Vorratsdatenspeicherung:Ermittler in Fesseln

Sind Polizei und Geheimdienste nach dem Karlsruher Urteil noch voll handlungsfähig? Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger will sich im Streit um eine Gesetzesnovelle nicht unter Druck setzen lassen.

Susanne Höll

In der tief zerstrittenen schwarz-gelben Bundesregierung gab es bislang zwei Ministerien, die unerwartet gut, zumindest aber geräuschlos zusammenarbeiteten: das CDU-geführte Bundesinnenministerium und das von der FDP besetzte Justizministerium. Mit dem Datenurteil aus Karlsruhe bricht nun auch zwischen diesen beiden Ressorts mutmaßlich folgenreicher Zwist aus.

Nicht einmal drei Stunden nach der Verkündung der Karlsruher Entscheidung wurde deutlich, wie unterschiedlich Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und seine Justizkollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger den Spruch der Verfassungsrichter werten.

Leutheusser-Schnarrenberger kündigte an, sie sehe keinerlei Zeitdruck für die Erarbeitung einer Novelle. De Maizière verlangte hingegen, man müsse nun "klug, aber schnell" ein neues Gesetz zur Umsetzung der von Karlsruhe diktierten Vorgaben schaffen.

De Maizières Parteikollege Wolfgang Bosbach, der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, ging noch weiter. "Jetzt müssen jede Nacht die Lichter im Justizministerium brennen. Wir brauchen ein neues Gesetz bis zum Sommer", sagte Bosbach der Süddeutschen Zeitung mit der Begründung, es gebe andernfalls Lücken bei der Abwehr schwerer Gefahren und bei der Strafverfolgung in Deutschland. "In tausenden von Fällen gibt es keine Fingerabdrücke, keine Zeugen, keine DNA-Spuren, sondern nur die Telekommunikationsdaten als Ermittlungsansatz", argumentiert Bosbach.

Unmittelbare Folgen für Polizei und Geheimdienste

Tatsächlich hat das Karlsruher Urteil unmittelbare Folgen für die Arbeit der Polizei und der Geheimdienste. Die dürfen nun keine jener Daten mehr nutzen, die bislang sechs Monate auf Grundlage des nun für verfassungswidrig erklärten Gesetzes gespeichert worden waren.

Die Deutsche Telekom kündigte unmittelbar nach dem Urteil an, keine Auskunft mehr über diese Informationen zu geben. Den Kriminalämtern und anderen Polizeibehörden bleiben diese Informationen bis zur Verabschiedung eines neuen Gesetzes verwehrt. Der Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst, für die der Zugang zu diesen Daten schon bislang sehr beschränkt möglich war, werden sie nach dem Karlsruher Richterspruch vom Dienstag möglicherweise niemals wieder erhalten.

Sicherheitsexperten übten prompt Kritik - nicht an den Verfassungsrichtern, aber an den Politikern der großen Koalition aus Union und SPD, die das Gesetz im November 2007 gegen die Stimmen von FDP, Grünen und Linkspartei verabschiedet hatten. Abermals habe eine schlampige Gesetzesformulierung dazu geführt, dass der Polizei ein notwendiges Ermittlungsinstrument aus der Hand geschlagen worden sei, schimpfte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg.

Für die Polizisten werde es nun schwieriger, Menschen vor Straftaten zu schützen, prophezeite Freiberg und drängt deshalb auch auf ein neues Gesetz, um gespeicherte Daten alsbald zur Aufklärung schwerer Verbrechen nutzen zu können.

Nach dem nun obsoleten Gesetz mussten seit 2008 Verbindungsdaten aus der Telefon-, Mail- und Internetnutzung für ein halbes Jahr aufbewahrt werden. Bei Telefongesprächen wurden Nummern, Datum und Uhrzeit des Gesprächs, bei Handy-Anrufen auch der Aufenthaltsort der Gesprächsteilnehmer registriert, bei Internetverbindungen die sogenannten IP-Identifizierungsadressen, Datum und Dauer der Nutzung.

Bei E-Mails wurden auch die Adressen aller Beteiligten sowie der Zeitpunkt des Versands zu den Akten genommen. Allein bei der Telekom sollen sich über die sechs Monate Speicherdauer 19 Terabyte an Daten angehäuft haben. Druckte man diese Sammlung auf Papier aus, würden fast fünf Milliarden DIN-A4-Seiten zusammenkommen.

Die Strafverfolgungsbehörden nutzten sie bislang für mannigfaltige Recherchen bei Verdacht auf schwere und schwerste Straftaten, die vom Kampf gegen Kinderpornographie bis hin zur Terrorabwehr reichen. Bei der Fahndung nach Besitzern von Kinderpornographie-Material bedienten sich die Ermittler der Telekommunikationsdaten, weil solche schmutzigen Geschäfte inzwischen hauptsächlich über Telefon und Internet abgewickelt werden. Der Innenexperte Bosbach vermutet, dass die deutschlandweit gut 300 Ermittlungen wegen islamistischen Terrorverdachts nun behindert werden könnten. Denn viele Spuren führten über Mobilanrufe und Internetverbindungen.

Welche konkreten Folgen das Urteil für die Arbeit der Ermittler ansonsten bedeutet, vermochten die Behörden am Dienstag noch nicht genau zu sagen. Aber auch das BKA machte klar, dass es eine baldige Neuregelung erwartet. Die Datenspeicherung sei alternativlos und man gehe davon aus, "dass der Gesetzgeber im Interesse der öffentlichen Sicherheit schnell eine den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts genügende Regelung schafft", teilte ein Sprecher mit.

Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger musste die Frage offen lassen, ob Beweismittel, die seit 2008 aus diesen Datensammlungen gewonnen wurden, nun überhaupt noch verwertet werden dürfen. Anders als die Polizeigewerkschaft sieht sie keine Lücken bei der Sicherheit und der Arbeit der Strafverfolgungsbehörden. "Wir haben keinen rechtsfreien Raum in Deutschland, der zu Sicherheitsproblemen führen könnte", sagte sie. Auch deshalb solle sich die Koalition bei den Überlegungen für ein neues Gesetz nicht unter einen unnötigen Druck setzen.

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