Volkskongress tritt zusammen:In China droht der Knall

500 unangemeldete Proteste - am Tag: China wird sich beim Volkskongress wieder als friedvoller Vielvölkerstaat präsentieren, die Realität ist eine andere. Die Bevölkerung verliert das Vertrauen in die Regierung. Peking muss endlich lange geplante Reformen umsetzen, um die Wirtschaft am Brummen zu halten. An Ideen mangelt es nicht: China steht vor einer Richtungsentscheidung.

Christoph Giesen

An diesem Montag tritt Chinas Volkskongress zusammen und 3000 Delegierte aus allen Landesteilen werden nach Peking kommen. Im Staatsfernsehen wird es wieder viele bunte Trachten zu sehen geben. Uiguren, Mongolen, Tibeter - 56 Nationalitäten leben in China, die staatliche Propaganda wird ein Bild der Einigkeit zeichnen: China, der friedvolle Vielvölkerstaat.

Volkskongress tritt zusammen: Quo vadis, Peking? In China müssen dringend seit Jahren verschleppte Reformen angegangen werden.

Quo vadis, Peking? In China müssen dringend seit Jahren verschleppte Reformen angegangen werden.

(Foto: AP)

Nichts ist friedlich in China. In Sichuan verbrennen sich seit März 2011 Monat für Monat tibetische Mönche. Soldaten patrouillieren inzwischen mit Feuerlöschern und riegeln die Klöster weiträumig ab. In der muslimischen Provinz Xinjiang, im Westen Chinas, kommt es immer wieder zu blutigen Aufständen. Erst vergangene Woche starben in der Präfektur Kashgar 20 Menschen bei Zusammenstößen mit der Polizei.

Die Kommunistische Partei tut die Unruhen als separatistische Angriffe ab, die niedergeknüppelt werden müssen. Dabei finden längst überall im Land Demonstrationen statt, 180.000 unangemeldete Proteste im Jahr, fast 500 täglich. Die Ursachen sind vielfältig: Umweltverschmutzung, nicht ausgezahlte Löhne, Polizeigewalt oder Landenteignungen.

Ende Dezember protestierte ein ganzer Ort gegen die lokalen Kader. Die Bauern im südchinesischen Wukan besetzten die Verwaltungsgebäude und vertrieben die korrupten Beamten, die Ackerland an einen Immobilieninvestor verscherbelt hatten. Die Wut in Wukan war so groß, dass den Behörden nichts anderes übrig blieb, als einer Art freien Kommunalwahl an diesem Wochenende zuzustimmen.

Chinas Bevölkerung verliert zusehends das Vertrauen in die Regierung. Auch die Weltbank mahnt. Die Washingtoner Ökonomen legten eine Analyse der chinesischen Wirtschaft vor. Ihr Tenor lautet: Der Scheitelpunkt des Wachstums ist erreicht. China muss seine Wirtschaft umbauen, sie muss freier, grüner und kreativer werden. Die Korruption muss eingedämmt werden, das Land braucht freiere Medien, die über die schmutzigen Deals der Kader berichten.

An Ideen mangelt es eigentlich nicht. Im aktuellen Fünf-Jahres-Plan hat sich die Partei ein umfangreiches Reformprogramm verordnet. Systematisch damit begonnen hat man noch nicht. Zu wichtig sind Stabilität und Wachstum für die Pekinger Genossen. Schwächelt die Konjunktur, hat die Partei ein Legitimationsproblem. Statt zu reformieren, setzt die Führung um Parteichef Hu Jintao auf Altbewährtes.

Richtungsstreit in der Partei

In jüngerer Zeit wurden gleich drei Bürgerrechtler zu ungewöhnlich hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Der Schriftsteller Li Tie muss für zehn Jahre ins Gefängnis. Ein Volksgericht warf ihm vor, er habe versucht, die "Staatsgewalt zu untergraben". Li hatte 13 Essays verfasst, in denen er die in der chinesischen Verfassung garantierten Grundrechte einfordert. Ende Dezember wurden die Regimekritiker Chen Wei und Chen Xi zu neun und zehn Jahren Haft verurteilt. Und die Regierung hat drei strikte Mediengesetze erlassen.

Die rund 300 Millionen Nutzer des populären Kurznachrichtendienstes Weibo müssen sich mit ihrer Ausweisnummer registrieren, außerdem erteilten Pekings Zensoren den Chinesen Fernsehverbot. Pro Woche werden nur noch 38 Fernsehshows im staatlichen TV gezeigt: weniger Dating-Shows, weniger Reality-Formate, stattdessen mehr Nachrichten über die Erfolge der Partei. Seit Mitte Februar dürfen zudem kaum noch ausländische Fernsehserien gezeigt werden.

Innerhalb der Partei ist ein Richtungsstreit entbrannt. Die Genossen wissen, dass sie ihren Herrschaftsanspruch zum Großteil dem rasanten Wachstum verdanken. Uneins sind sie sich aber, wie es gelingen kann, die Wirtschaft am Brummen zu halten und sie nebenher radikal zu reformieren. Zwei gegensätzliche Modelle werden derzeit in China diskutiert. Der Economist hat die Debatte in einer markigen Überschrift zusammengefasst: Chongqing vs. Guangdong.

Der Parteichef der reichen Südprovinz Guangdong, Wang Yang und sein Kollege Bo Xilai aus Chongqing werben für völlig unterschiedliche Lösungsansätze. Bo Xilai setzt auf Propaganda. Er glorifiziert die Partei. Seine Millionenmetropole in Zentralchina lässt er rot beflaggen. Die Chongqinger müssen in Chören Lieder wie die alte Mao-Hymne "Der Osten ist rot" anstimmen.

Kontrahent Wang Yang argumentiert hingegen, dass Chinas Reformen sich auf die Gesellschaft ausweiten müssen. Er steht für eine schlanke Regierung. 1978 öffnete Deng Xiaoping Chinas Wirtschaft. Vorreiter war die an Hongkong grenzende Provinz Guangdong. Die Region ist seitdem dem Rest des Landes immer ein wenig voraus. In Guangdong erscheinen die freiesten Zeitungen des Landes, Guangdong ist die reichste Provinz der Volksrepublik und Guangdong war lange Zeit das ökonomische Labor Chinas. Reformen wurden hier getestet und später in den anderen Provinzen umgesetzt.

Im Oktober gibt Hu Jintao nach zehn Jahren die Parteiführung ab. Vize-Präsident Xi Jinping übernimmt. Er muss sich rasch an die Reformen machen, die Hu Jintao seit Jahren verschleppt hat. Folgt er nicht dem Vorbild Guangdongs und setzt weiter auf einen nationalistischen, Hymnen-schmetternden Staat, droht China der Knall.

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