Vor dem Energiegipfel im Kanzleramt:Länder lehnen Atomkraft-Reserve ab

Ein älterer Meiler für schlechte Zeiten? Die Regierung hält das für nötig, die Opposition protestiert. Und jetzt torpedieren auch die Ministerpräsidenten der Länder den Plan, ein AKW im Stand-by-Modus zu halten. Angela Merkel droht auf dem Energiegipfel im Kanzleramt Ärger.

Die sieben ältesten Meiler und das Pannen-AKW Krümmel sollen nicht mehr ans Netz gehen, ein Kernkraftwerk jedoch als "Kaltreserve" für Notfälle ständig zur Verfügung stehen - so will es die schwarz-gelbe Koalition. Teile der Opposition lehnen das ab. Und jetzt regt sich auch in den Ländern Widerstand gegen diese Regelung.

Atomausstieg

Anti-Akw-Protest vor dem Kernkraftwerk im schwäbischen Grundremmingen: Die Bundesländer fordern Korrekturen am Atom- und Energiepaket der Berliner Koalition.

(Foto: dpa)

Die Ministerpräsidenten mehrerer Bundesländer machten vor dem Energiegipfel des Bundeskabinetts im Kanzleramt klar, dass sie eine solche Atomkraft-Reserve ablehnen. Stattdessen soll die Energieversorgung mit Kohle und Gas ausgebaut werden, um für Engpässe gerüstet zu sein. Die Netzbetreiber rechnen mit einem zusätzlichen Strombedarf von bis zu 2000 Megawatt an kalten Wintertagen, weil dann kaum Solar- und Importstrom zur Verfügung stehen.

Zudem verlangen die Länder eine stufenweise Abschaltung der verbleibenden neun AKW bis zum Jahr 2022. Man wolle so eine Ballung der Abschaltung 2021/2022 verhindern, sagte Sachsen-Anhalts CDU-Landesvater Reiner Haseloff nach Beratungen der Ministerpräsidenten in Berlin.

Die Regierung plant hingegen, die Restrommengen der stillgelegten Meiler auf die verbliebenen AKW zu übertragen - damit wäre nach Expertenmeinung eine geballte Abschaltung wahrscheinlich. Kritik daran äußerte auch die Umweltorganisation Greenpeace. In einem offenen Brief bemängelt sie, dass der Beschluss nach dem Aus für acht Alt-Reaktoren zehn Jahre lang keine weiteren Abschaltungen mehr vorsehe. Die Organisation bezeichnete den Atomausstieg von Schwarz-Gelb deshalb als "Mogelpackung" und drängt SPD und Grüne, den Plan abzulehnen.

Nach der Auffassung der Länder soll es ein verbindliches Enddatum für den Atomausstieg geben. Er soll zudem unumkehrbar sein. Haseloff sprach von einer Energiewende, "die von historischer Dimension ist".

Bereits im Vorfeld der Treffen der Ministerpräsidenten zeichnete sich ab, dass die Länder auf Korrekturen drängen. Kritik am Ausstiegsbeschluss der Koalition kam unter anderem vom niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten David McAllister. Er forderte, die Zuständigkeiten beim Netzausbau zwischen Bund und Ländern aufzuteilen.

Der Bund sei nicht gut beraten, Höchstspannungstrassen selbst zu planen, sagte McAllister im Deutschlandfunk. "Der Bund hat in diesem Thema bisher keine Erfahrung, keine Kompetenzen und kein Personal." Das Raumordnungsverfahren könnte auf den Bund übertragen werden, die Planfeststellungsverfahren sollten allerdings bei den Ländern verbleiben, schlug der CDU-Politiker vor.

McAllister wies bei seinem Vorschlag einer Splittung von Zuständigkeiten auf das Beispiel Fernstraßenbau hin. "Der Bund setzt den Rahmen, der Bund formuliert die Ziele. Aber die Länder sind für die Detailplanung und Umsetzung zuständig", sagte er im ZDF-Morgenmagazin. Das habe sich in Deutschland bewährt.

Besonders die SPD- und grün regierten Länder sehen beim Atomausstieg, etwa bei den Daten für die Abschaltung einzelner Meiler, noch Fragen offen. Der rheinland-pfälzische SPD-Ministerpräsident Kurt Beck ließ aber durchblicken, dass er einen Kompromiss für möglich hält. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Beck, beide Seiten seien sich in den vergangenen Tagen ein Stück entgegengekommen. Notwendig sei eine gesetzliche Regelung, dass spätestens 2022 keine Kernenergie mehr produziert werden dürfe und bis 2020 mindestens 40 Prozent der Strommenge aus erneuerbaren Energiequellen kommen müssten. Die Regierung beharrt auf einem 35-Prozent-Ziel.

Es sei wichtig, nicht allein auf Windanlagen vor den Küsten zu setzen, sondern Anbietern von Ökostrom "eine Chance am Markt" zu verschaffen, sagte Beck. Eine "flächendeckende Energieerzeugung" in Deutschland dürfe in Zukunft nicht "von einigen wenigen Großanbietern" abhängen.

Kretschmann: "Tragfähiger gesellschaftlicher Kompromiss"

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält die gemeinsame Position der Länder zum Atomausstieg für vielversprechend: "Wenn die Bundesregierung den Ländern folgt, könnte das ein sehr tragfähiger gesellschaftlicher Kompromiss sein, der auch allen Investoren in alternative Energien Investitionssicherheit gibt", sagte Kretschmann in Berlin.

"Die Südschiene hat da voll funktioniert zwischen Bayern und Baden- Württemberg", so Kretschmann weiter. Beide Länder seien etwa dafür eingetreten, Windenergie auf dem Festland, Solarenergie und Biomasse bei der Förderung im Vergleich zu Windparks auf offener See nicht zu diskriminieren.

Derweil forderte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, den Atomausstieg bis 2022 im Grundgesetz zu verankern, damit es für alle Planungssicherheit gibt und der Ausstieg nicht wieder rückgängig gemacht werden kann. "Dann würde der Energiekonsens zu einem echten Gesellschaftsvertrag, der nicht mehr einseitig gekündigt werden könnte", sagte er der Berliner Zeitung. Über die Übertragbarkeit von Reststrommengen alter Meiler auf neuere wolle die SPD mit der Koalition "kritisch verhandeln".

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hingegen unterstrich die Bereitschaft seiner Partei, den angepeilten zügigen Atomausstieg zu unterstützen. Das Jahr 2022 entspreche etwa dem Atomkonsens von Rot-Grün, sagte Steinmeier auf einer Diskussionsveranstaltung beim Evangelischen Kirchentag in Dresden. "Worum es jetzt geht, ist, den richtigen Pfad wiederzufinden.

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