Süddeutsche Zeitung

Vor nächster Landtagswahl:In Hessen geht es für die große Koalition ums Ganze

  • Die Hessen-Wahl am 28. Oktober dürfte auch für die Bundespolitik entscheidend werden.
  • Dabei hängt wohl gerade von den Grünen so viel ab wie noch nie. Sie können mit Zugewinnen rechnen - und könnten von Hessen aus auch das politische Berlin in Vibration versetzen.
  • Grünen-Spitzenkandidat Al-Wazir hält sich alles offen: Mindestens vier Regierungsvarianten sind mit seiner Partei möglich.
  • Für die Harmonie in Berlin dürfte aber eine große Koalition die beste Lösung sein.

Von Nico Fried, Berlin

Die CDU hat am Montag ein neues Wahlplakat präsentiert: "Jetzt geht's um Hessen", steht darauf. Das stimmt - und ist auch völlig falsch. Denn bei der Wahl am 28. Oktober steht viel mehr auf dem Spiel als die künftige Regierung in Wiesbaden. An dieser Wahl hängt die Zukunft der großen Koalition in Berlin, diese Wahl hat maßgeblichen Einfluss auf das Schicksal der Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel wie auch der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles. Kurz gesagt: Es geht eben nicht nur um Hessen, sondern ums Ganze.

Dabei ist es allein schon ein dramaturgisch brisanter Zufall, dass die politische Schlacht um Schwarz-Rot im Bund nun in Hessen stattfindet. In keinem anderen Bundesland haben sich CDU und SPD immer wieder so unversöhnlich bekämpft. Nur nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Wiesbaden für kurze Zeit eine Regierung unter gleichzeitiger Beteiligung von CDU und SPD, danach 68 Jahre lang nicht mehr. Und jetzt könnte ausgerechnet eine große Koalition in Wiesbaden die einzig mögliche Rettung für die große Koalition im Bund sein.

Ausgerechnet Hessen. Hier fügte Roland Koch (CDU) mit seiner Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und seinem Wahlsieg 1999 dem damals neuen SPD-Kanzler Gerhard Schröder die erste schwere Niederlage zu. Nach der Landtagswahl 2008 regierte Koch mehr als ein Jahr lang geschäftsführend, weil sich CDU und SPD nicht auf ein Bündnis verständigen konnten und die SPD-Chefin Andrea Ypsilanti entgegen allen Versprechen lieber mit den Stimmen der Linken Ministerpräsidentin werden wollte.

Zugleich gilt Hessen als politisches Labor, in dem Unvereinbares irgendwann dann doch amalgamierte. Der Sozialdemokrat Holger Börner, der die Öko-Demonstranten gegen die Startbahn West am Frankfurter Flughafen gerne mit einer Dachlatte vertrimmt hätte, bildete 1985 mit Joschka Fischer und dessen Turnschuhen die erste rot-grüne Landesregierung. Der Christdemokrat Volker Bouffier, politischer Erbe konservativer Galionsfiguren wie Alfred Dregger, schmiedete 19 Jahre später - nach Ole von Beust im Stadtstaat Hamburg - als erster CDU-Ministerpräsident eine schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland.

Wohl noch nie aber hing gerade von den Grünen so viel ab wie jetzt. Sie und ihr Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir können mit Zugewinnen rechnen - und danach durch Handeln wie durch Unterlassen in Hessen auch das politische Berlin in Vibration versetzen. Wahlziel der CDU ist es, Volker Bouffier als Ministerpräsident im Amt zu halten - sonst ist's so gut wie vorbei mit Angela Merkel. Ziel der SPD muss es sein, an die Regierung zu kommen - anderenfalls dürfte die Sehnsucht nach Opposition im Bund noch schwerer zu stoppen sein.

Tarek Al-Wazir hat 2008 das Wort "Ausschließeritis" erfunden - und damit die Neigung, bestimmte Koalitionen von vorneherein strikt abzulehnen, als politische Krankheit definiert. Entsprechend hält er sich auch diesmal alles offen. Mindestens vier Varianten sind mit den Grünen denkbar.

Erstens: Schwarz-Grün, zuletzt in einer Umfrage bei 47 Prozent, wird bestätigt. Zweitens: Schwarz-Grün kann mithilfe der FDP weiter regieren. Beide Male bliebe wohl Bouffier erst mal Ministerpräsident, seine Parteivorsitzende Angela Merkel könnte aufatmen, wenn auch möglicherweise nur kurz: Denn in der SPD würde sofort die Debatte um einen Ausstieg aus der Bundesregierung eskalieren.

Drittens: Schwarz-Grün verliert, SPD, Grüne und Linke können eine Regierung bilden. Diese Konstellation kommt nach der letzten Umfrage auf immerhin 49 Prozent. Käme es zu diesem Bündnis, wäre dies ein Befreiungsschlag für die Bundes-SPD, während Angela Merkel gut zwei Monate vor dem CDU-Parteitag als Vorsitzende in höchste Not geriete und mithin auch als Kanzlerin. Ähnliches gilt für - viertens - eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP, zumindest wenn die Sozialdemokraten den Regierungschef stellen.

Brisant ist die Lage auch, weil mehrere Varianten gleichzeitig möglich werden könnten, also zum Beispiel Hessisch-Jamaika ebenso wie Rot-Grün-Rot. Dann läge bei Al-Wazir und seiner Partei erst recht eine entscheidende Mitverantwortung für Freud und Leid in Berlin. Selbst die FDP, die derzeit noch um den Einzug in den Landtag fürchten muss, könnte dann Schicksal spielen: Verweigern sich die Liberalen, wie zuletzt die Bundespartei, einer Regierung mit CDU und Grünen, könnte dies Bouffier stürzen und Merkel gleich mit. FDP-Chef Christian Lindner hätte insgeheim wohl nichts dagegen.

Für Harmonie in Berlin könnte am ehesten eine große Koalition sorgen: Bouffier bliebe Regierungschef, die SPD dürfte mitregieren. Diese Variante wird umso wahrscheinlicher, je stärker die AfD abschneidet. Das hat gewisse Paradoxien zur Folge: Anhänger der großen Koalition müssten sich eine starke AfD wünschen. Oder andersrum: Jeder Wähler der AfD muss damit rechnen, Angela Merkels Machterhalt zu sichern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4172913
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.10.2018/gal
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.