Der zum Teil erbitterte Widerstand der SPD gegen die Wahl der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen zur Präsidentin der Europäischen Kommission belastet zunehmend die schwarz-rote Koalition in Berlin. "Wir arbeiten dafür, dass Frau von der Leyen gewählt wird, und dass wir diese Situation in der Koalition haben, ist natürlich nicht einfach", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag nach einem Gespräch mit der neuen dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen in Berlin.
Nach 52 Jahren habe Deutschland erstmals wieder die Chance, eine Kommissionspräsidentin zu stellen. Mit der SPD-Führung sei sie sich einig, dass mit von der Leyen vernünftig umgegangen werden müsse. "Manches, was da gestern in Brüssel stattgefunden hat, würde ich jetzt nicht in diese Kategorie hineinstecken", sagte Merkel. Die deutschen Sozialdemokraten im Europaparlament haben ein zweiseitiges Schreiben verfasst, in dem sie für die nicht-deutschen Abgeordneten darlegen, warum sie die Verteidigungsministerin für ungeeignet halten. Verwiesen wird dort auf die Affäre um Berater in ihrem Ministerium und die Kostenexplosion beim Segelschulschiff Gorch Fock.
Nach den Grünen sagt die Linke nein. Bei den Sozialdemokraten machen die Deutschen Front
Das kam offenbar nicht bei allen gut an. Am Donnerstagabend sah sich Jens Geier, Chef der Gruppe, gezwungen klarzustellen, dass eine "persönliche Beschädigung" von der Leyens "nicht beabsichtigt" gewesen sei. Die SPD-Spitze habe von dem Papier nichts gewusst, sagte der kommissarische Parteichef Thorsten Schäfer-Gümbel der FAZ. Die Kandidatin setzte am Donnerstag in Brüssel mit einem Besuch bei der Linken-Fraktion ihre Gespräche fort, konnte ihre Wahlchancen aber nicht steigern. "Von der Leyens Plan für die Zukunft Europas ist völlig ungenügend, um den Herausforderungen unserer Zeit gerecht zu werden", sagte Martin Schirdewan, Interimsvorsitzender der Linken im EU-Parlament. Die Fraktion werde die CDU-Politikerin nicht wählen.
376 von 751 Abgeordneten braucht von der Leyen, um am kommenden Dienstag in Straßburg zur Präsidentin der EU-Kommission gewählt zu werden. Auf die 41 Stimmen der Linken ist sie nicht zwingend angewiesen. Aber auch aus anderen Fraktionen gibt es Absagen. Eine breite Mehrheit aus Christ- und Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen wird sie wohl nicht bekommen. Von der Leyen muss um jede Stimme kämpfen - und braucht vielleicht trotzdem noch Hilfe von rechts.
Denn auch die Grünen kündigten bereits am Mittwochabend an, nicht für die Deutsche zu stimmen. Sie sind verärgert, weil die Klimaschutzzusagen der Kandidatin hinter dem zurückbleiben, worauf sich das EU-Parlament bereits geeinigt hatte: Von der Leyen will sich für eine Reduktion der Treibhausgase um 50 Prozent bis 2030 einsetzen; das bisherige Ziel der EU ist eine Reduktion um nur 40 Prozent, das Parlament aber hatte sich im März auf 55 Prozent festgelegt.
Die Christdemokraten dürfte von der Leyen zwar auf ihrer Seite haben, aber wenn sie eine komfortable Mehrheit hinter sich wissen will, kann sie sich auch in den Reihen der Liberalen und Sozialdemokraten nur wenige Abweichler leisten. Anderenfalls wäre sie auf die Stimmen der konservativen EKR-Fraktion angewiesen, in der Parteien wie die rechtsnationale polnische Regierungspartei PiS vertreten sind.
Die 154 Sozialdemokraten im EU-Parlament haben sich noch nicht festgelegt. Zwar haben sie in der vergangenen Woche mit dem Italiener David Sassoli einen der ihren zum Parlamentspräsidenten gewählt - also getan, was die Staats- und Regierungschefs ihnen empfohlen hatten. Jens Geier will das aber nicht als Zustimmung zu allen Personalien verstanden wissen: "Das Parlament entscheidet immer noch selbst, wen es zu seinem Präsidenten wählt." Nach dem Treffen mit von der Leyen sei ein Fragenkatalog offengeblieben. Erst wenn der beantwortet ist, wollen die Sozialdemokraten entscheiden. Für die 108 Liberalen wiederum dürfte mit ausschlaggebend sein, welche Rolle ihre Spitzenkandidatin Margrethe Vestager in der Kommission übernehmen soll, genauer: In welchem Verhältnis sie und der Sozialdemokrat Frans Timmermans künftig stehen.