Süddeutsche Zeitung

Neue EU-Kommission:Von der Leyen muss sich beweisen

Dass ihre Kandidatin Sylvie Goulard im Europaparlament durchgefallen ist, offenbart die vielen Probleme der künftigen Kommissionspräsidentin.

Kommentar von Matthias Kolb, Brüssel

Ursula von der Leyen flüchtet sich ins Positive. "Ich habe 26 Kandidatinnen und Kandidaten vorgeschlagen, von denen 23 akzeptiert worden sind", lässt sie mitteilen und versucht so, von ihrer ersten Pleite als designierte Präsidentin der EU-Kommission abzulenken. Denn auch wenn das Veto des Europaparlaments gegen die Kommissarskandidatin Sylvie Goulard vor allem das Misstrauen gegenüber dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron dokumentiert, so offenbart dieses Votum viele Probleme von der Leyens.

Dass der angestrebte Arbeitsbeginn zum 1. November nun geplatzt ist und die CDU-Politikerin rein symbolisch einen Fehlstart hinlegt, ist das geringste Problem. Vier Wochen Verzögerung sind nicht schlimm, wenn am Ende eine kompetente und integre Kommission steht. Bedenklicher ist, dass von der Leyen und ihrem Team drei Monate nach der äußerst knappen Bestätigung weiter das Gespür für die Brüsseler Befindlichkeiten fehlt.

Im Europaparlament setzt sie auf eine Mehrheit aus Europäischer Volkspartei (EVP), Sozialdemokraten und den Liberalen von Renew Europe, zu denen Macrons Partei zählt. Wie wackelig diese Basis ist, zeigt, dass Goulard nur von Renew unterstützt wurde, obwohl Spaniens sozialdemokratischer Premier Pedro Sánchez und auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak für sie geworben hatten. Doch die Wut auf Macron ist so groß, weil Frankreichs Präsident die EU-Abgeordneten unverhohlen als Befehlsempfänger sieht.

Es geht bei diesem Machtkampf daher nur bedingt um verletzte Gefühle von Manfred Weber, den Macron als Kommissionschef verhindert hat. Es geht vielmehr um das Selbstverständnis der Institution EU-Parlament. Die Abgeordneten sind nicht gewillt, eine Kandidatin zu akzeptieren, die in mehr als vier Stunden nicht erklären kann, wie sie das Schlüsselressort Binnenmarkt gestalten will und in Ethik-Fragen keine Sensibilität zeigt. Ein französischer Pass macht dieses Manko nicht wett. Dass von der Leyen ihre Freundin Sylvie Goulard nicht zu einer anderen Strategie hat bewegen können, zeugt von fehlender Führungsstärke oder davon, dass sie die brodelnde Stimmung schlicht falsch eingeschätzt hat.

Macron zeigt, wie schwierig die Zusammenarbeit mit ihm werden kann

Parteiübergreifend haben die Abgeordneten die Französin abgelehnt. Und jene deutschen EVP-Politiker, die die Pariser Arroganz kritisieren und dafür auch bilaterale Spannungen in Kauf nehmen, sehen sich durch das Verhalten Macrons nun bestätigt. Sie halten es zu Recht für "platt", dass der Präsident beleidigt von der Leyen die Schuld gibt.

Die Reaktion lässt erahnen, wie schwierig die Zusammenarbeit mit Macron werden könnte. Dieser will nun aus wahltaktischen Gründen die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Albanien und Nordmazedonien blockieren - und widerspricht explizit dem Wunsch der Kommissionschefin. Sie muss nun sehr schnell beweisen, dass sie sich gegen die Staats- und Regierungschefs auch durchsetzen kann. Diese machen bisher keine Anstalten, von der Leyens Kommission jene Finanzmittel bereitzustellen, die sie für ihre ambitionierten Ziele in Sachen Digitalisierung, Innovation und Kampf gegen den Klimawandel braucht. Doch genau am Erfolg dieser Projekte hängt das Urteil der Bürger über die EU - und eben auch über die erste Frau an der Spitze.

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SZ vom 12.10.2019/mkoh
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