Koalitionsstreit:Merkel hat sauber gespielt

German Chancellor Angela Merkel welcomes Ireland's President Michael D. Higgins at the Chancellery in Berlin

Merkel hat - obwohl sie nie eine Anhängerin des Spitzenkandidaten-Systems war - so lange wie möglich an Weber und Timmermans festgehalten.

(Foto: REUTERS)

SPD und CSU sind wegen der Nominierung von der Leyens als Kommissionschefin verärgert. Aber faktisch gibt es für sie keinen Grund, wegen Merkels Verhalten beim EU-Gipfel die Koalition infrage zu stellen.

Kommentar von Robert Roßmann, Berlin

Sigmar Gabriel gehörte am Mittwoch mal wieder zu den Lautesten. Ursula von der Leyens Nominierung für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin sei ein beispielloser Akt der politischen Trickserei, schimpfte der ehemalige SPD-Chef - sie sei sogar "ein Grund, die Regierung zu verlassen". Die aktuelle SPD-Spitze äußerte sich zwar zurückhaltender, aber auch bei ihr ist der Unmut gewaltig. Hat die Personalie von der Leyen also die Sprengkraft, die ohnehin schon wacklige große Koalition endgültig auseinanderfallen zu lassen?

Für die SPD hätte der EU-Sondergipfel jedenfalls kaum schlimmer verlaufen können. Zum Auftakt durften sich die Sozialdemokraten die begründete Hoffnung machen, dass ihr Spitzenkandidat Frans Timmermans nächster EU-Kommissionschef wird. Doch am Ende ging Timmermans nur mit einem Trostpreis nach Hause. Brutaler können Erwartungen kaum enttäuscht werden. Entsprechend groß ist jetzt der Kater bei den Sozialdemokraten. Aber auch in der CSU ist der Ärger enorm. Manfred Weber ging, obwohl die Europäische Volkspartei mit ihm als Spitzenkandidaten bei der Europawahl auf dem ersten Platz gelandet ist, sogar ganz leer aus. Aber was heißt das nun für die Zukunft der Regierung?

Entscheidend dafür ist zunächst einmal das Verhalten der Kanzlerin in Brüssel. Können ihr SPD oder CSU glaubhaft vorwerfen, Timmermans oder Weber ohne Not fallen gelassen zu haben? Die Antwort ist: Nein. Merkel hat - obwohl sie nie eine Anhängerin des Spitzenkandidaten-Systems war - so lange wie möglich an Weber festgehalten. Erst als endgültig klar war, dass er nicht durchsetzbar ist, suchte Merkel nach einer Alternative. Die CSU mag also Grund zur Klage über Emmanuel Macron und andere Staats- und Regierungschefs haben, die Weber ausgebremst haben. Über die Kanzlerin kann sie sich aber nicht beschweren.

Die Verhinderung einer Deutschen an der EU-Spitze wäre kein Wahlkampfschlager

Das gilt auch für die Sozialdemokraten. Um das Spitzenkandidaten-System zu retten und eine Lösung zu ermöglichen, hat Merkel sich sogar gegen die Interessen ihrer Christdemokraten gestellt und sich für Timmermans als Kommissionschef eingesetzt. Erst als auch das wegen der Widerstände in der EVP und bei den Visegrád-Staaten gescheitert war, kam von der Leyen ins Spiel. Und auch in dieser dritten Runde hat Merkel sauber gespielt: Wegen des Widerstands der SPD stimmte die Kanzlerin als einzige der Staats- und Regierungschefs nicht für von der Leyen, sondern enthielt sich.

Faktisch gibt es also für SPD und CSU keine Gründe, wegen Merkels Verhalten die Koalition infrage zu stellen. Aber in der Politik geht es ja auch immer um die Frage, ob es jemandem nützt, etwas zum Vorwand zu nehmen. Die Gefahr besteht jetzt allerdings nicht. Auch die SPD weiß, dass die Verhinderung einer Deutschen an der Spitze der EU kein Wahlkampfschlager wäre. Und die CSU ist immer noch froh darüber, dass der jahrelange zermürbende Streit mit Merkel beigelegt ist. Außerdem hat die CSU mit dem vergleichsweise guten Ergebnis bei der Europawahl ihre Rendite der Weber-Spitzenkandidatur ja schon eingestrichen.

Und so dürfte die Personalie von der Leyen trotz aller verbalen Scharmützel dieser Tage das Klima in der Koalition nicht dauerhaft belasten. In der Kabinettssitzung am Mittwochmorgen soll es jedenfalls schon wieder ausgesprochen entspannt zugegangen sein.

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