Vor dem Bundesparteitag:Die Angst der Grünen vor dem großen Ziel

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Der Energiepolitiker Fell will bereits 2030 hundert Prozent Ökostrom. Die Partei hält das für unrealistisch und fürchtet um ihre Wahlchancen.

Daniel Brössler

Die Inspiration kommt von ganz oben. "John F. Kennedy hielt am 25. Mai 1961 die berühmte Rede, mit der er als Ziel für das Apollo-Programm eine Mondlandung binnen zehn Jahren benannte.

Letzte Vorbereitungen vor Beginn des Bundesparteitags der Grünen. (Foto: Foto: AP)

Es gelang ihm eine solche Begeisterung für das Apollo-Programm hervorzurufen, dass enorme gesellschaftliche Kräfte ausgelöst wurden", holt der energiepolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Hans-Josef Fell, in einem Antrag aus, den er "Apollo-Energie-Politik - Die Energiezukunft ist grün" überschrieben hat. Kennedys Ziel sei vielen unrealistisch erschienen und doch habe Neil Amstrong nur acht Jahre später seinen Fuß auf den Mond gesetzt.

Rein energiepolitisch gesehen wäre Fell gerne der Kennedy unserer Zeit. Das Beispiel zeige die Chancen auf, die entstünden, wenn eine Gesellschaft für große Aufgaben begeistert werde, argumentiert er. Der Enthusiasmus der grünen Führung freilich hält sich in engen Grenzen.

Schreck für die grüne Führung

Das von Fell verkündete "grüne Ziel für Deutschland", wonach 2030 hundert Prozent des Stroms mit erneuerbaren Energien erzeugt werden soll, jagt ihr einen Schrecken ein. Sie befürchtet, dass der ambitionierte Plan den Grünen schon 2009 zum Verhängnis werden könnte - bei der Bundestagswahl.

Die Angst sitzt tief, die Grünen könnten zu energiepolitischen Spinnern gestempelt werden. Ex-Umweltminister Jürgen Trittin hat daher einen Antrag für den Parteitag in Erfurt vorgelegt, der deutlich weniger visionär ausgefallen und auch prosaischer überschrieben ist: "Klimaschutz ohne wenn und aber - Vorfahrt für Erneuerbare Energien".

Darin ist umständlich von der "Klimakonferenz des UNFCCC", von Kyoto, vom Emissionshandel und natürlich den Verdiensten der rot-grünen Bundesregierung die Rede. Der Antrag ruft auch nicht zu einer Art neuer Mondfahrt auf, sondern verkündet sachlich: "Bündnis 90/Die Grünen stehen fest zu den Klimaschutzzielen, denen sich die Staatengemeinschaft verschrieben hat."

Für Deutschland bedeute das "einen Ausbau der erneuerbaren Energien auf mehr als 40 Prozent der Stromversorgung bis 2020, ein Moratorium für den Bau von neuen zusätzlichen Kohlekraftwerken und den Einsatz von modernen Gas- und Druck- sowie Kraftwärmekopplungskraftwerken".

Den Delegierten wird das vorkommen, wie eine Wahl zwischen Apollo und Aktenlage - und daher kann sich die grüne Führung nicht sicher sein, wie die Entscheidung ausfällt. Fell werde als Mahner und Drängler gebraucht, räumen Spitzen-Grüne ein, seinen Antrag aber halten sie für ungefähr so nützlich wie seinerzeit den "Fünf-Mark-für den-Liter-Benzin"-Beschluss.

So wichtig wie die Energiefrage ist den Grünen ein Signal zur Finanzmarktkrise. "Grüne Marktwirtschaft", ein "grüner New Deal" gar, soll ihrer Meinung nach das Chaos der Finanzmärkte bändigen. "Mit einem konzentrierten sozial-ökologischen Investitionsprogramm wollen wir in Deutschland und Europa gegen die Rezessionsgefahr angehen", heißt es in einem von Attac-Mitbegründer Sven Giegold mitverfassten Antrag, den auch Fraktionschef Fritz Kuhn unterstützt. Gefordert werden darin "tiefgreifende Strukturveränderungen in den nationalen Wirtschaften".

Zwölf bis 15 Milliarden Euro solle Deutschland umgehend aufwenden, um Energieeinsparungen, eine Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs und der Schienenwege sowie die Umstellung der Kfz-Steuer auf Grundlage des Kohlendioxid-Ausstoßes zu ermöglichen. Außerdem machen sich die Antragsteller für eine europäische Wirtschaftsregierung sowie die Auflösung der G-8-Staatengruppe stark.

Zurück zu den Wurzeln streben die Grünen in eigener Sache. Beschlossen werden könnte in Erfurt ein Antrag, wonach bei der Listenaufstellung für die Europawahl im kommenden Jahr eine "Neuenquote" - angelehnt ans Rotationsprinzip alter Tage - eingeführt werden soll. Jeder dritte Listenplatz würde demnach für Kandidaten reserviert, die noch nicht im Europaparlament vertreten waren.

© SZ vom 14.11.2008/ssc/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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