Süddeutsche Zeitung

SPD vor den Koalitionsverhandlungen:Furcht vor der Niedermerkelisierung

So wie es wahrscheinlich war, dass Union und SPD Verhandlungen aufnehmen würden, ist es wahrscheinlich, dass es zur großen Koalition kommt. Doch zuvor muss die SPD-Führung um Parteichef Gabriel durch den Parteikonvent. Kein leichter Gang.

Ein Kommentar von Kurt Kister

So richtig überraschend kam die Nachricht am Donnerstag nicht: Die Spitzenvertreter von Union und SPD wollen ihren Parteien die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen empfehlen. Für CDU und CSU ist die Sache schon mit dieser Ankündigung klar. Nennenswerten Widerstand gegen eine Koalition mit der SPD gibt es nicht. Die Sieger vom 22. September wollen nun auch die Wahl wirklich gewinnen - und deswegen mit der SPD eine große Koalition bilden, die Grüne und Linkspartei im Bundestag nahezu marginalisieren würde und die vom Bundesrat relative Gestaltungsfreiheit erhielte.

Kein leichter Gang

Bei den Sozialdemokraten ist die Lage anders. Unter den SPD-Sympathisanten, allemal aber unter den Funktionären, gibt es viele, die eine große Koalition ablehnen - sei es aus wahltaktischen Gründen im Hinblick auf die befürchtete Niedermerkelisierung ihrer Partei, sei es aus politischer Überzeugung. Am Sonntag steht der Parteikonvent an; er muss die Aufnahme von Verhandlungen absegnen oder ablehnen. Im Konvent sind in erster Linie SPD-Funktionäre vertreten. Kein leichter Gang für Gabriel, Steinbrück und Kraft.

Allerdings hat das momentan relevante SPD-Führungstrio durch die Empfehlung für Koalitionsverhandlungen de facto sein Schicksal mit dem Ausgang der Abstimmung im Konvent verknüpft. Lehnt der Konvent die Verhandlungen ab, sind Parteichef, Kandidat a. D. und Vizechefin gescheitert. Sigmar Gabriel würde dann wohl noch am Sonntag seinen Rückzug als Parteivorsitzender ankündigen müssen.

Schwarz-Grün als Blütentraum

Natürlich weiß die Union, dass sie der SPD (und den Interessen der Geringverdiener) in Form eines gesetzlichen Mindestlohns ein Opfer bringen muss. Nun ist die Ablehnung eines Mindestlohns in der Union aber auch nicht identitätsbildend. Man wird sich auf Modalitäten einigen können, weil nicht einmal Schaufenster-Schreihälse wie etwa der CSU-Dobrindt ein Bündnis an so etwas scheitern lassen wollen. Außerdem sind die Schreihälse ohnehin nur dann laut, wenn es taktisch angebracht ist. Andernfalls werden sie von Seehofer und der großen Vorsitzenden gedeckelt.

Schwarz-Grün war ohnehin nicht mehr als ein Blütentraum. Eine Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen hätte keiner Koalition mit der Union zugestimmt. Dazu sind, entgegen allem Wunschdenken, die Milieuunterschiede noch zu groß. Rot-Rot-Grün wiederum würde, vorsichtig geschätzt, ein gutes Drittel der nicht mehr sehr vielen SPD-Wähler so verschrecken, dass dann aus der SPD im Bund so etwas wie die SPD in Bayern werden könnte: eine selbstbewusste 20-Prozent-Partei.

So wie es wahrscheinlich war, dass Union und SPD Verhandlungen aufnehmen würden, ist es wahrscheinlich, dass es zur großen Koalition kommt. Das wird nicht schnell gehen. Aber es wird mutmaßlich eine Regierung werden, die relativ stabil bleibt, solange sie stabil bleiben soll. Spätestens 2016, wenn es um die Nachfolge Merkels sowie die Kandidatin der SPD gehen wird, wird auch diese Regierung unter Getöse wackeln oder gar stürzen.

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SZ vom 18.10.2013/webe
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