Volksvertreter in Ägypten:Reparieren kommt vor regieren

Lesezeit: 3 min

Schlechte Aussichten für die Oppostion: Am Sonntag beginnt in Ägypten die Parlamentswahl. (Foto: Mohamed el-Shahed/AFP)

Was Ägypter von Abgeordneten erwarten, hat mit Demokratie wenig zu tun. Die Wähler sehen ihren Abgeordneten vor allem als Dienstleister.

Von Paul-Anton Krüger, Giza

Magdy Ayad hat recht konkrete Vorstellungen, was der Abgeordnete leisten soll, den der 54 Jahre alte Hilfsapotheker aus dem ägyptischen Gouvernorat Gizeh am Sonntag wählen wird. "Die Straßen sollen endlich sauber werden, der Müll soll verschwinden", sagt er. Und dass "Ägypten stabil wird und wir eine bessere Versorgung bekommen". Magdy Ayad, braunes Hemd und Jeans, ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder; der Sohn, 21, studiert noch. Dafür hat Ayad sein ganzes Leben gearbeitet. Auch seine Frau und die Kinder würden abstimmen gehen, sagt er. "Weil wir Ägypten lieben."

Aber wen er wählen wird, weiß er noch nicht, nur dass es keinesfalls die Islamisten sein werden - er ist koptischer Christ. Der Wahlkampf läuft eher schleppend; er kenne die Kandidaten noch nicht, sagt Magdy, habe aber gehört, dass es noch eine Versammlung von "Für die Liebe zu Ägypten" geben soll, einer Parteienallianz, die als von Präsident Abdel Fattah al-Sisi bevorzugt gilt. In Gizas Straßen, das die Ägypter zu Kairo rechnen, hängen Plakate, im Radio laufen Werbespots. Die Gespräche in Cafés drehen sich zwar irgendwann immer um Politik, aber kaum um die Wahlen.

Es ist in Ägypten weit verbreitet, dass die Wähler ihren Abgeordneten vor allem als Dienstleister sehen. Von ihm wird erwartet, dass er die Probleme der Menschen löst, sei es eine kaputte Straße oder die Abwasserleitung zu reparieren. Aber auch wenn jemand Arbeit sucht, ist es nicht ungewöhnlich, sich an den Volksvertreter zu wenden. Konkrete politische Vorstellungen knüpfen viele Bürger nicht an die Wahl. Fragt man Magdy Ayad, wie wichtig es für ihn sei, dass der Kandidat seinen verfassungsmäßigen Auftrag wahrnimmt, Regierung und Präsident zu kontrollieren, schaut er nur verwundert. Er finde, der Präsident solle die Minister und den Premier überwachen: "Wir vertrauen ihm."

Diese durchaus verbreitete Haltung spielt den alten Netzwerken aus Zeiten des gestürzten Diktators Hosni Mubarak in die Hände, in denen das Parlament nicht mehr als den demokratischen Schein wahren sollte. Man wählt oft genug den lokalen Unternehmer, den Grundbesitzer, der genug Geld und die Verbindungen hat. Der sicherte sich über das Mandat wiederum seine Pfründe und Interessen. Es war keine Seltenheit, dass so Familiendynastien entstanden, in denen das Mandat von Generation zu Generation quasi vererbt wird.

Für echte Demokratie noch nicht reif

Auch die Bindungskraft der Islamisten erklärte sich nicht nur aus ideologischer Nähe vieler religiös eingestellter Wähler, sondern auch aus ihren Wohlfahrtseinrichtungen, wie sie nicht nur die Muslimbrüder unterhielten, sondern bis heute auch die Nur-Partei. "Von einer demokratischen politischen Kultur kann man in Ägypten noch nicht sprechen", sagt Emad Gad, Sprecher des Wahlbündnisses "Für die Liebe zu Ägypten" und Generalsekretär der liberalen Partei der Freien Ägypter, die der Milliardär Naguib Sawiris gegründet hat. Die Demokratisierung der Gesellschaft sei auch "eine Frage der Bildung und des Lebensstandards", sagt er. "Es wäre schon großartig, wenn wir das in 20 Jahren erreichen." Leute wie er sehen allerdings im Sieg der Muslimbrüderr bei den ersten freien Wahlen den Beleg, dass die Ägypter für echte Demokratie noch nicht reif seien.

Parlamentswahlen in Ägypten
:Die Wahl, die keine ist

Die meisten Ägypter gehen wohl gar nicht zur Abstimmung - denn die Übermacht von Präsident Sisi bleibt so oder so. Die neue Volksvertretung wird absehbar zu zersplittert sein, um Paroli zu bieten.

Von Paul-Anton Krüger

Said Sobhi, 50, Beamter im Landwirtschaftsministerium gehört zu der Mehrheit der Ägypter, die nicht wählen wollen, zumindest nicht in der ersten Runde. Ägypten brauche ein Parlament, sagt er, aber "ein richtiges Parlament". Dessen Mitglieder müssten in der Lage sein, mit der Regierung Gesetze zu diskutieren. Stattdessen kandidierten in seinem Wahlkreis die Tochter eines Schulrektors und der Sohn eines Fabrikbesitzers. "Sollen wir denen das Land anvertrauen?", fragt er.

Außerdem befürchtet Sobhi, dass es wie zu Mubaraks Zeiten zu Stimmenkauf kommt. Damals habe man vorm Wahllokal die Hälfte eines Geldscheins und einen bereits ausgefüllten Wahlzettel bekommen; in der Wahlkabine tauschte man ihn gegen den nicht ausgefüllten Zettel, den man dann wieder ablieferte - um im Gegenzug die andere Hälfte der Banknote zu erhalten. "Ich werde mir das genau anschauen, vielleicht wähle ich dann in der zweiten Runde", sagt er.

© SZ vom 16.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: