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Vor 40 Jahren: Militärputsch in Griechenland:Das griechische Trauma

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Mit den Putschisten vom 21. April 1967 hatte kaum einer gerechnet. Auch nicht damit, dass sie sieben Jahre an der Macht bleiben würden. Die griechischen Obristen waren lächerlich und operettenhaft - aber harmlos waren sie nie.

Im April ist der Frühling schon eine Verführung in Griechenland. Titos Patrikios hatte sich gerade von seiner Frau getrennt. Das war sein Glück. Weil die Häscher unter der falschen Adresse suchten. So konnte ein Freund ihn warnen. Der kam am frühen Morgen, mit einer Milchflasche in der Hand. Die Milch war die Tarnung. Den Soldaten hatte der Freund gesagt, ich bringe die Milch zu einem Kind. Als Patrikios die Tür öffnete, sah er einen Panzer, gleich hinter dem Mann mit der Milch.

Athen, 21.April 1967: Eine Gruppe von Offizieren aus zweiter Reihe hat sich an die Macht geputscht. Die Militärjunta sollte sieben Jahre an der Macht bleiben. Damit hatte keiner gerechnet.

Wer nicht rechtzeitig gewarnt wurde, dem konnte es übel ergehen: "Verhaftet am frühen Morgen...Von etwa 15 bis 20 Schlägern derart geprügelt, dass er eine Viertelstunde brauchte, bevor er die 30 Meter bis zum Polizeiwagen hinter sich hatte." (Aussage eines Häftlings.)

Wieder April in Athen: Blütenduft lässt sich durch Abgasschwaden ahnen. Der Schriftsteller Titos Patrikios serviert starken Cafe und süßes Halva. Von seinem Balkon aus kann man die Akropolis sehen. Damals, vor 40 Jahren, hat er ganz in der Nähe gewohnt. Titos Patrikios: ausgezeichnet mit dem Griechischen Nationalpreis für Literatur, mitverantwortlich für das Kulturprogramm der Olympischen Spiele 2004, Häftling, Flüchtling, Verbannter.

Jüngst ist sein neues Buch erschienen, auch über die ersten Tage der Militärdiktatur hat er geschrieben. Wie er sich vier Tage nach dem Putsch erstmals aus seinem Versteck wagte, auf den stets belebten und eleganten Kolonaki-Platz ging, dort Bekannte traf, und einer ihn fragte: "Warum bis Du noch nicht verhaftet?"

Danach blieb er nur noch sehr kurz in Athen. Der 39-Jährige floh nach Frankreich, später nach Italien. Wer schon weg war, kam sieben Jahre lang nicht zurück. Wie Melina Mercouri, die Ikone des griechischen Films. Sie hatte im April 1967 ihr Broadway-Debüt. Der April in New York: Das war der Monat der großen Anti-Vietnam-Kriegs-Demonstration, und Jimi Hendrix hatte mit "Hey Joe" seinen ersten Hit.

"Keine Verbindung mit Griechenland"

Für ein Musical über das muntere Leben der Matrosen von Piräus hatten die Kritiker da eher Spott übrig. Die Schauspielerin aber bewahrte es womöglich vor Schlimmerem. "Keine Verbindung mit Griechenland", notierte sie über die Putschnacht. "Wir machten schwache Versuche, die Sache leichtzunehmen. Eine Diktatur in Griechenland? Die konnte sich doch kaum 48 Stunden halten." Auch Melina Mercouri irrte.

Vor dem Putsch war Griechenland ein politisch zerrissenes Land. Im Zweiten Weltkrieg hatten Kommunisten wie Konservative den deutschen Besatzern Widerstand geleistet, dann kämpften sie ebenso erbittert gegeneinander. Fast vier Jahre dauerte der Bürgerkrieg. Die Konservativen blieben Sieger, mit Amerikas Hilfe. Das Land sollte, wie auch die Türkei, im Westen verankert werden. Aber die Abwehr eines "inneren Feindes" wurde damit für Jahrzehnte zum griechischen Trauma.

Viele Kommunisten und andere Linke flohen ins Exil oder landeten in den fünfziger Jahren auf sonnenverbrannten Verbannungsinseln, und die Spaltung der Gesellschaft dauerte auch danach fort. Als der liberale Georgios Papandreou, während des Bürgerkriegs Chef einer Exilregierung, 1964 mit seiner neuen Zentrumspartei klar die Wahlen gewann, da hofften viele, die Gräben würden nun zugeschüttet. Ein kultureller Frühling begleitete den Aufbruch.

Für konservative Militärs und den Pa-rakratos, wie Griechen ihren Schattenstaat von demokratiefeindlichen Dunkelmännern nannten, aber war die Papandreou-Regierung ein Trojanisches Pferd der Linken. Und der junge König Konstantin erwies sich als unbedarfter Helfer der Schattengestalten. 1965 entließ er Papandreou und ernannte kurzerhand einen Nachfolger. Danach regierten mehrere konservative Kabinette, meist mit gekauften Abtrünnigen der Papandreou-Partei. Straßenproteste folgten.

Für Mai 1967 waren endlich Neuwahlen angesetzt. Doch Oberst Georgios Papadopoulos, Oberst Nikolaos Makarezos und Brigadegeneral Stylianos Pattakos waren schneller. Wen sie des Widerstands für fähig hielten, ließen sie verhaften, foltern, deportieren. Lange Listen mit "Verdächtigen" waren ohnehin zur Hand.

Internationaler Minirock-Wettbewerb

Patrikios stand auf einer solchen Liste, obwohl er 1967 mit den Kommunisten schon gebrochen hatte. Aber das bewahrte die einstigen Bürgerkriegs-Verbannten nicht vor dem Verfolgungseifer der Junta. Die wollte Griechenland "säubern" und zeigte sich dabei so brutal wie lächerlich. Innenminister Pattakos verbot Bärte und Miniröcke. Als er ausgelacht wurde, verlangte er das Gegenteil: einen internationalen Minirock-Wettbewerb. Operettenhaft wirkten die "Obristen" mit ihren bunten Schärpen über dem Bauch. Aber harmlos waren sie nie. Über politische Gefangene sagte Pattakos: "Wenn sie hingerichtet werden müssen, dann werden sie eben hingerichtet."

Auch das gehörte zum Reinlichkeitswahn der Junta: Patrikios und viele andere verloren ihre Nationalität. Melina Mercouri erfuhr es am 12. Juli 1967 am Telefon: "Madame Mercouri, der griechische Innenminister hat erklärt, Sie seien eine Feindin des Volkes. Ihr gesamtes Eigentum in Griechenland soll konfisziert werden, und Ihre griechische Staatsbürgerschaft ist Ihnen entzogen worden."

Es gab Griechen, die duckten sich nur deshalb weg, weil sie um ihre Staatsbürgerschaft fürchteten. Es gab geschmeidige Anpassung, neben geduldigem Widerstand. Und auch im Ausland glaubten nicht wenige der gelenkten griechischen Presse. Als Melina in US-Medien zum Boykott griechischer Ferieninseln aufrief, bekam sie bitterböse Briefe: "Du Hure! Du kommunistische Hure!". Gezeichnet, mit besten Grüßen von "einer aufrechten Griechisch-Amerikanerin".

Athen 2007: Der Architekt Miltiades Pantelias, ein freundlicher Herr mit grauem Bart und schwarzem Lederhut, lädt zur Stadtrundfahrt. Es geht Richtung Südwesten, in die ärmeren Bezirke, vorbei am Korydallos-Gefängnis. Das ließ die Junta bauen, weit weg vom Zentrum, "weil drinnen in der Stadt die Häftlinge immer weiße Tücher aus den Zellenfenstern schwenkten und schrien´", erzählt Pantelias.

Später saßen die Diktatoren selbst hinter den Mauern von Korydallos. Pantelias war 1967 Mitglied der Kommunistischen Partei. Die Obristen hatten ihren Putsch mit einer bevorstehenden "kommunistischen Machtergreifung" begründet. Das war eine Mär. "Wir wurden genauso überrascht wie fast allen anderen", sagt Pantelias. Als er fest im Sattel saß, gab selbst Junta-Chef Papadopoulos dann gegenüber dem BBC-Direktor Hugh Carleton Greene zu: "Die Demokratie in Griechenland lief wegen der Kommunisten keine direkte Gefahr." Verhindern wollten die Obristen aber gewiss einen neuen, hochwahrscheinlichen Sieg Papandreous bei den Mai-Wahlen.

"Der Kommunismus war ein schönes Märchen"

Der Kommunist Pantelias begriff erst, was passiert war, "als die Panzer rollten". Genossen in Patras verhalfen ihm zur Flucht nach Italien. Bis heute hat er nicht verstanden, warum ausgerechnet die Sowjetunion sich mit den Diktatoren arrangierte. 1973 nahmen gar die DDR und Griechenland diplomatische Beziehungen auf, während das Regime von Athen im übrigen Europa geächtet war. "Der Kommunismus", sagt Pantelias, "das war ein schönes Märchen."

Den USA unterstellen bis heute viele Griechen eine Art Mitverschwörung. Bewiesen ist das nicht. Aber die US-Regierung verhielt sich so, dass man annehmen konnte, sie habe nicht viel dagegen, dass in Athen die Demokratie außer Kraft gesetzt war. US-Vizepräsident Spiro Agnew (dessen Familie aus Griechenland stammte) gab den Putschisten die Ehre eines Besuchs. Willy Brandt blieb im Flugzeug sitzen, als seine Maschine einmal in Athen zwischenlanden musste.

Athen 2007: Ein Foto von Willy Brandt steht vor Georgios Tsouyopoulos. "Die meisten Leute waren passiv", sagt Tsouyopoulos, wenn er erklären soll, warum die Junta so lang an der Macht blieb. "Das Leben ging weiter, und einigen ist es auch gut gegangen." Tsouyopoulos, der später für die EU arbeitete, verbrachte die Diktaturzeit in München, wo es schon viele griechische Gastarbeiter gab, und wo Juntagegner auf Geheimdienstspitzel stießen.

Die Junta schickte gar Ideologen in deutsche Betriebe, um Arbeitskollegen gegeneinander zu hetzen. Aus München sendete auch der Bayerische Rundfunk sein griechisches Programm, das mit Pavlos Bakojannis einen außerordentlich gut informierten Journalisten hatte. Bakojannis bot prominenten Flüchtlingen in ganz Europa eine Plattform, und über die Deutsche Welle erreichte er damit auch Griechenland.

Spurensuche im "Wienerwald"

München 2007: Bakojannis kann man nicht mehr befragen, er wurde 1989 ermordet (nicht von rechten Rächern, sondern einer "roten" Terrorgruppe, die sich wirrerweise ausgerechnet auf den studentischen Widerstand gegen die Diktatur berief). Aber man kann in München noch ein Lokal besuchen, dessen Rolle im "antidiktatorischen Kampf" einst wohl kaum auffiel.

40 Jahre später gibt es im "Wienerwald" am Stadion von 1860 München einen "Salat Hellas". Eleni Torossi bestellt lieber Hendl, wie früher. "Wir trafen uns hier, weil es billig war; und Wienerwald, das klang für mich nach Idylle, nach Peter Alexander", sagt die einstige Sekretärin von Bakojannis. In Zirndorf musste sich die 20-Jährige - das war weniger romantisch - damals Fingerabdrücke abnehmen lassen.

Der deutschen Polizei waren die Diktaturflüchtlinge erst einmal suspekt. "Es war Kalter Krieg und Kommunistenfurcht weit verbreitet, wir haben das schon vergessen", sagt die Autorin Torossi, die schließlich Asyl bekam. Ihre sozialdemokratische Wienerwald-Widerstandsgruppe wurde in Deutschland zeitweise von einem gewissen Karolos Papoulias geführt. Er ist heute Staatspräsident Griechenlands.

Die meisten Deutschen bekamen nicht viel mit vom Leben der Flüchtlinge. Allenfalls kannten sie ein paar Lieder von Mikis Theodorakis und wussten, dass die von den Diktatoren verboten worden waren. Exil-Griechen wie Torossi aber fuhren mit klapprigen Autos nach Kalabrien, weil man sich im Süden Italiens Griechenland so nahe fühlen kann.

Wirklich populär wurde die Diktatur nie. Bevor das Regime 1974 regelrecht zerbröselte, lancierte es noch einen Putsch auf Zypern, worauf die Türkei ihre Invasion der Insel in Gang setzte. Im Juli 1974 war der Spuk in Athen vorbei, ein Jahr später beantragte Griechenland seine Aufnahme in die EU. Die meisten Flüchtlinge kehrten rasch zurück.

Miltiades Pantelias erinnert sich noch, dass er die italienische Stewardess verwirrte. Weil er im Flugzeug weinte, als die Maschine in Athen aufsetzte.

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SZ am Wochenende vom 21.
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