Während Donald Trump in den USA Zug um Zug seine Machtübernahme vorbereitet, ist die Europäische Union weiterhin nur eingeschränkt handlungsfähig. Alle in Brüssel sind sich einig: Die EU muss sich schleunigst auf den neuen US-Präsidenten vorbereiten – aber auch fünf Monate nach den Europawahlen weiß Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nicht, wann sie die Arbeit mit ihrem neuen Team aufnehmen kann.
Ursprünglich war der 1. November als Termin für den Amtsantritt der neuen Kommission genannt worden, mittlerweile ist nicht einmal mehr sicher, ob es zum 1. Dezember klappt. Das Europaparlament, so sehen es die EU-Regeln vor, muss die von ihren jeweiligen Regierungen nach Brüssel entsandten Kommissarinnen und Kommissare im Amt bestätigen. Das Hohe Haus hat sich aber nun bei den Beratungen über die neue Kommission in einem Machtkampf zwischen dem linken und dem rechten Lager verkeilt.
Es geht um die grundsätzliche Ausrichtung der europäischen Politik
Ursula von der Leyen versuchte am Mittwoch vergeblich, im Gespräch mit den handelnden Personen die Wogen zu glätten. Im Mittelpunkt des Streits stehen der CSU-Politiker Manfred Weber als Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) und Iratxe García Pérez, Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion. Die Spanierin wirft dem Deutschen vor, er paktiere mit Rechtsextremen und Rechtsradikalen und verstoße damit gegen gemeinsame europäische Werte. Der Deutsche wirft der Spanierin vor, den spanischen Kulturkampf zwischen links und rechts im Namen ihres Chefs Pedro Sánchez ins Europaparlament zu tragen – und Weber fühlt sich ganz persönlich verunglimpft.
Es geht dabei um die grundsätzliche Ausrichtung der europäischen Politik. Wegen des Rechtsrucks bei den Wahlen im Juni ist die sogenannte Von-der-Leyen-Mehrheit aus EVP, Sozialdemokraten und Liberalen im Parlament so schmal geworden, dass sie zusätzlicher Hilfe bedarf. Für die Wiederwahl von der Leyens holte EVP-Chef Weber deshalb die Grünen an Bord. Er will seine Politik aber nicht dauerhaft an Rote und Grüne binden. Deshalb hat er bei mehreren Abstimmungen zuletzt rechte Mehrheiten gebildet und die Linken damit provoziert.
Manfred Weber baut vor allem auf die „Konservativen und Reformer“, die viertstärkste Fraktion im Parlament, der auch die Fratelli d’Italia der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni angehören. Die Postfaschisten wollen sich offenbar als seriöse Bündnispartner der EVP etablieren.
Weber und seine Kontrahentin ringen um drei Personalien
In dieser explosiven Gemengelage stellte sich von der Leyens neues Team in den vergangenen Tagen den Anhörungen im Parlament. An der fachlichen Eignung der 26 Frauen und Männer gibt es nach den dreistündigen Befragungen kaum Zweifel, aber drei Personalien bleiben aus grundsätzlichen Erwägungen ungeklärt.
Die Sozialdemokraten wollen sich als Kämpfer gegen die rechte Welle in Europa profilieren, indem sie dem Italiener Raffaele Fitto und dem Ungarn Olivér Várhelyi die Zustimmung verweigern. Fitto dürfe als Angehöriger einer postfaschistischen Partei nicht den Titel eines geschäftsführenden Vizepräsidenten tragen – darauf drängen vor allem die italienischen Sozialisten. Und Várhelyi könne schlicht deshalb nicht Kommissar werden, weil er ein Vertrauter von Viktor Orbán ist.
Die EVP verweigert sich im Gegenzug der spanischen Sozialistin Teresa Ribera, die nach dem Willen Ursula von der Leyens wie Fitto geschäftsführende Vizepräsidentin werden soll. Webers Forderung, angetrieben durch seine konservativen Parteifreunde aus Spanien: Vor einer Bestätigung durch das Europaparlament müsse Ribera erst im spanischen Parlament ihr Verhalten während der Hochwasserkatastrophe in Valencia darlegen. Schließlich sei sie als stellvertretende Ministerpräsidentin verantwortlich für Katastrophenschutz. Die EVP fordert zudem, Ribera müsse ihren Rücktritt aus der Kommission zusichern, sollte sie in Spanien wegen der Katastrophe von Valencia strafrechtlich belangt werden.
Wie ist die Blockade zu lösen?
Die Kandidaten brauchen im Parlamentsausschuss, der für ihr Fachgebiet zuständig ist, eine Zweidrittelmehrheit. Falls diese nicht zustande kommt, genügt eine einfache Mehrheit in geheimer Abstimmung. Offenbar hat Iratxe García Pérez ihrem deutschen Widerpart Weber genau das vorgeschlagen: Er könne ja Fitto und Várhelyi mit den Rechtsextremen geheim ins Amt wählen. Das aber lehnt Weber ab. Er möchte sich in dieser fundamentalen Frage europäischer Politik nicht als Rechten-Freund vorführen lassen und beharrt auf einer Paketlösung im Einvernehmen mit den Sozialdemokraten und den Liberalen.
Wie die Blockade zu lösen ist, weiß derzeit niemand in Brüssel. Am wirkungsvollsten ist wohl der Faktor Zeit. Am Ende der langwierigen Prozedur muss die Kommission noch vom Plenum des Parlaments mit einfacher Mehrheit bestätigt werden. Dazu besteht die nächste Möglichkeit in der Sitzungswoche ab 25. November.
Es wäre eine Blamage für die Europäische Union, sollte ihre neue Exekutive erst nach der US-Regierung von Donald Trump ins Amt kommen. Auch die Staats- und Regierungschefs haben ein Interesse daran, dass es nun schnell geht. Sie treffen sich Ende Dezember zum Gipfel in Brüssel und wollen dort mit der neuen Kommission beraten, wie sich die EU auf Donald Trump vorbereiten soll.