Vorfälle bei der Bundeswehr:Das Gift des Verdachts

Der tote Soldat in Afghanistan, die geöffnete Feldpost, die ums Leben gekommene Offiziersanwärterin auf der "Gorch Fock" - die Bundeswehr steht unter Dauerbeschuss, ständig kommen ominöse Details ans Licht. Was ist Fakt, was Kantinengeschwätz? Und: Hat die Bundeswehr versucht, diese schlimmen Ereignisse zu vertuschen?

Peter Blechschmidt

Wenn Firmen interne Vorgänge nicht an die große Glocke hängen, kann man dies in vielen Fällen nachvollziehen. Bei der Bundeswehr liegen die Dinge ein bisschen anders. Bis in diese Wochen hinein tun junge Männer unfreiwillig Dienst in den Streitkräften; sie haben Anspruch auf durch und durch korrekte Behandlung. Und der Bundestag verlangt zu Recht, über gravierende Vorkommnisse in der Parlamentsarmee rasch und zutreffend informiert zu werden.

Bundeswehr

Viele Fragen um interne Vorgänge in der Bundeswehr: Was ist Fakt und was ist Kantinengeschwätz?

(Foto: dpa)

Die jetzt bekanntgewordenen Vorfälle in der Bundeswehr wecken auch bei Abgeordneten der Koalitionsparteien Zweifel, ob diese Grundsätze immer eingehalten werden. Noch ist nicht geklärt, was es mit dem Tod eines Soldaten in Nordafghanistan, mit den mysteriösen Brieföffnungen eben dort und mit der angeblichen Meuterei auf dem Segelschulschiff Gorch Fock wirklich auf sich hat. Was ist Fakt und was ist Kantinengeschwätz? Was ist nachweislich passiert und was ist aufgebauscht? Sollten Missstände vertuscht werden oder wurde schlicht geschlampt? Handelt es sich, auch wenn jetzt drei Vorkommnisse zugleich bekannt wurden, um Einzelfälle? Oder muss man sich doch um Geist und Disziplin der Truppe Gedanken machen?

Der Reihe nach: Am Abend des 17. Dezembers 2010 erlitt im sogenannten Outpost (OP) North der Bundeswehr in Nordafghanistan ein 21-jähriger Hauptgefreiter eine Schusswunde. Er wurde per Hubschrauber in das nahe Feldlager in Pol-e-Khumri gebracht, wo er nach einer Notoperation starb. Es war der Vorabend des Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bei der Truppe. Der Todesfall überschattete den Besuch, Kanzlerin und Minister zeigten sich betroffen.

Unter den mitreisenden Journalisten machte schnell die Information die Runde, der Soldat sei beim Waffenreinigen tödlich getroffen worden. Guttenberg deutete zumindest an, dass ein zweiter Soldat in den Vorfall verwickelt gewesen sei. In der offiziellen Unterrichtung des Ministeriums für die Abgeordneten des Verteidigungsausschusses vier Tage später hieß es zu dem Vorfall lediglich, es sei "ein deutscher Soldat mit einer Schusswunde aufgefunden" worden. Über die näheren Umstände kein Wort.

Parlamentarier, die mehr erfahren wollten, erinnern sich heute, dass Vertreter des Ministeriums seinerzeit berichtet hätten, der Soldat habe sich mit seiner eigenen Waffe angeschossen. In anderen Gesprächen war die Rede davon, dass der tödliche Schuss aus der Waffe eines Kameraden gekommen sei.

Am Mittwoch dieser Woche erwähnte der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Kossendey bei seinem Lagebericht im Verteidigungsausschuss auch den Vorfall vom OP North noch einmal. Wieder lautete die Version, der tödliche Schuss sei beim Waffenreinigen aus der Waffe eines Kameraden gefallen. Da meldete sich der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus, zu Wort. Er sei gerade in Afghanistan gewesen und habe eine ganz andere Version gehört, erklärte Königshaus. In Berichten von Abgeordneten über die Sitzung hieß es dann, von einem bloßen "Auffinden" des Verwundeten könne keine Rede sein. Vielmehr habe sich der Vorfall in einem Zelt mit bis zu zehn anwesenden Soldaten ereignet. Sie hätten mit ihren Waffen herumgespielt.

Am Donnerstag wurde schließlich das Ermittlungsergebnis der Militärpolizei (Feldjäger) bekannt, die den Vorfall untersucht hatte. Danach hat der Unglücksschütze nach dem Reinigen seiner Pistole mehrmals das Funktionieren der Waffe überprüft, die er mittlerweile versehentlich wieder geladen hatte. Dabei löste sich ein Schuss und traf den Kameraden in den Kopf. Die Aussage eines Hauptgefreiten, dass sich die Soldaten gegenseitig in "spielerischem Umgang" ihre Waffen vorgehalten hätten, berücksichtigten die Feldjäger in der Zusammenfassung ihrer Ermittlungsergebnisse nicht. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft in Gera gegen den 21-jährigen Schützen.

Was geschah auf der Gorch Fock?

Für Verschwörungstheoretiker war ein gefundenes Fressen, was zeitgleich durch einen Brief des Wehrbeauftragten bekannt wurde. Über drei Monate hinweg, so Königshaus, seien "offenbar in großer Zahl und systematisch" Briefe von Soldaten just jener Einheit geöffnet worden, die im OP North stationiert war.Laut Königshaus war er eher zufällig bei einem Gespräch mit Soldaten auf diese Information gestoßen. Eine Erklärung hatte auch er nicht. Unklar war am Donnerstag noch, in wie vielen Fällen tatsächlich Briefe geöffnet wurden. Während Königshaus ja von einer "offenbar großen Zahl" geschrieben hatte, wurde am Donnerstag bekannt, dass sieben oder acht Soldaten von einer Brieföffnung erzählt hatten.

Aufklärungsbedarf besteht auch in dem dritten von Königshaus publik gemachten Fall. Laut dem Wehrbeauftragten hatten sich Offiziersanwärter der Marine bei ihm über entwürdigende Vorfälle auf dem Segelschulschiff Gorch Fock beschwert. Nach dem tödlichen Sturz einer Offiziersanwärterin aus der Takelage in einem brasilianischen Hafen hätten sich einige der Kadetten geweigert "aufzuentern". Andere hätten die Reise nicht fortsetzen wollen. Die Schiffsführung habe zwei Offiziersanwärter als Vermittler zu den aufgebrachten Soldaten eingesetzt. Diesen beiden sowie zwei weiteren Anwärtern habe der Kommandant später Meuterei und Aufwiegelung vorgeworfen, er habe sie aus der Offiziersausbildung ablösen wollen. Dazu sei es nicht gekommen, weil die Ausbildungsreise abgebrochen wurde.

Damals war der Eindruck entstanden, dieser Abbruch entspringe der Fürsorge für die verunsicherten Soldaten. Die neuen Erkenntnisse nähren allerdings den Verdacht, man habe die schweren Querelen an Bord vertuschen wollen. Auch wenn Königshaus am Donnerstag versicherte: "Es gab keine Meuterei." Einige hätten lediglich nach dem Unfall nicht zum Tagesbetrieb übergehen wollen. "Das wurde von der Schiffsführung nicht gutgeheißen", sagte Königshaus dem Fernsehsender N24. Was genau geschah, wird eine Kommission untersuchen, die nächste Woche in Südamerika an Bord der Gorch Fock gehen soll. Der Wehrbeauftragte ist mit zwei Beamten dabei.

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