Aggressive Sprüche und Vorurteile machen oft sprachlos. Wie sich das vermeiden lässt, erklärt Melinda Tamás, 41, die als wissenschaftliche Forscherin und Trainerin in der Politischen Bildungsarbeit tätig ist. Sie beschäftigt sich mit Strategien gegen Diskriminierung und Rassismus.
SZ: Frau Tamás, jeder kennt diese unangenehmen Situationen: Man wird Zeuge, wie jemand rassistisch beleidigt wird, man hört einen Bekannten über Flüchtlinge schimpfen oder bekommt sexistische Kommentare eines Kollegen mit. Was bringt es, sich in solchen Fällen einzumischen?
Melinda Tamás: Das hängt von der Situation und Ihren Zielen ab. Sie müssen ja nicht ständig kampfbereit sein. Aber Sie sollten bereit sein, Widerstand zu leisten, wenn Sie nicht einverstanden sind. Machen Sie sich klar, warum Sie intervenieren wollen. Um Anstöße zum Nachdenken zu geben? Um eine Basis für eine mögliche Diskussion zu schaffen? Zum Deeskalieren? Aus Solidarität mit dem Opfer? Wegen der Außenwirkung, also für die Umstehenden? Ausgehend von einer klaren inneren Haltung können Sie sich mehrere Strategien zurechtlegen, damit Sie aus der Situation mit dem Gefühl herauskommen, etwas getan zu haben.
Und welche Strategien schlagen Sie vor?
Meiner Erfahrung nach sind aufmerksames Zuhören und Gegenfragen am effektivsten. Man kann damit zum einen abklären, worum es eigentlich geht. Das ist oft nicht nur für uns, sondern auch für das Gegenüber ein Aha-Erlebnis. Zum anderen kann man sie einsetzen, um zu irritieren und zu dekonstruieren. Zum Beispiel bei der umstrittenen Frage an Menschen mit womöglich ausländischen Wurzeln: "Wo kommen Sie denn her?" Wenn man das nach einer knappen Auskunft pariert mit einem "Und Sie?" ist erstmal der andere dran und merkt vielleicht, wie unpassend diese Frage sein kann.
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Und wie kriege ich den anderen dazu, dass er seine Ansichten ändert?
Manchmal merkt man, dass eine Meinung nicht festgefahren ist und man mit einem Einwand noch etwas erreichen kann. Aber oft sind es ein Leben lang gepflegte Vorurteile, die sich nicht mal eben mit Argumenten oder Fakten auflösen lassen. Politische Bildung ist immer Millimeterarbeit. Ihr Ziel sollte nicht ausschließlich sein, ein Weltbild zu ändern, sondern eher dieses Bild zu erweitern, eine neue Sichtweise hinzuzufügen, Denkanstöße zu geben. Sie können nie wissen, was Sie beim anderen auslösen - oft wirkt so etwas nach.
Haben Sie ein Beispiel?
Als ich einmal mit der Straßenbahn gefahren bin, hat ein Mann einen dunkelhäutigen Fahrgast angepöbelt und so etwas gesagt wie: "Schon wieder so ein Dealer!" Und ich habe zurückgefragt: "Ach, kennen Sie den Herrn?" Er war dann sehr irritiert und hat nichts mehr gesagt.
Bei solchen Aussagen können Sie noch Witze machen?
Ja, Humor ist deswegen so nützlich, weil er so eine Situation auch entschärft. Humor bietet eine Möglichkeit im Dialog zu bleiben, souverän und respektvoll, aber vielleicht etwas schärfer zu reagieren, ohne beleidigend zu werden. Aber viel wichtiger ist, dass Sie sich einfach wehren, wenn Sie etwas ungerecht empfinden, ein Zeichen nach außen setzen und Partei ergreifen für Betroffene.
Wann hat ein Konter keinen Sinn mehr?
Bei demagogischer Kommunikation, also wenn jemand gar nicht wirklich an einem Austausch interessiert ist, sondern lügt, überdramatisiert, Täter-Opfer-Umkehr betreibt. Wenn das Ganze also nur die Inszenierung eines Gesprächs ist. Die Grenze verläuft auch entlang der politischen Extreme: Mit einem Holocaustleugner etwa brauche ich nicht zu diskutieren, solchen Leuten bietet man nur eine Bühne. Und wenn Aggressivität im Spiel ist, wird es womöglich gefährlich - dann richten Sie Ihre Aufmerksamkeit lieber auf das Opfer und fangen mit ihm eine Unterhaltung an, als mit dem Pöbler zu diskutieren. Für menschenverachtende Äußerungen oder Drohungen sind die Polizei oder Meldestellen (etwa hier oder hier) zuständig.
Denen werden immer mehr Übergriffe gemeldet. Wenn sich Hass und Hetze in der Gesellschaft ausbreiten, kann dann der Einzelne noch etwas ausrichten?
Ich mache Seminare und politische Bildungsarbeit seit 15 Jahren und es kommen immer mehr Menschen und suchen Rat. Manche Parolen und Vorurteile halten sich auch einfach hartnäckig. Umso wichtiger ist es, wegzukommen von diesem kollektiven "Wir gegen die anderen"-Bild, mit dem heutzutage gearbeitet wird, - und sich zu wehren. Gar nicht zu reagieren, bedeutet Zustimmung. Es reicht nicht zu spüren, dass es unrecht ist. Man muss handeln. Und Sie haben etwas getan, nicht nur für Sie selbst, sondern für die Betroffenen und damit grundsätzlich gegen ein intolerantes Klima.
Auch in Projekten wie der Werkstatt Demokratie versucht die SZ-Redaktion, Menschen zu kontroversen Themen miteinander ins Gespräch zu bringen - um den gesellschaftlichen Dialog zu verbessern und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Mehr zur aktuellen Werkstatt Demokratie lesen Sie hier.