Vorbild Singapur:Mit Befehl und Bing, Bing, Bing

Parag Khanna plädiert für einen superschlanken Informationsstaat. Dieser Vorschlag hat gewiss seinen Reiz. Aber er ist gefährlich - denn schon regiert in den USA ein Mann per computergestützter Technokratie.

Von Adrian Lobe

Im Jahr 2014 reichte die Aktivistin und Google-Mitarbeiterin Justine Tunney, eine der Initiatorinnen der Protestbewegung Occupy Wall Street, beim Weißen Haus eine Online-Petition ein, in der sie forderte, dass die Tech-Industrie die Kontrolle über die Regierung übernehmen solle. In der Petition rief sie US-Präsident Barack Obama dazu auf, ein nationales Referendum über folgende drei Punkte abzuhalten. Erstens: Alle Regierungsmitarbeiter in die Rente schicken. Zweitens: Die administrativen Kompetenzen an die Tech-Industrie delegieren. Und drittens: Google-Chef Eric Schmidt zum CEO von Amerika ernennen. Tunneys Petition erhielt lediglich eine Handvoll Unterstützerunterschriften, doch ihr Vorschlag fand auch außerhalb des libertären Spektrums ein breites Echo. Ihr Befund, dass die Institutionen Amerikas verknöchert sind, wird von vielen geteilt. Ist die Demokratie veraltet?

Der indisch-amerikanische Politikwissenschaftler Parag Khanna, dem breiten Publikum als CNN-Experte für Globalisierung und Geopolitik und Bestsellerautor ("Connectography", "How to Run the World") bekannt, reiht sich in den Chor der Kritiker ein. In seinem neuen Buch "Technocracy in America: Rise of the Info-State" plädiert er für einen superschlanken Informationsstaat nach dem Vorbild Singapurs und der Schweiz, der mithilfe technologischer Fähigkeiten auf die Herausforderungen der Digitalmoderne reagieren kann.

Wall Street Hope Revived as Trump Plans to Roll Back Rules; .

Demokratie per Federstrich: Donald Trump mit einer seiner vielen Executive Orders.

(Foto: Aude Guerrucci/Bloomberg)

Khannas Bestandsaufnahme der US-Politik nach der Präsidentschaftswahl fällt ernüchternd aus: das Land gespalten, ermattet von politischen Grabenkämpfen, unfähig sich zu erneuern, das Vertrauen in die Institutionen erschüttert. Politik sei nicht mehr das Ideal der Überzeugung, sondern ein "Kuhhandel von Partikularinteressen". "Die US-Präsidentschaftswahl hat gezeigt, dass der Stil der Demokratie mehr ein Werkzeug der Teilung als der Einigung ist", konstatiert Khanna gleich im ersten Satz des Prologs. Zwei Jahrhunderte nach Tocquevilles Ode an die "Democracy in America" sei es Zeit zuzugeben, dass Amerika weniger von seiner eigenen Version der Demokratie bräuchte. Viel weniger.

An der Spitze des Staates sollen Leute stehen, die wie eine Aktiengesellschaft handeln

Der Autor rekurriert auf die Demokratiekritik Platons, wonach die Demokratie in die Tyrannis mündet, wenn die Freiheit absolut gesetzt wird. Um ein Abdriften Amerikas in die Tyrannei zu verhindern, schlägt Khanna den Umbau des politischen Systems in eine Technokratie vor. "Technokratien sind mehr ein IQ-Test als ein Beliebtheitswettbewerb", konstatiert Khanna. Statt faktenfreier Debatten würden einfach Daten in den politischen Betrieb eingespeist. Dem Autor schwebt ein hocheffizienter, superschlanker, innovativer "Info-State" nach dem Modell der Schweiz und Singapurs vor, der mit Infrastrukturdaten gefüttert wird und in Echtzeit auf die politischen Herausforderungen reagiert. "In einem Info-Staat sollte die Regierung so risikoaffin wie im privaten Sektor sein." Khanna will einen Board an die Spitze des Staates gestellt sehen, der den Staat wie eine Aktiengesellschaft verwaltet. Anstelle eines Präsidenten sollen sieben Präsidenten nach dem Konkordanzmodell der Schweiz das Land regieren. Statt auf Legitimität hebt der Autor auf Effektivität und Governance ab. Als Blaupause sieht er hier den semiautoritären Stadtstaat Singapur. Der sei zwar nicht demokratisch, aber in der Erbringung öffentlicher Güter wie Bildung, Gesundheitsversorgung und Sicherheit effektiver. Singapur bezeichnet sich selbst als "democracy of deed", als Demokratie der Taten. Wo andernorts gestritten wird, wird in dem Stadtstaat gehandelt.

Parag Khanna, Technocracy in America

Parag Khanna: Technocracy in America: Rise of the Info-State. 2017, 130 Seiten. Zu beziehen über Amazon.com, Buch ca. 16 US-Dollar. E-Book: ca. 9 US-Dollar.

Khannas Buch fällt in eine Zeit, in der Intellektuelle fragen, ob die Demokratie noch die richtige Staatsform ist - vor allem im Lichte der Wahlerfolge von autoritären Politikern wie Donald Trump oder Nigel Farage. Für den renommierten Politikprofessor Kenneth Rogoff war das Brexit-Referendum nicht demokratisch, "sondern russisches Roulette für Republiken". Und Andrew Sullivan publizierte noch vor der Wahl Trumps im New York Magazine einen brillanten Aufsatz mit dem Titel "Democracies end when they are too democratic", der heute geradezu prophetisch klingt. Khannas Buch gewinnt durch den Amtsantritt von Donald Trump eine ganz neue Bedeutung. Der neue US-Präsident hat in den ersten Wochen per Dekret (Executive Order) an Kongress und Ministerien vorbeiregiert und mit Twitter einen Politikmodus sui generis etabliert: eine computergestützte Technokratie. Seine Tweets ("Ich kann Bing, Bing, Bing machen und mache einfach weiter, und die Medien veröffentlichen es, sobald ich es twittere", sagte er der Bild) sind das elektronische Pendant zu den Executive Orders: Sie wirken unmittelbar und bedürfen keiner parlamentarischen Zustimmung. Regieren per Knopfdruck. Das wirft die Frage auf, wie robust die institutionellen Kontrollmechanismen der Checks and Balances in einem präsidentiellen System wie den USA gegenüber einem Herrschsüchtigen sind.

Khannas Vorschlag einer gut geölten Politmaschine, die schneller auf die Herausforderungen einer globalen Welt reagiert und eine höhere Responsivität des politischen Systems erzeugt, hat gewiss ihren Reiz. Das Gridlock, die ewige Blockade im Kongress, die Strukturreformen verhindert, wäre aufgelöst. Doch letztlich lässt sich das in der Politikwissenschaft diskutierte Demokratie-Effizienz-Dilemma nicht so einfach auflösen. Ein hocheffizienter "Info-State", in dem man einfach durchregieren kann, wäre letztlich ein autoritärer, weil Debatten unterdrückt und demokratische Mitspracherechte sistiert würden. Eine Technokratie, also eine Herrschaft der Technik, impliziert, dass der Demos entmachtet wird. Daten können nicht der einzige Treiber von politischen Entscheidungen sein. Und auch nicht ihr einziger Maßstab. Der Staat lässt sich nicht wie ein Start-up managen. Trotzdem muss die Frage erörtert werden, wie der Nationalstaat westfälischer Prägung, eine "Entwicklung" des 19. Jahrhunderts, auf die Herausforderungen der Digitalisierung (Cyberattacken, Desinformationskampagnen) reagiert und ob er sich langfristig neuen Partizipationsmodi (E-Voting, Online-Petitionen) öffnet. Khannas gut leserliches, faktengesättigtes Buch liefert hierzu einige Denkanstöße.

Adrian Lobe, studierter Politologe, arbeitet als freier Journalist für verschiedene Medien im deutschsprachigen Raum.

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