Süddeutsche Zeitung

Vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg:Mappus in der Atom-Falle

Zwei Tage vor der Landtagswahl deutet der frühere Atom-Verfechter Mappus an, dass er eine Zukunft für den Meiler Phillippsburg 1 sieht - wenn auch mit eigenwilligen Argumenten. Auch Altkanzler Kohl meldet sich mit Aussagen zu Wort, die Merkel wurmen dürften.

Erst sorgt Wirtschaftsminister Rainer Brüderle für Wirbel mit einer Äußerung, die er vor den Leuten der Atom-Industrie getätigt haben soll. Demnach sei die vorübergehende Abschaltung älterer Atomkraftwerke vor allem aus taktischen Gründen mit Blick auf die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz erfolgt.

Zwei Tage vor der Wahl in seinem Land lässt auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) Zweifel an den Motiven hinter dem Atom-Moratorium der Bundesregierung aufkommen. Der Financial Times Deutschland sagte Mappus, dass er durchaus Chancen sehe, den Atomreaktor Philippsburg 1 nach dem dreimonatigen Moratorium wieder ans Netz zu nehmen. Allerdings begründet er dies nicht mit der Sicherheit des Reaktors, sondern: "Ich schätze Philippsburg 1 rentabler ein als Neckarwestheim 1", sagte er der Zeitung am Rande einer Wahlkampfveranstaltung. Beurteilen müsse dies jedoch am Ende der Betreiber EnBW, sagte Mappus.

Nun schickt sich die Landesregierung an, dem Eindruck entgegenzuwirken, dass die Rentabilität beim Betrieb eines Kernkraftwerks im Vordergrund stehe. Ministerpräsident Mappus habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass "einzig und allein die Sicherheit" entscheidend sei, heißt es in einer Mitteilung. "Sicherheit ist der einzige Maßstab für den Betrieb der Kernkraftwerke", habe Mappus an diesem Freitag abermals deutlich gemacht.

Mit dem von der Bundesregierung beschlossenen Moratorium sind zwei der vier Reaktoren in Baden-Württemberg vom Netz gegangen, Neckarwestheim 1 für immer, Philippsburg 1 für mindestens drei Monate. Das Land Baden-Württemberg ist Miteigentümer der vier Atommeiler an Rhein und Neckar. Mitte Dezember hatte Mappus' Regierung einen 45-Prozent-Anteil an der Energie Baden-Württemberg (EnBW) übernommen, Deutschlands drittgrößtem Energiekonzern. Die EnBW lebt von der Kernkraft: 2010 hat der Versorger 1,17 Milliarden Euro Gewinn gemacht, der nach Schätzung von Branchenexperten zu 90 Prozent aus der Stromproduktion stammt. Drei Viertel des Stroms kommen aus den vier Meilern in Neckarwestheim und Philippsburg.

Zuvor hatte sich FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke zu dem abgeschalteten Meiler geäußert: Es werde schwer sein zu vermitteln, Philippsburg 1 wieder ans Netz zu nehmen, weil er baugleich mit dem havarierten Reaktor in Fukushima-1 sei.

SPD und Grüne schließen Koalition mit Mappus aus

Mappus, bislang insbesondere Verfechter der Atomkraft, kündigte an, seine Position zur Nutzung der Atomkraft überdenken zu wollen. Die Überprüfung seiner Haltung sei unabhängig von wahltaktischen Gründen, sagte Mappus im ZDF-Morgenmagazin. Gleichzeitig griff er die Grünen scharf an: Er warf ihnen vor, nicht nur aus der Kernkraft, sondern auch noch aus der Nutzung von Kohle, Öl und Gas aussteigen zu wollen und so die Versorgung des Landes mit Strom zu gefährden. "Ich war für die Laufzeitverlängerung, aus rationalen Gründen", sagte Mappus. Nach dem Reaktorunglück in einen Hochtechnologieland wie Japan müsse aber die Möglichkeit bestehen, die eigene Position zu überdenken. "Dazu stehe ich, das mache ich. Das hat auch nichts mit Wahlen zu tun."

Die Grünen und ihr Spitzenkandidat Winfried Kretschmann müssten sich aber fragen lassen, wie glaubwürdig sie seien, meinte Mappus. Sie wollten innerhalb von fünf Jahren aus der Atomkraftnutzung aussteigen. Gleichzeitig lehnten sie Kohle, Gas und Öl als Energieträger ab. "Ich bin bereit für ergebnisoffene Gespräche, auch für einen schnelleren Ausstieg aus der Kernkraft", sagte Mappus. Voraussetzung dafür seien aber Versorgungssicherheit und bezahlbare Strompreise.

Mappus räumte Schwierigkeiten im CDU-Wahlkampf angesichts der komplexen bundespolitischen Themen ein. Dazu gehörten die Laufzeitverlängerung, das Bahnprojekt Stuttgart 21, der Rücktritt von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach der Plagiatsaffäre und das Atomreaktorunglück in Japan. "Ich glaube, dass es selten eine so komplexe Situation gab in so kurzer Zeit", sagte der CDU-Politiker.

Hinzu kommt, dass SPD und Grüne, die in Umfragen derzeit vor der regierenden CDU liegen, eine Koalition mit Mappus ausschließen: Erneut sprachen sich die Spitzenkandidaten beider Parteien gegen eine solche Option aus. Sie nannten vor allem den Ministerpräsidenten und seine Atompolitik als Hindernis. "Mit Mappus ist eine Koalition nur schwer vorstellbar", sagte dessen sozialdemokratischer Herausforderer Nils Schmid im ZDF. Grünen-Spitzenkandidat Kretschmann nannte den CDU-Regierungschef einen Scharfmacher, der im vergangenen Jahr mit Brachialgewalt gegen Bundesumweltminister Norbert Röttgen die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke durchgesetzt habe.

Altkanzler Kohl kritisiert Merkels Kehrtwende

Unterstützung für seine Position zur Atompolitik erhält Mappus derweil von Altkanzler Helmut Kohl: In einem Gastbeitrag für die Bild-Zeitung vom Freitag warnt der frühere CDU-Chef vor einem "überhasteten Ausstieg aus der Kernenergie ohne Alternative". Die Krise nach der Naturkatastrophe in Japan und die Folgen für die japanischen Atomreaktoren mache "uns alle fassungslos", schreibt Kohl. Dennoch dürfe das Unglück "nicht den Blick für die Wirklichkeit verstellen".

In Deutschland habe sich durch die Ereignisse in Japan "erst einmal und unmittelbar gar nichts verändert", argumentiert Kohl. "Die Kernenergienutzung in Deutschland ist durch das Unglück in Japan nicht gefährlicher geworden, als sie es vorher gewesen ist." Die Lehre aus Japan dürfe nicht "die berühmte Rolle rückwärts sein", meint der 80-jährige Altbundeskanzler.

Kritik am Atom-Moratorium der Bundesregierung kommt auch von RWE-Chef Jürgen Großmann in einem Schreiben an hochrangige Vertreter der deutschen Industrie: "Bisher steht die deutsche Bundesregierung mit ihrer Ankündigung allein, sieben ältere, aus meiner Sicht absolut sichere, Kernkraftwerke zunächst für drei Monate stillzulegen, um ebenso wie für die übrigen Anlagen eine sicherheitstechnische Überprüfung vorzunehmen", heißt es in dem Brief nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters. Die Sicherheit der Reaktoren habe höchste Priorität, es bestehe aber "kein Anlass zu übereiltem Handeln und zu nationalen Alleingängen".

Großmanns Schreiben richtete sich an die mehr als 40 Konzernlenker und Persönlichkeiten, die sich im vergangenen Jahr in einem "energiepolitischen Appell" für die Atomkraft starkgemacht hatten. Darunter waren Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, Thyssen-Krupp-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, die Vorstandsvorsitzenden von BASF und Henkel, Jürgen Hambrecht und Kasper Rorsted, Deutsche-Bahn-Chef Rüdiger Grube und der Manager der Fußball-Nationalmannschaft Oliver Bierhoff. Großmann wandte sich gegen Versuche, die Unterzeichner nach dem Reaktorunglück in Japan in Misskredit zu bringen. Der energiepolitische Appell habe nach wie vor seine Berechtigung.

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