Süddeutsche Zeitung

US-Demokraten:"Die Wähler sind in Shopping-Laune"

Die Suche nach einem Herausforderer für Trump ist völlig offen. Neera Tanden ist Chefin des Center for American Progress. Sie erklärt, warum es so schwer ist, den Präsidenten zu schlagen.

Interview von Matthias Kolb

Neera Tanden, 49, ist Präsidentin des linksliberalen Thinktanks Center for American Progress, das den Demokraten nahesteht. Zuvor war sie Beraterin im Gesundheitsministerium und arbeitete für Hillary Clinton und Barack Obama.

SZ: Die ersten Vorwahlen der Demokraten haben Pete Buttigieg und Bernie Sanders gewonnen. Kam das überraschend?

Neera Tanden: Es war nicht zu erwarten, dass Pete Buttigieg so gut in Iowa abschneidet und dass Amy Klobuchar in New Hampshire Dritte wird. Bernie Sanders musste die Erwartungen erfüllen, und das hat er geschafft. Für mich zeigen die Ergebnisse, dass die Wähler in Shopping-Laune sind.

Was meinen Sie damit?

Die Basis der Demokraten will sich noch nicht festlegen. Die Umfragen sind wenig verlässlich, und wie bei Amy Klobuchar, der Senatorin aus Minnesota, kann ein guter Auftritt in einer TV-Debatte einen großen Unterschied machen. Ich habe 2008 im Team von Hillary Clinton gearbeitet - und da waren nach Iowa nur noch drei Kandidaten dabei. Davon sind wir heute weit entfernt. Die Demokraten suchen vor allem jemanden, der Trump besiegen kann. Und wirklich überzeugt hat noch keiner.

Warum ist Mike Bloomberg, der frühere Bürgermeister New Yorks, so populär?

So richtig kann ich das nicht erklären. Natürlich besteht Bloombergs Vorteil darin, dass er 60 Milliarden Dollar besitzt und bereit ist, drei oder vier in die Kampagne zu stecken. Dass Trump auf Twitter dauernd "Mini Mike" attackiert, hilft Bloomberg. Die Wähler sehen, dass sich Trump angegriffen fühlt. In Wirtschaftsfragen steht Bloomberg rechts von der Parteilinie, aber er fordert auch strengere Waffengesetze und mehr Klimaschutz. Andererseits gibt es viel Kritik am Vorgehen der New Yorker Polizei während seiner Amtszeit, die Latinos und Schwarze diskriminiert haben soll. In der TV-Debatte in Nevada in der Nacht auf Donnerstag werden ihn die anderen Kandidaten angreifen.

Wie werben diese für sich?

Sanders argumentiert, dass er eine große Bewegung hinter sich hat und neue Wähler mitbringt. Buttigieg und Klobuchar werben damit, dass sie Wahlen im Mittleren Westen gewonnen haben, wo die Republikaner wegen Trump stark sind. Buttigieg siegte in Iowa in ländlichen Wahlkreisen, dort, wo Sanders 2016 gegen Clinton gewonnen hatte. Es gibt sehr viel Bewegung.

Joe Biden setzt alles auf South Carolina, wo viele Afroamerikaner leben. Ist es vorbei, wenn er dort nicht gewinnt?

Wählbarkeit ist sein zentrales Argument. Er sagt, 40 Prozent der demokratischen Wähler sind Schwarze, Latinos oder Asian Americans, während Iowa und New Hampshire komplett weiß sind. Aber Biden muss auch in Nevada jene moderaten Amerikaner zurückholen, die er an Buttigieg verloren hat. Wenn er sich endlich einmal gut in der Debatte präsentiert, könnte er auch in Nevada auf Platz zwei hinter Sanders landen. Aber wenn Biden Anfang März in South Carolina nicht gewinnt, dann gibt es keine Argumente mehr für ihn.

Am Samstag findet die Vorwahl in Nevada statt. Was macht den Staat besonders?

Unter den Wählern sind viele Latinos, zudem sind die Gewerkschaften einflussreich wegen der Casinos und Hotels in Las Vegas. Anders als in Iowa und New Hampshire sind sie aber nicht politikbesessen. Die Art, wie sie Politiker beurteilen, entspricht viel mehr jener der Normalbürger.

Viele Experten glauben, dass Trump im November nicht zu besiegen ist.

Es ist nicht unmöglich, gegen ihn zu gewinnen, aber sehr schwer. In landesweiten Umfragen verliert er gegen alle Bewerber der Demokraten, aber in umkämpften Bundesstaaten wie Wisconsin liegt er gleichauf. Trump ist als Person zwar unbeliebt, aber er wird bei jedem Herausforderer sagen: "Dank mir boomt die Wirtschaft, wollt ihr das riskieren durch die Wahl eines Sozialisten?" Auf Facebook schaltet er seit September unzählige Anzeigen, die Amerikanern in den Vororten großer Städte diese Botschaft einhämmern sollen. In den Tweets wirkt er oft verrückt, aber das ist hochprofessionell gemacht. Für Sanders ist der Sozialismusvorwurf sehr gefährlich, aber er hat eine breite Koalition hinter sich - und viel mehr Unterstützung unter Latinos als noch 2016. Darüber hinaus hat er einen Vorteil, den man nie unterschätzen darf: Seine Anhänger sind enthusiastisch und loyal.

Welche Koalition kann Trump schlagen?

Im Vergleich zur Obama-Zeit ist es schwerer, junge Leute und Afroamerikaner zu mobilisieren. Bei der Kongresswahl 2018 waren die Demokraten erfolgreich, weil mehr Akademiker für sie stimmten, vor allem in den Vororten. Diese Leute könnten Bloomberg oder Buttigieg besser ansprechen, aber die haben es wohl schwerer bei Minderheiten. Am Ende muss das Ziel, Trumps zweite Amtszeit zu verhindern, alle vereinen. Ich glaube, dass viele Amerikaner, die Trump für eine existenzielle Gefahr halten, auch für Sanders stimmen könnten. Der sollte im Fall einer Niederlage in den Vorwahlen seine Anhänger aufrufen, den Kandidaten der Demokraten zu wählen.

Wenn Trump wiedergewählt wird, muss Europa dann Angst haben?

Auch die Amerikaner sollten Angst vor einer zweiten Amtszeit Trumps haben. Die vergangenen Tage haben das gezeigt: mit seinen Attacken auf Staatsanwälte und den Entlassungen von Colonel Alexander Vindman und Botschafter Gordon Sondland, die im Impeachment-Verfahren ausgesagt hatten. Trump glaubt, dass er dort freigesprochen wurde, dabei hat ihn die eigene Partei gerettet. Wenn Trump wieder gewinnt, dann wird er endgültig glauben, dass er alles tun kann, was ihm in den Sinn kommt.

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Quelle:
SZ vom 19.02.2020/saul
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