Dreikönigstreffen:Der Liberalismus ist aus der FDP ausgewandert

File photo of Roesler German Economy Minister and leader of the liberal Free Democratic Party

Verzweiflungstheater: Das Dreikönigstreffen der FDP verkommt zu einer Abschiedsveranstaltung für Parteichef Phillipp Rösler.

(Foto: REUTERS)

Ist die Zeit der FDP vorbei? Der Partei fehlt Würze und Frische, jeder weiß, dass die Tage Röslers als Parteichef gezählt sind. So wird das Dreikönigstreffen eine als liberale Gala getarnte Abschiedsveranstaltung. Selbst den Liberalismus servieren andere Parteien appetitlicher - er geht also nicht unter, wenn es die FDP nicht mehr gibt. Aber schade wäre das doch.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Es gibt die unterschiedlichsten Dinge, von denen es heißt, sie hätten ihre beste Zeit hinter sich: Man sagt das von den Gewerkschaften, vom Vatikan, von der Fernsehshow DSDS, den Steakhäusern, den Ostermärschen und Trabbi-Witzen. Kenner des Internets sagen, auch Blogs und Blogger hätten ihre beste Zeit schon hinter sich, weil sie sich in einer "Sandwich-Position" zwischen Facebook und Google plus einerseits und Twitter andererseits befänden. Gemeint ist damit, dass die Blogs im Vergleich zu den genannten Konkurrenten nicht mehr so viel zu bieten hätten.

So ähnlich könnte man auch die Lage der FDP beschreiben: Sie hat, verglichen mit der CDU/CSU einerseits und den Grünen andererseits, nicht mehr viel zu bieten - weil der Liberalismus in seinen verschiedenen Varianten von denen appetitlicher serviert wird: ein konservativer Liberalismus bei der Union, ein ökolibertärer Liberalismus bei den Grünen.

Wenn man kurz beim Sandwich bleibt, findet sich dort eine Erklärung dafür, warum es um die FDP noch schlimmer steht als um andere Subjekte und Objekte, denen man nachsagt, dass sie ihre beste Zeit hinter sich hätten. Also: Ein Sandwich besteht aus Brotscheiben, zwischen denen sich ein würziger Belag befindet - Schinken, Braten, Thunfisch, Käse, Eier-, Gurken- oder Tomatenscheiben, beliebig kombiniert.

Die FDP ist schon oft totgesagt worden

Bei der FDP ist es nun so, dass ihr nicht nur die Kombination missrät und die Würze fehlt. Es fehlt ihr die Frische; die Zutaten haben das Haltbarkeitsdatum überschritten: Der Braten ist zäh, der Thunfisch muffelt und die Gurkenscheiben sind labbrig. Wenn die Zutaten alt sind, helfen auch junge Verkäufer nichts. Da hilft dann auch kein verkaufsoffener Sonntag und kein Dreikönigsparteitag: Der Kunde mag nicht mehr zugreifen, das Zeug hat einen Hautgout. Weil das nun schon länger und auch nicht zum ersten Mal so ist, kommen viele Beobachter des politischen Markts zu dem Schluss, dass bei der FDP nicht nur die beste Zeit vorbei ist, sondern dass überhaupt ihre Zeit vorbei ist.

Ist die Zeit der FDP vorbei? Dagegen spricht, dass sie schon so oft totgesagt worden ist, es aber dann doch - als die Partei der nachhaltigen Agonie - immer wieder geschafft hat; nicht selten mit sogenannten Leihstimmen aus dem Lager der Union. Das heißt: Wähler, die eigentlich lieber CDU gewählt hätten, gaben ihre Stimme der FDP, um so der CDU einen Koalitionspartner zu erhalten. Es gab Zeiten, in denen die FDP sich an dieses Funktionsargument geklammert hat wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring: Wer Kohl will, müsse FDP wählen - so propagierte es der damalige FDP-Vorsitzende Klaus Kinkel vor zwanzig Jahren, als die FDP bei zwölf Wahlen den Einzug in den Landtag verfehlte.

Das Dreikönigstreffen gerät zu einem Verzweiflungstheater

In ähnlich verzweifelter Lage wie damals Klaus Kinkel, der immerhin Statur hatte, könnte heute auch sein Nachfolger Philipp Rösler, der wenig Statur hat, sein SOS plakatieren: "Wer Merkel will, muss FDP wählen." Aber das stimmt diesmal nicht. Die Merkel-CDU kann auch mit der SPD oder mit den Grünen koalieren. Die FDP kann das nur theoretisch. In der Praxis muss sie erst einmal wieder in den Bundestag kommen; und danach sieht es derzeit nicht aus.

Weil das so ist, gerät das Dreikönigstreffen in Stuttgart zu einem Verzweiflungstheater mit morbidem Einschlag. Es findet dort die als liberale Gala getarnte Abschiedsveranstaltung für den Parteichef Rösler statt, der selbst in den eigenen ausgedünnten Reihen zum ungeliebten Protagonisten der Jüngelchen-FDP geworden ist; Kampfklasse: Fliegengewicht. Jeder weiß, dass Röslers Tage gezählt sind, nur der Betroffene selbst will es nicht wahrhaben. Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel zählt, als Westerwelles Rächer, dessen Nachfolger Rösler aus; der hält das Zählen bis zehn für die noch erreichbaren Prozente der FDP.

Die FDP verbindet Juvenilität und Altbackenheit

Selbst wenn die Freidemokraten bei der Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar noch knapp überleben sollten - Rösler selbst wird den zweiten Jahrestag seiner Wahl zum Parteichef, der im Mai wäre, wohl nicht mehr als Parteichef erleben. Es wird dann wahrscheinlich Rainer Brüderle, der zwar kein weiser Alter, aber ein begabter Polemiker ist, übergangsweise die FDP führen, zusammen mit dem jungen Christian Lindner als Vize; Hoffnungsverwalter der eine, Hoffnungsträger der andere. Sie werden versuchen, die liberalen Reste zusammenzukratzen und so zu verzieren, dass das wie ein frisches Angebot aussieht.

Dieser FDP fehlen die Erfahrung, die Reife und die Ausdauer. Sie hat die Jugend ihrer Führung für ihr neues Kapital gehalten, aber das war ein kapitaler Irrtum. Diese FDP hat es geschafft, Juvenilität mit Altbackenheit zu verbinden. Die FDP kriegt nicht nur deswegen immer weniger Stimmen, weil sie einen Wirtschaftsminister als Parteichef hat, den selbst die Wirtschaft nicht richtig ernst nimmt. Sie kriegt vor allem deswegen immer weniger Stimmen, weil in dieser Partei nichts mehr stimmt.

Der Liberalismus ist aus der FDP ausgewandert

Ihre Steuer- und Finanzpolitik ist die Wiederholung des Immergleichen, und dieses Immergleiche ist von vorgestern: Steuersenkungs- und Klientelpolitik für Besserverdienende und Mittelständler. Die Partei hat ihre Kernkompetenz verloren: finanz- und wirtschaftspolitisch umstrittene, aber seriöse Antworten zu geben.

Das ist das Finale der Westerwelle-Strategie, der die Partei mit einem modernen Lebensgefühl befruchten wollte, aber dabei das falsche Gefühl hatte, weil er Liberalismus zu einem ökonomistischen Egomanismus pervertierte. Ein kluger politischer Liberalismus zähmt den Leviathan. Das war und bleibt richtig. Der Leviathan ist eine Supermacht, die vor allem die Freiheit der Bürger bedroht. Westerwelle, Rösler und Co. sehen nicht, dass der Leviathan von heute nicht mehr der Staat, sondern der globalisierte Finanzmarkt ist, der auch die eigene Kernklientel beutelt. Der FDP-Liberalismus ist deshalb ein verschrumpelter Liberalismus und die FDP eine Schrumpfpartei geworden.

Der Liberalismus ist großenteils aus der FDP ausgewandert: Ein ernst zu nehmender Wirtschaftsliberalismus findet sich eher in Teilen der Union. Und das libertäre Freiheitsgefühl eines neuen Bürgertums auf Vollkorn- und Solarbasis wird von den Grünen gut bedient. Der Liberalismus ist heute, verschieden gefärbt, in allen Parteien irgendwie vertreten, als Erbschaft der Aufklärung. Er geht also nicht unter, wenn es die FDP nicht mehr gibt. Aber schade wäre das doch. Gewiss, die FDP ist keine schöpferische Kraft mehr. Solange es sie noch gibt, besteht aber die kleine Chance, dass sie wieder eine wird. Dann müssten die Bürgerrechte nicht anderswo um Asyl bitten.

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