Vom DDR-Politoffizier zum Bundespolizisten:Eine deutsche Karriere und ein Justiz-Albtraum

Sven Hüber, Funktionär bei der Gewerkschaft der Polizei und ehemaliger Politoffizier der DDR-Grenztruppen, prozessiert wegen der Preisgabe seiner Vergangenheit in verschiedenen Medien. Autor Roman Grafe, dessen Buch im Zusammenhang mit der Causa nicht mehr verbreitet werden konnte, schildert seine Sicht auf den Fall. sueddeutsche.de dokumentiert seine Erinnerungen.

An einem sonnigen Septembermorgen im Jahr 2005 bat mich die Postbotin, den Empfang eines Briefes zu bestätigen: Landgericht Berlin, lautete der Absender - was nun wohl die Postfrau von mir denkt, fragte ich mich und sagte Danke. Es war der Anfang eines Justiz-Albtraumes, der Beginn einer irrwitzigen Geschichte.

RBB

Sven Hüber im ARD-Magazin "Kontraste" vom 8. März 2007

(Foto: Foto: RBB)

Einen Monat zuvor hatte mir der Berliner Rechtsanwalt Johannes Eisenberg geschrieben, "der gefürchtete Medienanwalt" (Der Spiegel), bei deutschen Gerichten verschrien wegen seines "cholerischen Temperaments" (Berliner Zeitung), ein "Juristen-Poltergeist" (Frankfurter Rundschau), eine "große Nervensäge" (FAS), "Psycho-Johnny" (ein Landrichter), "allein seine Stimme ist Körperverletzung" (eine Anwaltskollegin).

Diesmal vertrat Anwalt Eisenberg nicht Stasi-Minister Erich Mielke und dessen umbenannte SED und ihren Retter Gregor Gysi (gegen den Vorwurf, er sei ein Stasi-Spitzel gewesen).

"Allein seine Stimme ist Körperverletzung"

Diesmal vertrat der Advokat einen jener deutschen Karrieristen, die sich nach dem Ende der DDR zu Tausenden dem Klassenfeind angedient hatten, um weiter zweckmäßig zu funktionieren und die dafür vorgesehenen Belohnungen zu kassieren: Sven Hüber, Jahrgang 1964, in der DDR Politoffizier der Grenztruppen, im vereinten Deutschland Erster Polizeihauptkommissar, der zweithöchste Vertreter der Bundespolizei in der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Als Hauptpersonalrats-Vorsitzender ist Hüber oberster Personalvertreter von mehr als 30.000 Bundespolizisten.

Ich hatte Sven Hüber in meinem Buch "Deutsche Gerechtigkeit. Prozesse gegen DDR-Grenzschützen und ihre Befehlsgeber" (Siedler-Verlag 2004) auf Seite 306 in einem Halbsatz erwähnt als heutigen Bundespolizisten und früheren Politoffizier in dem Berliner Grenzregiment, in dessen Bereich noch im Februar 1989 der Mauerflüchtling Chris Gueffroy erschossen worden war. Mehr nicht.

Allein der Umstand, eröffnete mir Anwalt Eisenberg, dass sein Mandant "einige Jahre bei den Grenztruppen gedient haben könnte" (!) rechtfertige nicht, ihn heute zu "deanonymisieren". Ich solle mich innerhalb von 24 Stunden verpflichten - bei Androhung einer "Vertragsstrafe von 10.000 Euro" - nie wieder den Namen seines Mandanten in solchen Zusammenhängen zu nennen.

Anderenfalls drohe mir ein Prozess. Für den zweiseitigen Anwaltsbrief, den ich als einen dreisten Erpressungsversuch verstand, sollte ich Johnny E. 1383,42 Euro überweisen. Ich wurde verklagt, ebenso der Siedler-Verlag. So steigen des Anwalts Honorare.

"Lebensgeheimnis"

Hüber, als Hauptpersonalsrats-Vorsitzender beteiligt an etlichen Karriere-Entscheidungen, möchte also ungenannt bleiben; sein Anwalt pocht auf "die Interessen des Klägers an seiner Anonymität".

Zuvor stand der Namenlose als Gewerkschaftsfunktionär mit vollem Namen im Spiegel, in der Süddeutschen Zeitung, in der Morgenpost usw. Dagegen hat er nichts, nur möchte mir Herr H. verbieten lassen, "seine privaten Lebenssachverhalte an die Öffentlichkeit zu zerren"; sein Dienst an der innerdeutschen Grenze müsse im "persönlichen Lebensgeheimnisbereich" bleiben.

Die Heimlichtuerei ist grotesk: Als "Sven Hüber, Stabsoffizier im Grenzregiment 33" hielt er im Berliner Mauermuseum 47 Vorträge über den "Dienst an der Berliner Grenze", vor Schulklassen etwa. (Apropos Lebensgeheimnis: Johannes Eisenberg vertrat als taz-Anwalt die Ansicht, der Phallus des Bild-Chefs sei von öffentlichem Interesse.)

Das Schulfernsehen der ARD widmete Hübers Leben in der DDR 2002 eine ganze Sendung: Sven als Baby, im Kindergarten, bei der Jugendweihe, als Grenzsoldat. Sein "erstes Leben" nennt es der Zeitzeuge Hüber. Schließlich: Hüber in seinem schicken Büro im Innenministerium und beim Biertrinken mit Bundesinnenminister Schily.

"Die Partei ist von ihm überzeugt"

Der Beitrag vermittelt den Eindruck, Sven Hübers Laufbahn sei geradezu zwangsläufig gewesen, da er als Heranwachsender einer totalen Indoktrination nicht entkommen konnte und keinerlei Zweifel an dem ihm vermittelten Weltbild hatte: "Die ostdeutschen Kommunisten sind von ihrer Politik überzeugt. (...) Sven Hüber ist überzeugt. (...) Die Partei ist von ihm überzeugt." Dabei wird verdrängt, dass Millionen andere Menschen in der DDR genauso indoktriniert worden waren, ohne eine solche Karriere anzustreben und sich sogar bewusst vom SED-Staat abwendeten.

Der Beitrag unterschlägt die Tätigkeit Sven Hübers als Politoffizier im Grenzregiment 33 und somit seine herausragende Verantwortung beim Durchsetzen des "ideologischen Schießbefehls" (Zitat Landgericht Berlin im Urteil gegen die SED-Führung wegen der Tötung Chris Gueffroys).

Als Jugendinstrukteur des Regiments war Sven Hüber (für ein doppeltes Facharbeitergehalt) mitverantwortlich für die Erziehung "zum tiefen Klassenhass gegen die Feinde des Sozialismus" sowie für "die Ausprägung der Bereitschaft, jeden Befehl widerspruchslos zu erfüllen".

Der Beitrag verschweigt auch die leicht zu recherchierende Tatsache, dass Hüber schon in seiner Diplomarbeit (1987) ein umfangreiches "klassenmäßig geprägtes Feindbild" aufgebaut hatte, zur "politisch-moralischen Vorbereitung der Angehörigen der Grenztruppen der DDR auf den Grenzdienst". Dabei bezeichnete er das mörderische DDR-Grenzregime als legitim. Das Thema der Arbeit war sein späterer Arbeitgeber: "Der Bundesgrenzschutz als Instrument imperialistischer Macht- und Herrschaftssicherung".

Eine deutsche Karriere und ein Justiz-Albtraum

Aus der Konfrontationsstrategie der BRD resultiere der "aggressive und reaktionäre Charakter" des Bundesgrenzschutzes. (Er habe die Arbeit "allein zum Zwecke der Erlangung des Diploms gefertigt, ohne davon, was er da geschrieben hat, inhaltlich überzeugt zu sein", sagt Hüber heute über die Hetzschrift. Und dass er "selbstverständlich derartige Auffassungen für falsch hielt".)

Vom DDR-Politoffizier zum Bundespolizisten: Ein Abschnitt der Mauer in Berlin, aufgenommen 1978.

Ein Abschnitt der Mauer in Berlin, aufgenommen 1978.

(Foto: Foto: AP)

Im Dezember 2005 verhandelt in der Sache Hüber gegen Siedler und Grafe die auf Täterschutz spezialisierte 27. Zivilkammer des Berliner Landgerichts. Eingangs erklärt der Vorsitzende Richter Michael Mauck, es sei schon problematisch, den Namen Hübers im Zusammenhang mit der Tötung Gueffroys zu nennen.

Hüber - im glänzenden Anzug und mit Schlips - sagt, dass er als Jugendinstrukteur "Tanzveranstaltungen organisiert" habe und andere kulturelle Veranstaltungen. "Ja, was wollen Sie dann vom Herrn Hüber?", fragt mich darauf Richter Mauck. Mir fehlen die Worte.

Anwalt Eisenberg schnauzt mich an: "Sie sind jemand, der mit Dreck schleudert! Sie zeigen ein gehöriges Maß an Rechtsverachtung! Sie werden verlieren! Sie betreiben eine massive Persönlichkeitsvernichtung!" - "Ich vernichte niemanden", entgegne ich. "'Grenzverletzer' waren 'festzunehmen oder zu vernichten'. Und Ihr Mandant hatte das mit zu verantworten."

"Sie werden verlieren!"

Der Kläger Hüber: "Ich bin nicht Erich Honecker, ich bin nicht Erich Mielke! Das dienstgradärmste Schwein soll zum Schlachten vorgeführt werden. Hohes Gericht, dieser Mann verfolgt mich, bitte schützen Sie mich davor! Ich möchte nicht, dass mein Sohn in der Schule gefragt wird: 'Ist Dein Vater ein Mörder?' Ich möchte Frieden haben."

Die Parteien mögen sich außergerichtlich einigen, beendet der Vorsitzende die Verhandlung, anderenfalls ergehe ein Urteil. Kurz darauf erreicht mich, was Anwalt Eisenberg einen "Vergleichsvorschlag" nennt: Verlag und Autor dürften die Restauflage verkaufen, wenn sie sich bei Hüber für die "falsche Anscheinserweckung entschuldigen, er habe auch nur in irgendeiner Beziehung gestanden" zu den an Gewalttaten beteiligten DDR-Grenzschützen. In Zukunft sollen wir den Namen Sven Hüber überhaupt nicht mehr erwähnen dürfen. Diese Einladung ins Tollhaus lehnen wir ab.

Die an der Tötung Chris Gueffroys beteiligten Soldaten Heinrich, Kühnpast, Schmett und Schmidt "sind mir auch gar nicht bekannt", hat Herr Hüber dem Gericht eidesstattlich versichert. In einem 1995 veröffentlichten Gespräch zitierte ihn eine amerikanische Journalistin: Gueffroys Todesschütze, Ingo Heinrich, sei auf jeden Fall derjenige gewesen, mit dem er durchs Feuer gehen würde; "nach unseren Beurteilungen" sei er der Zuverlässigste von den vieren gewesen. Kühnpast sei als labil eingestuft worden. Schmett und Schmidt hätten gespurt, sobald sie merkten, dass sie von höherer Stelle aus beobachtet wurden.

Er habe zwar als Jugendoffizier die FDJ-Sekretäre des Regiments angeleitet, sich dabei jedoch "gar nicht um die Frage der Verknüpfung von Ideologie und Schusswaffenanwendung gegen Flüchtlinge gekümmert", hat Herr Hüber das Landgericht wissen lassen. Dabei hatten die von ihm angeleiteten FDJ-Leitungen ausdrücklich die "grundlegende Aufgabe", die politische Schulung der Grenzsoldaten zu unterstützen - jenen Politunterricht also, von dem Todesschütze Heinrich später sagte, erst durch ihn sei er überzeugt worden, dass das Erschießen eines Flüchtlings rechtmäßig sei.

Das Gericht gibt Sven Hüber im Februar 2006 recht: Mein Buch soll nicht mehr verbreitet werden dürfen. Durch die Passage könne "der falsche Eindruck erweckt werden, der Kläger sei für den Tod des Chris Gueffroy aufgrund seiner herausgehobenen Stellung als der maßgebliche Politoffizier mit verantwortlich". Dabei sei selbst eine moralische Mitverantwortung unbewiesen. (Dabei ist es ja das Wesen einer Meinungsäußerung, dass sie nicht bewiesen werden muss.)

Diese Richter stellen sich dumm, denke ich. Verlag und Autor gehen in Berufung: "Das Landgericht ignoriert, dass in der aus zehn Wörtern bestehenden Äußerung, um die es in diesem Rechtsstreit geht, ausschließlich wahre Tatsachenbehauptungen enthalten sind", begründet mein Anwalt, Professor Jan Hegemann.

"Eine günstige Falschaussage"

Sven Hübers zweites Leben: Nach dem Mauerfall wechselt der "hauptamtliche Parteiarbeiter" zum Bundesgrenzschutz, so wie etwa fünftausend DDR-Grenztruppenoffiziere, Volkspolizisten und Stasi-Mitarbeiter. Seine Tätigkeit als Politoffizier im Grenzregiment 33 ist dem Innenministerium bekannt, bevor er Beamter wird.

Der SED-Kader arbeitet in den 90er Jahren in der Personalabteilung, er beginnt seine Gewerkschaftskarriere und kommt ruckzuck als Erster Polizeihauptkommissar in die Besoldungsgruppe A 13. In den Ferien reist Hüber gerne in die USA. Das wollte auch Chris Gueffroy.

Im Prozess gegen den Kompaniechef, der dem Todesschützen Chris Gueffroys den Schießbefehl erteilt hatte, tritt Sven Hüber im Jahr 2000 als Zeuge auf und versucht, seinen alten Kameraden zu entlasten. Zwei weitere Zeugen bestätigen Hübers Aussage: Gerd Mögel war als Ausbildungs-Chef stellvertretender Kommandeur des 33er Regiments, Norbert Schulze war Operativer Diensthabender, als Chris Gueffroy erschossen wurde.

"Die Kammer ist zu der Überzeugung gekommen, dass Hüber, Norbert Schulze und Mögel sich untereinander abgesprochen hatten und dem Angeklagten aus falsch verstandener Kameradschaft jeweils durch eine ihm günstige Falschaussage eine Verurteilung ersparen wollten sowie dabei das Risiko unterschätzten, dass ihre Lügen entlarvt werden könnten." So steht es im Urteil. Und: Der Bundesgrenzschutz habe "bei der Übernahme dieser drei Grenztruppenoffiziere keine glückliche Hand bewiesen".

Eine deutsche Karriere und ein Justiz-Albtraum

Vom DDR-Politoffizier zum Bundespolizisten: Anhaltende "Täterbegünstigung" wirft Ralph Giordano der deutschen Justiz vor.

Anhaltende "Täterbegünstigung" wirft Ralph Giordano der deutschen Justiz vor.

(Foto: Foto: dpa)

Gerd Mögel, 57 Jahre, Stasi-IM, ist Gruppenleiter der Bundespolizei auf dem Flughafen Berlin-Tegel, ebenso der 47-jährige Norbert Schulze. Dieser war stellvertretender Kompaniechef, als 1984 der Mauerflüchtling Michael Schmidt erschossen wurde.

Nach "sicherer Erinnerung" des Todesschützen war Norbert Schulze in der Tatnacht "Kommandeur Grenzsicherung" und hatte den Schießbefehl gegeben (was er bestreitet). Das Verfahren wegen Beihilfe zum Totschlag hat man 2002 als "Bagatellsache" eingestellt, "aus Opportunitätsgründen" (Annahme einer "geringen Schuld" und eines "fehlenden öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung").

Im Verfahren wegen Falschaussage vor Gericht und versuchter Strafvereitlung kann sich Sven Hüber herausreden; gegen Mögel und Schulze wird das Verfahren eingestellt nach Zahlung von je 500 Euro an die Bundespolizei-Stiftung. Vorsitzender der Stiftung: Sven Hüber.

An seinem imposanten Schreibtisch im Innenministerium fühlt sich der Hauptpersonalrats-Vorsitzende Hüber sicher: In der Berliner Zeitung fordert er 2004 die Entlassung des Gedenkstätten-Leiters "Stasi-Gefängnis Berlin Hohenschönhausen", Hubertus Knabe, weil dieser die Ansicht vertreten hat, 1945 habe in Ost-Deutschland eine Diktatur die andere abgelöst. "Schamesröte müsste ihm ins Gesicht steigen", schreibt der gelernte SED-Propagandist.

Als die Süddeutsche Zeitung im Herbst 2005 über das Verfahren Hüber gegen Siedler/Grafe berichtet, untersagt die Mauck-Kammer der SZ auf Antrag Hübers eine derartige Namensnennung und Abbildung sowie das Zitieren aus seiner Diplomarbeit - bei Androhung von bis zu 250.000 Euro Ordnungsgeld oder sechs Monaten Gefängnis.

Danach traut sich nur noch Renate Oschlies, in der Berliner Zeitung über die Verhandlung vom Dezember 2005 namentlich zu berichten. Hier erwirkt Sven Hüber eine Unterlassungsverpflichtung, wie zuvor schon gegen das Deutschland-Archiv und später gegen die Neue Zürcher Zeitung.

Beim ZDF (1,9 Milliarden Euro Einnahmen 2006) scheut man das Prozesskostenrisiko und stellt den Fall tatsächlich nur anonymisiert dar: "Frontal 21" berichtet "kritisch und unerschrocken" (Eigenwerbung) über einen "Rechtsstreit zwischen einem ehemaligen Politoffizier der Grenztruppen und einem Buchautor". Immerhin darf an dieser Stelle SZ-Redakteur Heribert Prantl die Gerichtsentscheidung gegen seine Zeitung mit dem Satz kritisieren: "Die Pressefreiheit wird stranguliert."

"Moralische Mitschuld"

Nachdem zehn Monate lang niemand erkennbar über das Buchverbots-Urteil berichtet hat, veröffentlicht im Dezember 2006 die "Internationale Gesellschaft für Menschenrechte" (IGfM) einen Appell unter dem Titel: "Eine Zensur findet statt - Angriff auf die Pressefreiheit": "Die Schlussfolgerungen aus diesem Urteil sind: Verantwortliche der SED-Diktatur, die in herausragenden Stellungen Teile eines kriminellen Systems waren, dürfen nur noch benannt werden, wenn sie juristisch verantwortlich zu machen sind.

Moralische Mitschuld darf nicht mehr benannt werden. Die Hintermänner der verurteilten Täter, die ideologischen Scharfmacher und ihre im vereinten Deutschland fortgesetzten Karrieren stehen außerhalb jeder Kritik. Wir meinen: Dieses Urteil darf nicht rechtskräftig werden. Darüber hinaus meinen wir: Der Politoffizier Sven Hüber darf nicht weiter in der Bundespolizei Karriere machen. Denn: 'Wer in einem solchen Staat, wo auch immer, dem Unrecht dient, macht sich mitschuldig' (Richter Föhrig 1996 in der Urteilsbegründung gegen die Grenztruppen-Führung der DDR)."

Zu den mehr als fünfzig Unterzeichnern des Appells gehören bekannte Autoren wie Walter Kempowski, Erich Loest und Freya Klier, der Filmemacher Heinrich Breloer und die Schauspielerin Angela Winkler, Wissenschaftler und Angehörige von Maueropfern, die Vorsitzenden Richter des Honecker-Prozesses, des Prozesses im Fall Gueffroy und des Grenztruppen-Prozesses sowie Christoph Schaefgen, früher als Generalstaatsanwalt Leiter der Ermittlungsbehörde zur Verfolgung von SED-Unrecht. Auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowie Bundestags-Vizepräsident Thierse protestieren schließlich gegen das Buchverbot.

Die kleine Südthüringer Zeitung - mit ihrem unerschrockenen Chefredakteur Berthold Dücker - druckt als einzige den Appell im Wortlaut; in mehreren großen Zeitungen wird er anonymisiert zitiert, auch im Spiegel und im "Deutschland-Radio". In der FAZ schreibt Regina Mönch Klartext; Sven Hüber erwirkt auch gegen diese Veröffentlichung eine einstweilige Verfügung, ebenso gegen die IGfM, die Robert-Havemann-Gesellschaft und mich wegen der Verbreitung des Appells. Die gleiche Kammer, die schon Buch- und Pressezensur ausgesprochen hat, verbietet nun also auch noch die Kritik daran, Androhung von Ordnungsgeld und Haft inklusive. Wie Moskau 1978, ein Alptraum, denke ich.

Eine deutsche Karriere und ein Justiz-Albtraum

Einige Unterzeichner des Appells verteidigen öffentlich ihre Unterschrift: Anhaltende "Täterbegünstigung" wirft Ralph Giordano der deutschen Justiz vor. Wolf Biermann erklärt, es scheine ihm, als ob sich die Demokratie mit derlei Verboten den eigenen Fuß abschneide, um besser laufen zu können. Im Deutschland-Radio sagt Lutz Rathenow, ohne Namensnennung "würden wir über Geschichte ohne Menschen reden".

"Sven Hüber hat sich ganz intensiv mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt", schreibt Josef Scheuring, der oberste Bundespolizeivertreter in der Gewerkschaft der Polizei, über seinen Stellvertreter an Ralph Giordano und andere Unterzeichner - unter dem offiziellen Briefkopf der GdP. Hüber bringe sich intensiv "in demokratische Prozesse in unserem Land ein". Er, Scheuring, habe ihm geraten, gegen die "tatsächlich falsche Aussage im Buch von Grafe" vorzugehen. Und das Landgericht habe ja nun "festgestellt, dass Sven Hüber absolut nichts mit dem Tötungsvorfall und auch absolut nichts mit den Tatbeteiligten zu tun hatte". Das stimmt zwar nicht, klingt aber entlastend.

"Ihre totale Reinwaschung von Sven Hüber ist empörend!", antwortet Ralph Giordano. Selbstverständlich sei der Politoffizier mitschuldig am Tode von Chris Gueffroy. Wie er es wagen könne, Hüber "einen Persilschein auszustellen", fragt der Holocaust-Überlebende Giordano den Gewerkschaftsfunktionär Scheuring.

Hüber gegen den Rest der Welt

Nachdem Sven Hüber seine Kritiker mit Hilfe des Berliner Landgerichts flächendeckend zum Schweigen gebracht hat, wagt das ARD-Magazin "Kontraste" im März 2007 einen Beitrag mit dem Titel: "Kein Name, kein Gesicht - warum die DDR-Geschichtsschreibung nicht von Gerichten zensiert werden darf". Autor Benedict Mülder lässt Hüber mit Gesicht und vollem Namen erscheinen.

Wenige Tage darauf macht das Berliner Kammergericht dem Zensur-Spuk ein Ende: Herr Hüber sei durch die Buch-Veröffentlichung "nicht aus der Anonymität hervorgezogen worden", er sei selber durch Fernsehauftritte und Vorträge ans Licht der Öffentlichkeit getreten, sagt der Vorsitzende Richter, Stefan Neuhaus, zu Beginn der Verhandlung. Die angegriffene Buchpassage sei richtig, "es sind wahre Tatsachen, die behauptet werden". Die dabei mitschwingende Kritik sei als Meinungsäußerung zulässig. "Was soll ich dazu sagen?", fragt Anwalt Eisenberg, diesmal so gar nicht rotzig, sondern geradezu unheimlich kleinlaut: "Ich verliere ja sowieso."

Die Hüber-Klagen gegen Siedler/Grafe und die SZ werden abgewiesen, die Kosten der Verfahren trägt der Kläger. Sven Hüber habe "als Angehöriger des Führungsstabs eines Grenzregiments das System der ,Grenzsicherung' gestützt und dazu beigetragen, dass es funktionierte", steht im Urteil. Er habe "an einer Indoktrination der Grenzsoldaten des Regiments mitgewirkt".

Und: "Die Presseberichte mögen für den Antragsteller lästig und unangenehm sein. Es ist nachvollziehbar, dass der Antragsteller gerade in seiner jetzigen Funktion als Vorsitzender des Hauptpersonalrates der Bundespolizei nicht an seine Tätigkeit als Offizier der Grenztruppen der DDR öffentlich erinnert werden möchte. Dennoch kann der Antragsteller unter Hinweis auf sein Persönlichkeitsrecht nicht ihm missliebige öffentliche Kritik unterbinden." Es gibt noch einen Richter in Berlin, denke ich.

Etwa 40.000 Euro Anwalts- und Gerichtskosten entstanden bisher in den Verfahren "Hüber gegen den Rest der Welt" für den Kläger. Die ersten Rechnungen hat die Gewerkschaft der Polizei bereits für ihn beglichen - regelwidrig, wie es scheint: Hübers Kampf für die Verheimlichung seiner Vergangenheit und gegen die Meinungsfreiheit ist ein "rein privatrechtlicher Rechtsstreit, eine Streitigkeit zwischen Privaten", wie Anwalt Eisenberg dem Gericht mitteilte.

Solche privaten Rechtsstreitigkeiten dürfen jedoch nach der GdP-Rechtsschutzordnung nicht mit Gewerkschaftsgeldern bezahlt werden. Die Gewährung von Rechtsschutz sei vertraulich, wehrte Hübers Genosse im GdP-Vorstand Josef Scheuring Nachfragen ab.

Hüber prozessiert ungeniert weiter gegen Siedler/Grafe, bis zum Bundesgerichtshof. Durch die "rufmörderische Berichterstattung" sorgt er sich, beim "beruflichen Fortkommen beeinträchtigt zu werden", denn "übel beleumundete Beschäftigte machen in der Regel keine berufliche Karriere mehr". Bislang hat Bundesinnenminister Schäuble, der sich regelmäßig mit Sven Hüber trifft, Kritiker zurückweisen lassen mit der Begründung, Hüber sei vor der Einstellung überprüft worden, und in seine "privaten Rechtsstreitigkeiten" sei das Ministerium nicht verwickelt.

Einige Bundespolizisten haben inzwischen offen gegen ihren obersten Personalvertreter protestiert. Der BGH soll ihm letztlich einen Persilschein ausstellen, dass er mit dem "tragischen Tod des Chris Gueffroy nie etwas zu tun gehabt" habe. "Ich bin ein rechtschaffener Mann, nicht vorbestraft und habe mir noch nie etwas Rechtswidriges zu Schulden kommen lassen", erklärte er dem Gericht eidesstattlich.

Die Karlsruher Richter lehnen Sven Hübers Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im September 2007 ab.

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