lobbyist für die umstrittenen Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac gearbeitet habe, sondern nur wegen seiner Kenntnisse als Historiker 1,6 Millionen Dollar Gehalt bekam. Saddler trägt ein blaues T-Shirt mit der Aufschrift "Newt 2012" und hält Gingrichs Roman To Try Men's Souls in der Hand. Sie möchte ihn signieren lassen, denn sie bewundere seine Intelligenz.

In der Halle haben Techniker blaue Trennwände aufgebaut, die kaschieren sollen, dass der 68-Jährige keine Massen angezogen hat. Der Begeisterung seiner freiwilligen Helfer schadet dies nicht: Sorgfältig werden die Besucher ausgewählt, die hinter dem kleinen Pult postiert werden. Neben zwei Rentnern sitzt ein Farbiger, ein junger Kerl neben dem Vietnamveteran. Und der Einwanderer aus Pakistan unterhält sich mit einer blonden Dame in der ersten Reihe. Sie tritt ans Mikrofon, stellt sich als Kelly vor und verspricht, dass Newt gleich kommen werde. "Ist dies nicht ein großartiger Tag, um ein Reagan-Republikaner zu sein?", kreischt sie dem Publikum entgegen.

"Ruft eure Freunde an, nutzt Facebook"

In der folgenden halben Stunde treten einige Gingrich-Fans ans Mikro und mühen sich, die Zuhörer bei Laune zu halten. Ihre Sprüche sind altbekannt: Nur der Mann aus Pennsylvania könne US-Präsident Barack Obama in Debatten besiegen, Amerika vor dem Ruin bewahren und zu alter Stärke führen. Vor dem Hintergrund, dass 600.000 Republikaner in Florida bereits abgestimmt haben, klingen die Aufforderungen, nicht nachzulassen, fast verzweifelt: "Das Rennen ist noch nicht entschieden. Ruft eure Freunde an, nutzt Facebook. Newt braucht jede Stimme", ruft ein Gingrich-Unterstützer. "Vier weitere Obama-Jahre überlebt das Land nicht", sagt er unter dem Jubel der Zuschauer. Es folgt ein Gebet, das Treuegelöbnis vor der amerikanischen Flagge und dann geht die Show los.

Zunächst schnappt sich Michael Reagan das Mikrofon. Der 66-Jährige arbeitete einst als Radiomoderator und weiß, was Konservative hören wollen: Die Liberalen in Amerika vergleicht er mit "Termiten", die das Fundament eines Hauses zerstören wollten. "Man muss sie jeden Tag bekämpfen, denn sie fressen unablässig", ruft er unter dem Johlen der Zuschauer.

Doch Michael Reagan ist aus einem anderen Grund wichtig für die Kampagne "Newt 2012": Er wurde als Baby vom Schauspieler Ronald Reagan adoptiert - und Gingrich inszeniert sich als Nachfolger des legendären US-Präsidenten. Zwar war er während Reagans Amtszeit nur Hinterbänkler im Repräsentantenhaus, doch Anfang 2012 brüstet er sich damit, mit Reagan 16 Millionen Jobs geschaffen zu haben. Der von Mitt Romney gern angeführte Hinweis, dass der Name "Newt Gingrich" nur ein einziges Mal in Reagans Memoiren erwähnt wird, tut dieser als Neid ab.

Witze über die liberalen Medien

Die Aufgabe, das Publikum vor Gingrichs Auftritt so richtig anzuheizen, übernimmt Herman Cain. Der einstige Pizza-König wollte bis Dezember selbst US-Präsident werden, doch dann musste er wegen mehrerer Vorwürfe sexueller Belästigung und ehelicher Untreue seine Kandidatur beenden. Eineinhalb Wochen, nachdem er an der Seite des TV-Satirikers Stephen Colbert in South Carolina (mehr zu den Hintergründen) aufgetreten war, legt er sich nun für Gingrich ins Zeug.

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Eine Anhängerin Gingrichs bei dessen Rede im "Tampa Jet Center": Stänkern gegen liberale US-Medien gehört dazu.

(Foto: AFP)

Er unterstütze den 68-Jährigen aus drei Gründen: Gingrich wolle Amerika unabhängig von Energieimporten machen, die Steuerregeln vereinfachen und könne sich in Rededuellen gegen Obama behaupten. Cain genießt seinen Auftritt sichtlich, macht Werbung für seine Website und übt sich in einer Disziplin, die unter Republikanern fast noch beliebter ist, als Obama zu beschimpfen: Er macht Witze über die liberalen Medien.

Dutzende Interviews habe er seit seinem öffentlichen Bekenntnis zu Gingrich geben müssen und die "smarten Journalisten" hätte vor allem interessiert, was er für sein endorsement erhalten habe. "Mir wurde nichts angeboten und ich habe nichts bekommen. Diese Leute können sich wohl nicht vorstellen, dass Amerikaner etwas aus Überzeugung tun", spottet Cain, während die Fans von FoxNews im Publikum begeistert ihre "Don't believe the liberal media"-Schilder schwenken.

Zwei Stunden verspätet

Mit fast zwei Stunden Verspätung betritt dann endlich Newt Gingrich selbst die Bühne. An seiner Seite steht im blauen Kostüm Callista Gingrich, die 23 Jahre jüngere Ehefrau Nummer drei, deren weißblonde Helmfrisur ebenso unerschütterlich ist wie ihr Dauerlächeln. Der 68-Jährige mit den weißen Haaren stellt noch kurz seine Tochter Jackie Cushman vor, die ihm seine besten Trainer für die TV-Debatten geschenkt habe - nämlich die beiden Enkel.

Dies ist der erste Seitenhieb gegen seinen Widersacher Mitt Romney, der sich mit professioneller Hilfe zuletzt schlagfertiger präsentiert hatte. Gingrich zündet ein Feuerwerk an bekannten und neuen Anschuldigungen gegen den früheren Gouverneur von Massachusetts: Dieser habe jüdischen Senioren das koschere Essen gestrichen, um täglich fünf Dollar einzusparen, einst an Demokraten gespendet und sich in den achtziger Jahren nicht um Politik gekümmert, während er mit Ronald Reagan für Amerikas Erfolg geackert habe. "Wer ist dieser Mann, der meine konservative Glaubwürdigkeit anzweifelt?", ruft Gingrich.

Zwar schimpfen Amerikas Konservative liebend gern über liberale Medien wie CNN oder die New York Times, doch wenn es in die Argumentation passt, werden sie auch von Newt Gingrich gern als glaubwürdige Quellen genannt und zitiert: Ein langer Artikel habe beschrieben, mit welch hinterhältigen Mitteln das Romney-Lager (der Originaltext in der New York Times) gegen ihn intrigiere. Gekonnt spielt Gingrich die "Ich gegen den Rest der Welt"-Karte aus, die seine politische Rhetorik seit langem prägt. Oft spricht er von "wir" gegen "die" - wobei wahlweise Demokraten, Chinesen oder Europäer den Part des Gegners einnehmen.

Seinen auch von Gegnern nie angezweifelten Intellekt kleidet er in Kategorien wie "Gut gegen Böse" oder "Schwarz gegen Weiß" und dies kommt beim Publikum in Tampa ebenso gut an wie seine Pläne, eine US-Kolonie auf dem Mond zu errichten oder die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, um Israel den Rücken zu stärken.

Die republikanische Elite erwartet Störfeuer

In jeder Sekunde ist der beleibte Gingrich präsent, er reagiert auf Zwischenrufe und macht Witze. In Tampa lässt der speaker keinen Zweifel daran, dass er noch lange kämpfen wird - auch wenn die Vorwahl im sunshine state verlorengeht (mehr über die Bedeutung des swing state Florida). Er weiß wie seine Gegner, dass er schon zwei Mal am Boden lag und sich wieder aufgerappelt hat. Zudem ist dies seine letzte Chance, ins Weiße Haus einzuziehen, weshalb sich die republikanische Elite auf zahlreiche Störfeuer einstellt. Sie wissen: Gingrich wird sich erst in den Dienst der Partei stellen, wenn auch seine letzte Erfolgschance zerstoben ist.

Offensiv kämpft er in den letzten Tagen um die Anhänger des erzkonservativen Rick Santorum und argumentiert, es gebe in der Grand Old Party noch immer eine Anti-Romney-Mehrheit. "Rick wird am Dienstag ein gutes Ergebnis erzielen und dann werden wir darüber sprechen, wie wir Romney ausstechen können", orakelte Gingrich jüngst.

Um sein Argument zu untermauern, er sei der beste Gegenentwurf zu Obama, zitiert Gingrich den in rechten Kreisen verhassten Milliardär George Soros. Dieser hatte gesagt, er sehe zwischen Romney und Obama keine großen Unterschiede. "Wenn Romneycare und Obamacare identisch sind, wie soll sich ein moderater Republikaner da als Alternative präsentieren?", fragt der 68-Jährige sein Publikum. Dies dürfe in dieser "wichtigsten Wahl unseres Lebens" nicht passieren, so Gingrich, der Obama stets als "den gefährlichsten Präsidenten" bezeichnet.

Nach der Rede schütteln Callista und Newt viele Hände, signieren Bücher, Plakate und T-Shirts, bevor es weitergeht im Kampf gegen die Zeit und die angehäufte Verspätung. Den Anhängern hat der kurze Auftritt gefallen. Der 50-jährige Tony Incardoni, der die Rede mit einem lauten "Newtron Bomb" kommentiert hatte, hält Gingrich für den besten Kandidaten. Romney habe keine Ahnung vom Alltag der "normalen Amerikaner", schimpft er. Die Tatsache, dass der Multimillionär in allen Umfragen führt, erklärt Incardoni so: "Das Establishment ist gegen Gingrich - sowohl bei den Demokraten als auch bei den Republikanern. Aber mit der Hilfe des Volks wird er gewählt werden."

Der Autor ist bei Twitter unter @matikolb zu erreichen.

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