Süddeutsche Zeitung

Vorschlag der Arbeitsagentur:Arbeitslose in Pflegeheime

Die Bundesagentur für Arbeit will "schwer Vermittelbare" bei der Pflege von Demenzkranken in Heimen einsetzen. Pflegeexperten sind entsetzt.

N. von Hardenberg und J. Nitschmann

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) will offenbar mehrere tausend Langzeitarbeitslose in Pflegeheime vermitteln. Derzeit würden überall in Deutschland Bewerberpools gebildet, sagte eine BA-Sprecherin. Teilnehmen könne jeder, der sich für die Arbeit in einem Heim interessiere und für eine Weiterbildung in Frage komme.

Hintergrund der Aktion ist das neue Pflegegesetz. Demnach dürfen Heime künftig zusätzliches Personal zur Betreuung von Demenzkranken einstellen. Die Bundesregierung schätzt, dass dadurch 10.000 neue Stellen entstehen könnten. Pflegevertreter kritisieren die Pläne der BA, unqualifiziertes Personal zu vermitteln.

"Man kann nicht jeden in so einen belastenden Beruf schicken", sagte der Münchner Pflegeexperte Claus Fussek. Schon heute arbeiteten zu viele Menschen in der Pflege, die für diese Arbeit nicht geeignet seien. "Man muss sich für diesen Beruf entscheiden, und kann nicht hinein-entschieden werden", kritisiert auch Elisabeth Scharfenberg, pflegepolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag.

Die "zusätzlichen Betreuungskräfte" sollen sich um Alzheimerpatienten und altersverwirrte Bewohner kümmern. Pro 25 Demenzkranken darf ein Heim künftig eine zusätzliche Kraft einstellen. Die Kosten der neuen Mitarbeiter übernehmen die Pflegekassen. Diese Betreuer sollen mit dem Kranken den Alltag verbringen und sie beschäftigen. Diese Aufgabe sei jedoch alles andere als einfach, betonen Pflegeexperten. Der Umgang mit den Demenzkranken, die im Verlauf der Krankheit auch aggressiv werden können, erfordere viel Geduld und besondere Kenntnisse.

"Zynischer Aktionismus"

"Demenz gleichzusetzen mit basteln, vorlesen und Spazierengehen, ist eine Unverschämtheit", sagte Helmut Wallrafen-Dreisow, Mitglied des Kuratoriums Deutsche Altenhilfe. Er fordert, dass auch die Alltagsbetreuer eine intensive Schulung absolvieren müssen. "Die Pflegekasse will es immer möglichst billig haben, aber die Heime sollen weiterhin die hohen Qualitätsstandards erfüllen. Das passt nicht zusammen", kritisierte er. Der Behörden-Aktionismus sei zynisch.

Tatsächlich plant der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), der die Qualifikations-Anforderungen für die Alltagsbetreuer festlegt, offenbar nur eine Kurzausbildung. Zwar stellt der Verband ebenfalls hohe Ansprüche an die Bewerber. Diese müssten unter anderem "eine positive Haltung gegenüber kranken, behinderten und alten Menschen" haben, sollten teamfähig und zuverlässig sein, heißt es in dem Entwurf für die Umsetzungs-Richtlinie, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Andererseits sieht das Papier aber als Qualifikation lediglich eine Schulung von 100 Theoriestunden und 60 Praxisstunden plus einigen Praktika vor. "Wenn man sieht, was die alles können sollen, sind 160 Stunden ein bisschen wenig", kritisiert ein Sprecher der Deutschen Alzheimergesellschaft. Vergleichbare Lehrgänge hätten in der Vergangenheit etwa 900 Stunden vorgesehen. Die Richtlinie soll kommenden Dienstag vom GKV-Spitzenverband beschlossen werden.

Doch gerade in den vergleichsweise geringen Anforderungen sieht die Bundesagentur offenbar ihre Chance, auch Langzeitarbeitslose in den Pflegeheimen zu beschäftigen. Besonders offensiv bereitet die Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen die Vermittlung vor. In der Pflege entstünden derzeit neue Arbeitsplätze für "schwer vermittelbare Kunden", heißt es in einem internen Schreiben. "Alle Möglichkeiten müssen ausgeschöpft werden", um hier Arbeitslose unterzubringen.

NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte auf Anfrage der SZ, er begrüße grundsätzlich, dass Arbeitslosen mit der Ausweitung des Leistungskatalogs für Demenzkranke "eine neue Beschäftigungsperspektive" in Pflegeheimen eröffnet werde. Allerdings müsse bei dieser Rekrutierungsaktion "die menschliche Eignung der Bewerber" und "nicht ihre schwere Vermittelbarkeit" im Vordergrund stehen, betonte Laumann, der zugleich auch Gesundheitsminister ist und landesweit die Pflegeheime beaufsichtigt.

Bei der Bewerberauswahl müsse die Arbeitsverwaltung Arbeitslose "mit einer Grundqualifikation im Bereich der Alten- oder Familienpflege" ins Auge fassen. Laumann kündigte an, er werde umgehend das Gespräch mit der Arbeitsverwaltung suchen, "um bei der Aktivierung geeigneten Betreuungspersonals ein Höchstmaß an Qualität zu sichern."

Experten bezweifeln, dass unter den Arbeitslosen qualifizierte Pflegekräfte in nennenswerter Zahl zu finden sind. Schon heute suchen viele Heime verzweifelt nach geeignetem Pflegepersonal. Bei der Bundesagentur für Arbeit waren zuletzt 10.157 Stellen für Altenpfleger und Altenpflegehelfer gemeldet. Und das obwohl 30.000 Menschen mit dieser Qualifikation arbeitslos gemeldet waren.

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Quelle:
SZ vom 16.08.2008/ssc
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