Europäische Union:Von der Leyen muss um jede Stimme kämpfen

Von der Leyen in Brüssel

Ursula von der Leyen auf dem Weg zum EU-Parlament: Die Krise, die sie wohl am meisten beschäftigen dürfte, ist der Klimawandel.

(Foto: Francisco Seco/dpa)

Bis Dienstag hat sie Zeit, die EU-Parlamentarier von sich zu überzeugen. Doch es geht nicht nur um das Amt der EU-Kommissionspräsidentin, sondern auch um das Spitzenkandidaten-Prinzip. Eine schon vergessene Regel könnte dabei wichtig sein.

Von Karoline Meta Beisel und Alexander Mühlauer, Brüssel

Drei Tage hat sie noch, dann muss Ursula von der Leyen sagen, was sie vorhat. Am kommenden Dienstag wird die CDU-Politikerin eine Rede vor dem Europäischen Parlament halten, in der sie eine Art Regierungsprogramm vorstellt. Ihre politischen Leitlinien sollen möglichst viele Abgeordnete davon überzeugen, bei der anschließenden Wahl für sie zu stimmen. Ob die Bundesverteidigungsministerin in Straßburg tatsächlich zur neuen Präsidentin der EU-Kommission gewählt wird, ist noch immer offen. Von der Leyen muss um jede Stimme kämpfen.

In ihrer Rede wird sie sehr viel konkreter werden müssen, als sie es in dieser Woche bei den Besuchen in einzelnen Fraktionen gewesen ist. Vor allem wenn es um die Stärkung des EU-Parlaments geht und um die Zukunft des Spitzenkandidaten-Verfahrens. Sie hat sich zwar klar dazu bekannt, das Prinzip zu verankern - aber allein kann sie das gar nicht. Es sind die Staats- und Regierungschefs, die sich bewegen müssen.

Über bestimmte Gesetzentwürfe sollen künftig die Kommissare befinden, nicht Beamte

Von der Leyen dürfte in den kommenden Tagen also versuchen, Ratspräsident Donald Tusk davon zu überzeugen, ein Versprechen im Namen des Rates abzugeben. So wäre es möglich, eine in Vergessenheit geratene Bestimmung zu aktivieren. Sie ist als Nummer elf in den Erklärungen enthalten, die die EU-Staaten 2007 zum Vertrag von Lissabon abgegeben haben. Dieser hat den Weg zum Spitzenkandidatenprinzip juristisch überhaupt erst eröffnet. In der Erklärung heißt es, dass der Rat das Parlament bei der Kandidatenkür konsultieren muss. Aber auch: "Die Einzelheiten dieser Konsultationen können zu gegebener Zeit einvernehmlich" festgelegt werden. Das ist nur bisher nie passiert.

Gut möglich, dass es nun bald dazu kommt. Kanzlerin Angela Merkel hatte bereits bei der Nominierung von der Leyens so etwas angedeutet. Sie unterstütze den Vorschlag, dass Tusk "zusammen mit dem Parlament" überlegen solle, "wie wir in Zukunft eine solche missliche Situation vermeiden". Damit meinte sie die Tatsache, dass keiner der Spitzenkandidaten als Kommissionspräsident nominiert werden konnte: Weder für EVP-Mann Manfred Weber noch für den Sozialdemokraten Frans Timmermans hatte es im Europäischen Rat eine Mehrheit gegeben. Auch im Parlament war keine Mehrheit absehbar.

Sollte von der Leyen es schaffen, Tusk bis zum Dienstag dafür zu gewinnen, wäre das ein klares Signal an die Abgeordneten, dass sie es ernst meint mit dem Spitzenkandidatenprinzip. Sie könnte auch eine Wahlreform vorschlagen, nach der die Namen der Spitzenkandidaten künftig EU- weit auf den Wahlzetteln stehen. Im Gespräch ist zudem, einen Teil der Sitze über transnationale Listen zu vergeben. Bereits angekündigt hat von der Leyen, Gesetzesvorschläge, hinter denen eine absolute Mehrheit des Parlaments steht, im Kommissarskollegium zu diskutieren. Bislang befinden darüber Beamte.

Das alles wären Reformen, die Europas Demokratie stärken könnten. Als sich Jean-Claude Juncker vor fünf Jahren dem Parlament präsentierte, standen andere Themen im Fokus. Damals drehte sich fast alles um die Nachwirkungen der Finanzkrise. Die Krise, die von der Leyen am meisten beschäftigen dürfte, ist der Klimawandel. Schon in den Verhandlungen der Parlamentsfraktionen war das eines der schwierigsten Themen gewesen. EVP, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne hatten versucht, eine Art Koalitionsvertrag zu formulieren. Die letzte Version des Textes zeigt von der Leyen, bei welchen Punkten bereits Einigkeit bestand - und wo nicht.

So hatten sich Sozialdemokraten, Liberale und Grüne ein "Klimagesetz" gewünscht, das die Kommission noch in diesem Jahr hätte vorlegen sollen. Dieses sollte sicherstellen, dass es der EU tatsächlich gelingt, bis 2050 klimaneutral zu werden - also genau das Ziel zu erreichen, auf das sich die Staats- und Regierungschefs im vergangenen Monat nicht einigen konnten. Die Verabredung für solch ein Gesetz scheiterte bislang allerdings an der fehlenden Zustimmung der Christdemokraten.

Sozialdemokraten fordern mehr Zusagen beim Klimaschutz

Auch bei der Vereinbarung eines neuen Emissionsziels für 2030 waren sich die Fraktionen nicht einig: Während Sozialdemokraten, Liberale und Grüne sich auf eine Reduktion von mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 festlegen wollten, hatte die EVP sich zunächst geweigert, überhaupt ein konkretes Ziel zu nennen, sondern nur gesagt, dass das Ziel "erhöht" werden solle. Bislang gilt in der EU eine Reduktionsvorgabe von 40 Prozent bis 2030; insofern sind die 50 Prozent, die von der Leyen nun als Ziel genannt hat, bereits ein Schritt, den die Christdemokraten in den Verhandlungen nicht gehen wollten.

Trotzdem forderten die Sozialdemokraten am Freitag erneut mehr Zusagen beim Klimaschutz. So heißt es in einem Schreiben an von der Leyen, dass im neuen EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 wenigstens 30 Prozent der Mittel für den Kampf gegen den Klimawandel bereitgestellt werden sollen. Auch bei diesem Thema hatte die EVP bei den Diskussionen mit den anderen Fraktionen keine konkrete Zielmarke nennen wollen. Außerdem fordern die Sozialdemokraten einen Plan für zusätzliche Investitionen in Europa im Wert von einer Billion Euro bis 2024, Flexibilität bei der Auslegung der EU-Sparregeln und Mindeststeuersätze für Unternehmen. Eine Totalopposition, wie sie die Europa-SPD gerne hätte, sieht anders aus.

Die Liberalen stellten ebenfalls Forderungen. Sie dringen auf einen verbindlichen Mechanismus zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit samt Strafen. Außerdem pochen sie darauf, dass ihre Spitzenkandidatin Margrethe Vestager in der Hierarchie dem Sozialdemokraten Timmermans gleichgestellt wird.

Auch zur Zukunft der umstrittenen Asylreform wird sich von der Leyen äußern müssen. Die Lage unter den Mitgliedstaaten ist völlig festgefahren. Darum könnte es sein, dass von der Leyen den Reformvorschlag zurücknehmen will, um einen Neustart zu ermöglichen. Inhaltlich müssten dabei zwar genau dieselben Fragen geklärt werden wie jetzt auch. Staaten, die dem Thema besonders kritisch gegenüberstehen, könnten den Neustart innenpolitisch aber als Gewinn verbuchen - und wären beim Neuanlauf vielleicht diskussionsbereiter als zuletzt.

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