Volkskongress:Wie China seine Probleme lösen will

Volkskongress: Die chinesische Führung beim Volkskongress in Peking.

Die chinesische Führung beim Volkskongress in Peking.

(Foto: AFP)
  • Der Nationale Volkskongress ist vorbei. Obwohl die Abgeordneten wenig Macht haben, zeigen die Beschlüsse den Kurs der Regierung für die Zukunft.
  • Die Restriktionen des Internets stoßen auf immer mehr Widerstand aus der Wirtschaft.
  • Die Beseitigung des Smogs über der Stadt bezeichnet Premier Li als "Prozess". Die Regierung will eine Kommission einrichten, die die Ursache für den Wintersmog finden soll.

Von Kai Strittmatter, Peking

Alles in Ordnung. Die knirschende Wirtschaft, der hartnäckige Smog, die heiklen Beziehungen zum feindseligen US-Präsidenten Donald Trump - Chinas Regierung hat alles im Griff. Den Eindruck versuchte ein demonstrativ optimistischer Premierminister Li Keqiang zum Ende der Tagung des Nationalen Volkskongresses in Peking zu verbreiten.

Chinas Wirtschaft werde zwar nur noch um 6,5 Prozent wachsen, einen Tick weniger als im vergangenen Jahr, aber weiterhin eine Lokomotive der Weltwirtschaft bleiben. Mit den USA werde eine Einigung über strittige Handelsfragen möglich sein, meinte Li, schließlich teile man strategische Interessen. "Wir wollen keinen Handelskrieg ausbrechen sehen", sagte Li. "Das würde unseren Handel nicht fairer machen."

Donald Trump hatte im Wahlkampf unter anderem Strafzölle von bis zu 45 Prozent gegenüber China angekündigt. Beim Volkskongress versprach der Premier eine "weitere Öffnung" Chinas zur Welt. Dabei stellten Beobachter in den vergangenen Jahren eher eine zunehmende Abschottung des Landes fest, nicht nur in politisch sensiblen Feldern wie dem Internet und den Universitäten, sondern auch gegenüber westlichen Wirtschaftsunternehmen.

Schulden, stockende Reformen

Kritiker warnen seit einiger Zeit vor strukturellen Probleme in Chinas Wirtschaft. Da sind zum Beispiel der wachsende Schuldenberg und die steckengebliebenen Reformen bei Chinas Staatsunternehmen. Premier Li sagt nun, seine Regierung sei sich "der Risiken voll bewusst und werde schnell und gezielt handeln." Allerdings steht China im Herbst der 19. Parteitag der Kommunistischen Partei bevor, das wichtigste politische Ereignis seit fünf Jahren. Parteichef Xi Jinping will dort seine Macht sichern und ausbauen. Bis dahin hat die KP als Losung vor allem "Stabilität" ausgegeben, mit dem Ergebnis, dass große Teile des Apparats im Moment in Lähmung verharren.

Der Nationale Volkskongress (NVK) ist Chinas Parlament, hat aber keine wirkliche Macht, sondern setzt vor allem Vorgaben der KP in Gesetze um. Die Debatten im NVK geben der Außenwelt jedoch einmal im Jahr die Möglichkeit, einen Blick zu erhaschen auf die Pläne von Partei und Regierung.

Das waren die wichtigsten Themen:

Militär

Der Volkskongress billigte die Steigerung des Militärbudgets um sieben Prozent. Das ist so wenig wie seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr. Damit verzichtet China fürs Erste auf ein Wettrüsten mit den USA - Präsident Donald Trump hat für dieses Jahr eine Steigerung des US-Militärhaushalts um zehn Prozent angekündigt. Die USA geben noch immer mehr als vier Mal so viel fürs Militär aus als China. China setzt allerdings die Modernisierung und den Umbau seiner Streitkräfte fort. Während bei den Landstreitkräften fast 300 000 Mann abgebaut werden, soll vor allem die Marine gestärkt werden. Hongkonger Medien meldeten diese Woche, China wolle die Zahl seiner Marineinfanteristen von 20 000 auf 100 000 verfünffachen. Das ist deshalb bedeutsam, weil Beobachter Konfliktpotenzial für die Zukunft vor allem im Ost- und im Südchinesischen Meer sehen, wo Chinas Territorialansprüche immer wieder für Streitereien mit den Nachbarstaaten und den USA sorgen.

Internet

Einer der überraschendsten Vorschläge der zurückliegenden knapp zwei Wochen kam von Luo Fuhe, Vizevorsitzender der beratenden Konsultativkonferenz. Er verlangte eine Lockerung der Zensur, die aus Chinas Internet zunehmend ein von der Welt abgeschottetes Intranet macht. Luo klagte in erstaunlich offenen Worten, die Zensur hemme zunehmend den wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt im Land. "Die Webseiten mancher ausländischen Universitäten brauchen manchmal eine halbe Stunde, bis sie sich öffnen."

Manche Forscher bräuchten selbst für gewöhnliche Recherchen eine Zensurumgehungs-Software. "Das ist nicht normal." Die Reaktion der Behörden: Pekings Zensoren verschickten landesweit ein Edikt, wonach jedweder Bericht über Luos Äußerungen zu löschen sei. Einem Bericht der Organisation Freedom House zufolge war im Jahr 2016 China der weltweit schlimmste Internetzensor, noch vor Syrien und Iran.

Rechtsstaatlichkeit

Ganz oben auf der Agenda stand die vergangenen Tage die Arbeit an einer Zivilgesetzgebung aus einem Guss. Am Mittwoch verabschiedete der NVK die Grundlinien dafür. "1,3 Milliarden Chinesen werden sich damit sicherer fühlen und mehr gleichberechtigte Chancen und Würde genießen", zitierte Xinhua einen Abgeordneten.

Besitzrechte und der Schutz von Senioren wird in den Grundlinien ebenso angesprochen wie der Schutz von "guten Samaritern", hilfsbereiten Bürgern, die in der Vergangenheit oft selbst vor Gericht landeten. Parteichef Xi Jinping verspricht seit seinem Amtsantritt einen Ausbau und eine Stärkung der Gesetzgebung. Kritiker sehen allerdings in der Praxis keine Stärkung der Bürgerrechte, sondern eine Tendenz dazu, Willkürmaßnahmen nun mit Gesetzen zu unterfüttern. Als am Sonntag Chinas Oberstes Gericht seinen Arbeitsbericht für das vergangene Jahr veröffentlichte, da führte es als seinen größten Erfolg die Inhaftierung von Bürgerrechtsanwälten und -aktivisten auf: "Wir haben Staatssicherheitsverbrechen scharf bestraft und Fälle von Subversion wie den von Zhou Shifeng abgeurteilt." Rechtsanwalt Zhou war einer der bekanntesten Bürgerrechtsanwälte Chinas, unter anderem verteidigte er die verhaftete Assistentin der Wochenzeitung Die Zeit, Zhang Miao. Für seine Arbeit wurde er 2016 zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Dass die neue Zivilgesetzgebung vor allem den Interessen der Partei zu dienen hat, wurde am Montag deutlich: Da fügten die Abgeordneten einen Paragrafen hinzu, der es strafbar machen soll, "den Namen, den Ruf und die Ehre" kommunistischer Helden und Märtyrer zu verleumden oder in Zweifel zu ziehen. Ein weiterer Schritt im Kampf der KP gegen jede kritische Aufarbeitung der Vergangenheit, die Partei nennt das "historischen Nihilismus".

Smog

Zu Beginn des Kongresses vor zehn Tagen hatte Li Keqiang versprochen, seine Regierung werden Chinas Himmel wieder blau machen - und tatsächlich strahlte der Himmel während der meisten Tage der NVK-Tagung in tiefstem Blau. Eine Überraschung war das nicht: Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Regierung immer just zu den großen Ereignissen, die für die Partei wichtig sind, in den Nachbarprovinzen Fabriken herunterfährt, um für die VIPs in Peking die Luft sauber zu halten. Die Pekinger sprachen nun vom "Kongressblau".

Ein chinesischer Reporter wagte nun bei Lis Pressekonferenz am Mittwoch die Frage, wie es denn komme, dass das Blau sich immer zu Großereignissen einstelle, aber nicht sonst. Li antwortete ausweichend, und meinte, die Säuberung der Luft sei "ein Prozess". Die Regierung wolle nun eine Kommission einrichten, um die Gründe für den Wintersmog herauszufinden. Dabei sind die eigentlich ziemlich klar: Veraltete Technologien, keine oder schlechte Filter, der Vorrang von Arbeitsplätzen und Wachstum gegenüber Umweltschutz, fehlende Überwachung und Bestrafung von Umweltsündern, und vor allem Chinas gewaltiger Appetit auf schmutzige Kohle.

Der Smog ist ein Dauerthema spätestens seit dem Jahr 2013, als Chinas Norden für Wochen unter einer Smogdecke verschwand. In der Folge gelobten Partei und Staat eine konzertierte Politik des Umweltschutzes. Unter Chinas Bürgern wachsen Zorn und Unmut darüber, dass trotz aller Versprechen der Führung im Alltag keinerlei Verbesserung zu spüren ist. In Städten wie Chengdu hatten sich diesen Winter Bürger zu Demonstrationen gegen die giftige Luft verabredet, viele wurden festgenommen.

Ebenfalls am Mittwoch veröffentlichten chinesische Wissenschaftler einen Bericht im British Medical Journal, wonach drei Millionen Menschenleben im Jahr gerettet werden könnten, wenn China die Feinstaubgrenzwerte der Weltgesundheitsorganisation WHO einhalten würde. Am Mittwoch, nach dem Ende des NVK, kletterten die Feinstaubwerte in Peking übrigens wieder auf das Dreifache der Tage zuvor.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: