Vorgeburtliche Diagnostik:"Es geht um viel größere Fragen"

Vorgeburtliche Diagnostik: "Ich würde mir eine Willkommenskultur für jedes Kind wünschen“: Die SPD-Bundestagsabgeordnete Dagmar Schmidt mit ihrem fünfjährigen Sohn Carl.

"Ich würde mir eine Willkommenskultur für jedes Kind wünschen“: Die SPD-Bundestagsabgeordnete Dagmar Schmidt mit ihrem fünfjährigen Sohn Carl.

(Foto: Privat)

Die Abgeordnete Dagmar Schmidt, Mutter eines Down-Kindes, über pränatale Bluttests.

Interview von Michaela Schwinn

Mit Bluttests lässt sich feststellen, ob ein ungeborenes Kind das Downsyndrom hat. Sollen Krankenkassen die Tests zahlen? Damit beschäftigt sich der Bundestag an diesem Donnerstag. Dagmar Schmidt, 46, ist SPD-Abgeordnete. Ihr Sohn Carl wurde mit Downsyndrom geboren, ist nun fünf Jahre alt und "das Glück der ganzen Familie", sagt sie.

SZ: Frau Schmidt, sollen solche Bluttests zur Regelleistung werden?

Dagmar Schmidt: Das kommt auf die Rahmenbedingungen an. Zum Beispiel würde ich nie zustimmen, dass der Bluttest eine reguläre Schwangerschaftsuntersuchung wird. Wenn, dann sollte er nur bei Risikoschwangerschaften gezahlt werden. Aber es geht nicht nur darum, ob die Tests von den Kassen bezahlt werden sollen oder nicht. Es geht um viel größere Fragen.

Welche denn?

Diese Bluttests sind der Anfang. Bald werden wir wissen, ob ein Kind eine Neigung zu Adipositas, zu Rheuma oder Krebs hat. Wird Eltern bald ein Zettel mit Dutzenden Anomalien vorgelegt, auf dem sie ankreuzen müssen, was getestet werden soll? Und: Wie will unsere Gesellschaft mit diesen Möglichkeiten umgehen?

Als Sie schwanger waren, wurde Ihnen da ein Test auf Downsyndrom empfohlen?

Ich hatte eine sehr gute Frauenärztin. Sie sagte mir, dass es diese Möglichkeit gibt, fragte aber auch: "Was würde sich ändern, wenn Sie das Ergebnis bekommen?" Für uns Eltern war klar: nichts. Deswegen haben wir uns dagegen entschieden. Ich weiß aber von Bekannten, dass eine solche Beratung nicht der Standard ist.

Was haben sie erlebt?

Zum Beispiel, dass Ärzte sie überreden wollten: "Machen Sie doch den Test, dann können Sie sich sicher sein." Das finde ich falsch. Eltern sollten auch das Recht haben, eine hoffnungsvolle Schwangerschaft zu erleben, ohne sich mit Tests zu belasten. Wir brauchen ein Recht auf Nichtwissen.

Aber wenn es Eltern doch wissen wollen?

Das ist völlig in Ordnung. Dann dürfen sie mit ihrer Entscheidung aber nicht alleingelassen werden. Oft drängen Ärzte zu dem Test, wenn dann aber etwas festgestellt wird, dann bekommen die Eltern selten Hilfe. Hier bräuchte es mehr Aufklärung: Was ist das Downsyndrom? Wie leben Menschen damit? Und ihre Familien? Um das zu verstehen, könnten Gespräche mit Familien angeboten werden, die ein Kind mit Downsyndrom haben.

Wann haben Sie erfahren, dass Ihr Kind das Downsyndrom hat?

Wir haben es gleich nach der Geburt gemerkt. Die Ärzte haben lange rumgedruckst und sagten erst etwas dazu, als wir sie am nächsten Tag danach gefragt haben. Das war wirklich skurril. Was die Ausbildung der Ärzte angeht, besonders den menschlichen Umgang und die psychosoziale Begleitung in diesen Situationen, da sehe ich noch viel Verbesserungspotenzial.

Wie wurde Ihr Sohn aufgenommen?

Sehr positiv. Carl geht in einen normalen Kindergarten, und nächstes Jahr wird er ganz normal eingeschult. Trotzdem sind wir noch weit entfernt von einer wirklich inklusiven Gesellschaft. Ich würde mir eine Willkommenskultur für jedes Kind wünschen. Dann würde es Eltern auch leichter fallen, das Kind, das sie erwarten, so anzunehmen, wie es eben ist.

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