FDP: Dreikönigstreffen:"Vorsicht, dass Sie Ihr Gebiss nicht verlieren"

Die FDP hat eine Tradition in der Demontage ihres Spitzenpersonals - Westerwelle kann in der Führungskrise aus den Fehlern der Vorgänger lernen.

Heribert Prantl

Noch nie ist ein Parteichef so erbarmungslos demontiert und so gnadenlos abgemeiert worden. Er wurde auf dem eigenen Parteitag verlacht, verhöhnt und verspottet. Dieser Parteitag war vor allem ein Scherbengericht.

FDP - Westerwelle

Zuweilen quälen die Parteitagsdelegierten der FDP ihre Vorsitzenden, wenn es nicht läuft. Guido Westerwelle wird sich darauf einstellen müssen - und sollte die Fehler seiner Amtsvorgänger nicht wiederholen.

(Foto: dpa)

In einem Akt grausigen Übermuts fielen die Delegierten über ihren Parteichef her, gerade so, als sei dieser ganz allein schuld daran, dass die Partei verdurstete und verhungerte. Vor laufenden Kameras wurde er gedemütigt. Und vom sofortigen Rücktritt als Parteivorsitzender und womöglich auch als Außenminister hielten ihn nur das eigene Pflichtbewusstsein ab und der flehentliche Zuspruch von Hans-Dietrich Genscher.

Nein, es handelt sich nicht um Guido Westerwelle, sondern um Klaus Kinkel. Es handelt sich um eine Geschichte, die gut 15 Jahre alt ist, aber viel über diese Partei aussagt. Sie spielt im Dezember 1994 auf dem FDP-Parteitag in Gera, bei dem sich der Parteichef Kinkel, der eine ehrliche Haut war, nur mit knapper Not und einer Vertrauensfrage fürs Erste und bis zum nächsten Parteitag retten konnte.

Erst hatte er als Retter in der Not gegolten - dann als Paria. Dem glücklosen Parteichef folgten erst Wolfgang Gerhardt, dann Guido Westerwelle. Kinkel war nicht warm geworden mit der FDP; er rackerte zwar wie ein Blöder, war aber von außen gekommen, war eher ein Spitzenbeamter mit Managerqualitäten denn ein Spitzenpolitiker. Ein begnadeter Redner war er auch nicht. Deshalb hielt er sich nur zwei Jahre an der Parteispitze.

Die Liberalen sind vergesslich

Bei Westerwelle ist das alles anders: Er ist ein glänzender Redner und Einpeitscher. Er gehört so zur FDP, als sei er dort schon gewickelt und gefüttert worden. Kinkel immerhin erkannte seinerzeit die Qualitäten dieses Mannes und machte ihn 1994 zum Generalsekretär.

Westerwelle hat dann seinem Förderer alle Ehre gemacht: Er riss die Partei aus dem Treibsand fortlaufender Wahlniederlagen und führte die FDP von Erfolg zu Erfolg. Aber in der Politik sind die Erfolge vergessen, wenn sie Vergangenheit sind - und man sich wieder in der Wüste wähnt. Bei den Liberalen, dies lehrt die Parteigeschichte, ist diese Vergesslichkeit noch größer als in anderen Parteien.

Es gibt bei den Liberalen ein Führungs-Demontage-Virus, dem Westerwelle wie durch ein Wunder schon zehn Jahre lang widerstanden hat. Schon über eine der liberalen Vorgänger-Parteien der FDP in der Weimarer Republik, über die Deutsche Demokratische Partei (DDP), schreibt der Historiker Gordon Craig einen Satz, der in langen Phasen ihrer Geschichte auch für die FDP galt: "Von Anfang an fiel es ihr schwer, den Wählern begreiflich zu machen, wofür sie eigentlich eintrat, und die Anstrengungen, die sie unternahm, um diesen Mangel zu beheben, führten zu innerparteilichen Streitereien, zu häufigen Rücktritten in der Parteileitung."

Jetzt erlebt Westerwelle das, was seinerzeit Kinkel erlebt hat. Er hat Schwierigkeiten zu erklären, wofür er eigentlich steht - außer für Steuersenkungen. Er steht, so sagen nicht nur seine Gegner, für einen ganz engen Wirtschaftsliberalismus, aber nicht für Liberalität. Westerwelle kann sich freilich besser wehren als sein Vor-Vorgänger, weil er die Partei besser kennt und weil er reden kann wie derzeit kein anderer in der FDP.

Unzulänglichkeiten sind leichter zu ertragen als Chaos

Das Dreikönigstreffen in Stuttgart wird deshalb keine Wiederholung von Gera werden. Westerwelle wird sich anstrengen. Er wird, wenn er klug ist, die neoliberalen Floskeln fallen lassen. Er wird ein Savonarola sein müssen: Sünder und Ankläger in einer Person, reuig und ein wenig zerknirscht, aber auch trotzig, kraftstrotzend und begeisternd. Und er wird zumindest so tun müssen, als schüttele er seine stoische Überheblichkeit ab. Er wird lernen müssen aus der Parteigeschichte. Westerwelle muss lernen - wenn auch nicht unbedingt vom Parteitag in Gera; dieser ist nur ein Beispiel für die Undankbarkeit in der Politik. Die kennt Westerwelle schon, er hat schließlich die FDP zu den größten Wahlerfolgen in ihrer Geschichte geführt.

Erich Mende mit Frau Margot, 1958 FDP

Das Ritterkreuz hat der Nationalliberale zu feierlichen Anlässen gerne getragen: Erich Mende mit seiner Frau Margot im Jahre 1958. Fünf Jahre später wurde der FDP-Vorsitzende Minister für gesamtdeutsche Fragen und Vizekanzler.

(Foto: DPA)

Westerwelle wird vor allem den finalen Fehler seines politischen Urgroßvaters Erich Mende vermeiden müssen. Mende war FDP-Chef von 1960 bis 1968. Er war ein in der Wolle gefärbter Freidemokrat, wie heute Westerwelle einer ist; auch Mende war ein großer Redner und Einpeitscher. Aber er leistete sich, von der Kritik schon sichtlich angeschlagen, auf dem FDP-Parteitag von Hannover im Jahr 1967 einen Profi-Fehler, den Westerwelle jetzt beim Dreikönigstreffen in Stuttgart nicht machen darf: Mende ließ sich von seinen Kritikern aus der Contenance bringen.

Er schäumte, er wütete, er war nicht der feine Herr, als der er sich sonst gab, sondern ein grobschlächtiger Demagoge. Als Kritiker während seiner Rede wider ihn zischten, schnauzte er sie an "im Majors-Ton", wie der Spiegel schrieb: "Seien Sie vorsichtig, dass Sie beim Zischen Ihr Gebiss nicht verlieren." Seinen Gegnern warf er vor, die Partei auf einen "radikalen Linkskurs" zu trimmen. Mende hat seine Entgleisungen gutzumachen versucht; es war zu spät.

"Lasst uns am Sturz von Mende werken"

Ein Spruch, der damals in der Mende-FDP umging, lässt sich heute umschreiben auf die Situation der Westerwelle-Partei. Der Spruch hieß: "Lasst uns am Sturz von Mende werken, damit wir bald die Wende merken!" Man muss nur das Wort "Mende" durch "Guido" ersetzen, um die aktuelle Stimmung in der FDP zu beschreiben. Die Wende heute würde bedeuten: Es geht wieder aufwärts in den Umfragen, die Angst vor den sieben Landtagswahlen 2011 schwindet.

Der Unterschied zu den alten Zeiten besteht darin, dass die Kritiker damals mehr Mumm hatten und sich offen äußerten. Die hatten freilich das FDP-Mitglied Rudolf Augstein und den Spiegel hinter sich sowie den Stern-Chefredakteur Henri Nannen; beide agitierten in ihren Blättern für den Sturz des deutschnationalen Erich Mende.

Die Ähnlichkeiten mit den alten Zeiten bestehen darin, dass heute die Alternativen zu Westerwelle so undeutlich zu sein scheinen wie damals die zu Mende. Viele Mende-Kritiker waren zwar nicht einverstanden damit, wie der Chef die Partei führte. Aber wenn man keine besseren Führungspersönlichkeiten habe, so hieß es, sei Unzulänglichkeit besser als das sonst unvermeidbare Chaos.

Das Chaos stellte sich dann nicht ein. Und auch der Satz: "Es kommt nichts Besseres nach" wurde widerlegt. Auf den Parteichef Mende folgten Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher - und damit die im Vergleich zu heute so glorreichen Regierungszeiten der FDP.

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