Süddeutsche Zeitung

Volkswirtschaft:Wehe, wenn China wankt

Die Mär vom bösen Giganten funktioniert nicht nur bei den Populisten. Aber die Welt sollte sich vorsehen: Wenn die Konjunkturstütze China bricht, wird der Schaden überall immens sein. Chinas Problem sind die Schulden, nicht seine industrielle Ambitionen.

Von Christoph Giesen

China, China, China: Kein Land treibt den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump so um wie die Volksrepublik. Alleine in der TV-Debatte erwähnte er China neun Mal. Die Führung in Peking manipuliere die Wechselkurse und locke amerikanische Unternehmen damit, Arbeitsplätze zu verlagern, ereiferte sich Trump. China der Buhmann der Weltwirtschaft?

Es ist ein China-Bild von vorgestern, das Trump wie auch viele andere Populisten zeichnen. Chinas Aufstieg ist nicht mehr das Problem. Die wahre Gefahr für die Weltwirtschaft wäre genau das Gegenteil: Chinas plötzlicher Abstieg.

Schon lange verbilligt Peking nicht mehr seine Währung künstlich, um die Exportwirtschaft anzukurbeln. Der Internationale Währungsfonds bescheinigte jüngst, dass Chinas Währung fair gehandelt wird. Auch die Arbeitsplatz-These ist eine Mär. Vor 15 Jahren, als die Volksrepublik der Welthandelsorganisation beitrat, fielen in der Tat Jobs in der amerikanischen Industrie weg. Inzwischen kämpft China selbst mit dem Sog der Globalisierung, Arbeitsplätze werden in Niedriglohnländer wie etwa Vietnam oder Kambodscha verlagert.

Trotzdem wächst die chinesische Wirtschaft noch immer um mehr als sechs Prozent. Bezogen auf die Wirtschaft des gesamten Planten ist die Volksrepublik somit für rund 40 Prozent des weltweiten Wachstums verantwortlich. Ein Ausfall Chinas würde die Vereinigten Staaten in eine Rezession treiben und Europa gleich mit.

Peking stützt die Weltkonjunktur. Nun sind Schulden das Problem

Zu stark sind die Unternehmen in den USA und der Europäischen Union mit China verwoben. Volkswagen zum Beispiel verkauft in der Volksrepublik jedes dritte Auto aus seiner Produktion. Und mancher Mittelständler in Deutschland verschifft gar die Hälfte seiner Jahreserzeugnisse nach China. Die chinesische Volkswirtschaft ist inzwischen größer als Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien zusammen. Es wird nur noch wenige Jahre dauern, dann ist China die größte Wirtschaftsnation der Welt - und nicht mehr die USA.

Gründe zur Besorgnis gibt es dennoch: Ein Großteil des chinesischen Wachstums wird durch Staatsausgaben erzielt. Eine Schnellbahntrasse hier, eine Autobahn dort. In fast jeder Provinzhauptstadt werden derzeit U-Bahn-Tunnel gegraben. Es sind die chinesischen Anleger, die das alles finanzieren und nicht, wie Trump behauptet, das "Sparschwein" Amerika.

In den vergangenen acht Jahren haben sich so die Schulden in China vervierfacht. Als 2008 die Olympischen Spiele in Peking eröffnet wurden, lag die Gesamtverschuldung noch bei etwa 145 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Acht Jahre später sind es mehr als 250 Prozent. Allerdings hat sich Chinas Wirtschaftsleistung seitdem mehr als verdoppelt. Ein überschuldetes China, das wäre wirklich ein Problem.

Gegen diesen Trend stemmt sich die chinesische Regierung und will einen Schlüssel zur Lösung der gefunden haben: Die Wirtschaft der Volksrepublik soll grüner und innovativer werden. Dabei geht es längst nicht mehr um Industriearbeitsplätze, um die Jobs am Band, die vor Jahren etwa aus den USA abgewandert sind. Sie kommen nicht mehr zurück, egal was Trump verspricht.

Heute geht es darum, dass Peking seinen Unternehmen dazu anhält, das angehäufte Geld strategisch einzusetzen und sich damit in Europa und den Vereinigten Staaten einzukaufen - wie zuletzt beim Augsburger Roboterhersteller Kuka. Viele weitere Übernahmen werden in den kommenden Jahren folgen, denn bislang haben die Regierungen des Westens keine Antwort parat, wie sie auf den ungezügelten Staatskapitalismus reagieren sollen. Wie so oft hinken sie China hinterher - allen voran Donald Trump.

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SZ vom 29.09.2016
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