Vor Parteitag in Freiburg:Grüne fordern massive Umverteilung

"Neuer sozialer Ausgleich": Der grüne Parteichef Özdemir und Finanzpolitiker der Ökopartei verlangen höhere Spitzensteuersätze - und die Entflechtung großer Konzerne.

Michael Bauchmüller

Wenige Tage vor ihrem Parteitag in Freiburg machen sich führende Grüne für eine drastische Umverteilung zugunsten der unteren und mittleren Einkommen stark. In den vergangenen Jahren seien die Einkommen der Reichsten "dramatisch" gestiegen, heißt es in einem Papier, das Grünen-Chef Cem Özdemir und der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Gerhard Schick, gemeinsam verfasst haben. Während das reichste Zehntel der Bevölkerung seinen Anteil am Gesamtvermögen auf 61 Prozent steigern konnte, mussten die übrigen 90 Prozent Einbußen hinnehmen. "Die Verschärfung der Verteilungssituation hat ein für unsere Gesellschaft gefährliches Niveau erreicht", heißt es in dem zehnseitigen Memorandum, das der SZ vorliegt.

Özdemir sieht Grüne unter verschärfter Beobachtung

Cem Özdemir will die unteren und mittleren Einkommensschichten stärken.

(Foto: dpa)

Stattdessen wollen die Grünen künftig als politischen Maßstab auch Verteilungsindizes heranziehen, wie sie die Volkswirtschaftslehre kennt. "Je stärker die Verteilung der Markteinkommen aus dem Lot geraten ist, desto intensiver muss die Verteilungskorrektur durch das Steuer- und Transfersystem sein." Nötig sei ein "neuer sozialer Ausgleich".

Dazu müsse unter anderem der Spitzensteuersatz von derzeit 42 auf 45 Prozent steigen, und zwar sowohl für Einkünfte aus Arbeit als auch für solche aus Kapitaleinkommen, die derzeit pauschal mit 25 Prozent besteuert werden. Auch müssten Schlupflöcher gestopft werden, etwa durch die Übertragung der Steuerverwaltung von den Ländern auf den Bund. Der Spitzensteuersatz war einst von Rot-Grün abgesenkt worden; inzwischen machen sich auch die Sozialdemokraten wieder dafür stark, Spitzenverdiener höher zu besteuern.

Für den Finanzsektor und marktbeherrschende Unternehmen fordern die beiden Grünen-Politiker verschärfte Regeln. So gehörten bei Finanzanbietern die "provisionsorientierte Fehlberatung" abgeschafft und zudem "Wucherzinsen" unterbunden. Verbraucher müssten den Anbietern am Finanzmarkt auf Augenhöhe begegnen können, schreiben Özdemir und Schick. "Denn das derzeitige Kräfteungleichgewicht trägt bei zur sozialen Schieflage in diesem Land." Gleichzeitig sei auch ein Entflechtungsgesetz nötig, um die Marktmacht großer Anbieter zu begrenzen - etwa im Energiebereich. Zwar plant dies auch die schwarz-gelbe Koalition. Nach Auffassung der Grünen aber soll es bereits greifen, "auch ohne dass der Missbrauch dieser Marktmacht konkret nachgewiesen ist". Andernfalls könnten große Unternehmen ihre Position auf Kosten der Verbraucher immer weiter ausbauen. "Wir hinterfragen hohe Gewinne", heißt es in dem Papier.

Die Grünen betrachten den Vorstoß auch als Erweiterung ihres "Grünen New Deal", mit dem sie schon in die letzte Bundestagswahl gezogen waren. Demnach sollte eine gezielte "grüne" Wirtschaftspolitik zu einem ökologischen Umbau der Bundesrepublik führen. Dies sollte, neben der Kontrolle der Finanzmärkte, eine der zentralen Konsequenzen aus der Wirtschaftskrise sein. "Das ist nicht nur ein Konzept der ökologischen Transformation der Wirtschaft, sondern auch der sozialen Gerechtigkeit", sagte Grünen-Parteichef Özdemir. Drifte eine Gesellschaft durch eine ungleiche Vermögensverteilung auseinander, dann verlören Benachteiligte Perspektiven, die Mittelschicht erodiere.

Allerdings war in der Vergangenheit an der Idee eines ökologischen Umbaus immer wieder auch eine soziale Schieflage kritisiert worden. So würde ein schonender Umgang mit fossilen Rohstoffen möglicherweise höhere Ökosteuern bedingen - und damit vor allem sozial Schwache treffen. Auch zielen die Grünen auf einen wesentlich besseren Sanierungsstandard in Gebäuden, um Heizenergie zu sparen. Doch damit verbundene höhere Mieten träfen wiederum vor allem einkommensschwache Haushalte.

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