Vor Gipfel in Bukarest:Das Nato-Gespenst

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Präsident Juschtschenko will die Ukraine in das Verteidigungsbündnis führen, obwohl Moskau dagegen ist - und auch viele Ukrainer. Beim Besuch von US-Präsident Bush werden Demonstrationen erwartet.

Thomas Urban, Kiew

Mit Dutzenden von Bussen sind sie aus dem russischsprachigen Osten und Süden in die ukrainische Hauptstadt gekommen. Die Demonstranten wollen dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush, der auf dem Weg zum Nato-Gipfel in Bukarest einen Abstecher nach Kiew macht, klarmachen, dass sie weder mit ihm noch mit der westlichen Allianz etwas im Sinne haben.

Der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko nach einem Flug in einem Kampfjet: Er will sein Land in die Nato führen. (Foto: Foto: AP)

Es ist wieder die Stunde des Oppositionsführers Viktor Janukowitsch. Er hat sich an die Spitze der Nato-Gegner gestellt. Die Protestwelle könnte die Regierung von Julia Timoschenko stürzen, so hofft Janukowitsch, und sie könnte ihn selbst wieder zum Ministerpräsident machen, zum dritten Mal.

Das es soweit kommt, ist allerdings unwahrscheinlich. Zwar ist Bush in der Ukraine nicht beliebt, und nur ein Drittel der Bevölkerung unterstützt Umfragen zufolge die Bemühungen von Staatspräsident Viktor Juschtschenko um eine Nato-Mitgliedschaft. Doch zünden die Proteste nicht richtig. Janukowitschs Einfluss auf die ukrainische Politik schwindet zunehmend. Obwohl die von ihm geführte und von ostukrainischen Industrieoligarchen finanzierte Partei der Regionen die Parlamentswahlen im vergangenen Herbst mit 34 Prozent der Stimmen knapp gewann, musste er den Sessel des Regierungschefs räumen.

Denn die "Orangen" um Timoschenko und Staatspräsident Viktor Juschtschenko haben sich erneut verbündet und eine Koalition gebildet. Als der Präsident, die Premierministerin und zusätzlich Parlamentspräsident Arsenij Jazeniuk, ein Gefolgsmann Juschtschenkos, gemeinsam in einem Brief an Brüssel Anfang des Jahres um die Aufnahme von Verhandlungen über den Nato-Beitritt baten, blockierten Abgeordnete von Janukowitschs Partei der Regionen zwar fast einen Monat lang das Rednerpult des Plenarsaales. Doch dann musste Janukowitsch die Aktion abblasen, ohne etwas erreicht zu haben.

Brudervolk im Osten

Es kam schon fast einer Demütigung für den einstigen Kremlfavoriten Janukowitsch gleich, dass auf dem Höhepunkt dieser Protestaktion Mitte Februar Juschtschenko in Moskau von Wladimir Putin empfangen wurde. Beide Präsidenten legten den jüngsten russisch-ukrainischen Gaskrieg bei, zumindest vorläufig. Allerdings hielt die Entspannung zwischen Moskau und Kiew nur kurz an. Denn Putin nahm kurz darauf zu Juschtschenkos Nato-Plänen Stellung: In diesem Fall müssten russische Raketen auf die Ukraine gerichtet werden, sagte Putin, und löste damit einen Sturm der Entrüstung in Kiew aus.

Die Mehrheit der Ukrainer sieht in den Russen immer noch ein "Brudervolk". Das war auch während der Orangenen Revolution im Spätherbst 2004 so. Allerdings stören sich die Kiewer und zunehmend auch die russischsprachige Elite im Osten des Landes daran, wenn der Kreml versucht, sie zu bevormunden. Sie wollen als gleichberechtigte Partner behandelt werden.

Bei den ostukrainischen Oligarchen kommt neben dem psychologischen Aspekt noch das wirtschaftliche Interesse hinzu: Sie wollen die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen verringern und den Handel mit der Europäischen Union ausbauen. Denn nur aus dem Westen können sie die Technologie zur Modernisierung ihrer veralteten Industrieanlagen bekommen. Überdies suchen die Industriemagnaten neue Kunden im Westen.

Strategische Entscheidung

Aus diesem Grunde kann sich Juschtschenko, der während der Orangenen Revolution noch ihr Hauptgegner war, mittlerweile auf einige von ihnen stützen. Der Präsident selbst hat überdies ein wichtiges Zeichen gesetzt: Er hat Raissa Bogatyrjowa, eine einflussreiche Abgeordnete der Partei der Regionen, zur Sekretärin des Nationalen Sicherheitsrates gemacht.

Hinter Bogatyrjowa steht Rinat Achmetow, der mächtige Mann im Industrierevier Donbass ganz im Osten, der früher ganz auf Janukowitsch setzte. Über die Politikerin versucht Juschtschenko offenbar, die Industriemagnaten davon zu überzeugen, dass eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine durchaus in ihrem Interesse läge. Denn der von Brüssel geforderte Aktionsplan für die Mitgliedschaft (MAP) verlangt eine stabile Gewaltenteilung, somit auch Rechtssicherheit. Daran sind die Oligarchen heute sehr interessiert, um ihre während des wilden Kapitalismus in den neunziger Jahren zusammengekauften Industrie-Imperien abzusichern.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, weshalb die meisten anderen Nato-Mitglieder zurückhaltend auf den Beitrittswunsch reagieren.

Die meisten Nato-Mitglieder reagieren zurückhaltend auf den Kiewer Beitrittswunsch. Nur die ehemaligen Ostblockstaaten in der Nato, an der Spitze Polen, unterstützen die Pläne offen. Warschau und Kiew betonen immer wieder ihre enge Zusammenarbeit. So richten Polen und die Ukraine gemeinsam die Fußball-Europameisterschaft 2012 aus.

Ein ukrainischer Nato-Gegner während einer Demonstration im Frühjahr 2007. (Foto: Foto: AP)

Berlin, Paris und London wollen die Russen dagegen derzeit nicht mit Verhandlungen über einen ukrainischen Nato-Beitritt reizen. Und die EU sieht derzeit ebenfalls wenig Chancen für die Ukrainer. Brüssel verlangt von Kiew, erst einmal den immer wieder aufflackernden Rohstoff-Streit mit Moskau beizulegen. Die ukrainische Führung aber verweist darauf, dass dessen Lösung einzig und allein vom Kreml abhänge. Tatsächlich tun die Russen alles, um diesen Streit weiter köcheln zu lassen, eben weil damit die Annäherung der Ukraine an westliche Strukturen hintertrieben wird. Juschtschenko aber ließ sich bislang nicht beirren. Er bereiste die westeuropäischen Hauptstädte und warb für sein Land. Der Nato-Beitritt sei notwendig, um angesichts der Abkehr Russlands von der Demokratisierung den Reformprozess in der Ukraine abzusichern.

Auch machte er Vorschläge, wie die Spannungen mit Moskau verringert werden könnten. So könne sich die Ukraine verpflichten, nach einem Beitritt zur Allianz keinerlei Nato-Einrichtungen oder -Einheiten auf ihrem Territorium zu stationieren. Allerdings verbietet die ukrainische Verfassung schon jetzt die Stationierung fremder Truppen. Wohl wurde eine Ausnahme gemacht: die Verpachtung des Kriegshafens Sewastopol an die Russen. Der Pachtvertrag endet 2017.

Dass es aber wegen der Nato-Frage zur ganz großen Krise zwischen den Nachbarn kommt, will niemand in Kiew glauben. Denn die Ukraine ist den Moskauer Versuchen, über das Drehen am Öl- und Gashahn Druck auszuüben, keineswegs wehrlos ausgesetzt. So werden 80 Prozent des russischen Gases, das die EU-Länder verbrauchen, derzeit noch über die Ukraine gepumpt. Daran wird sich in den kommenden Jahren nur wenig ändern. Gleichzeitig aber erschließt die Ukraine energisch die eigenen Uranvorkommen.

Uran für Atomwaffen

Seit vergangenem Jahr exportiert sie sogar wieder in größeren Mengen Uran. Experten gehen darum davon aus, dass Kiew den eigenen Bedarf gedeckt hat. Es könnte damit mit Hilfe von westlicher Technologie neue Atomkraftwerke errichten, um den politischen Druck Moskaus zu verringern. Und es könnte theoretisch vielleicht auch eigene Atomwaffen bauen.

Dies fordert zumindest eine Gruppe von Abgeordneten, nachdem Putin mit der Ausrichtung der russischen Raketen auf die Ukraine gedroht hat. Die Information über die ukrainischen Uranreserven wurde gezielt in den westeuropäischen Hauptstädten verbreitet. Die Botschaft: Gebt der Ukraine endlich eine Beitrittsperspektive - damit allen Seiten noch größere Probleme erspart bleiben.

© SZ vom 31.3.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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