Volkskammerwahl vor 20 Jahren:Blockflöten blasen SPD den Marsch

Vor 20 Jahren wurde zum ersten und letzten Mal die DDR-Volkskammer demokratisch gewählt. Der CDU gelang mit Hilfe von Helmut Kohl eine Sensation. Rückschau in Bildern .

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Volkskammer, Freie Wahlen, 18. März 1990, 20 Jahre

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Das Ende einer Epoche: Am 18. März 1990 wurde zum ersten Mal seit 40 Jahren das Parlament der DDR in einer freien, gleichen und geheimen Wahl bestimmt.

Wir zeigen die wichtigsten Akteure von damals und wie sie den Lauf der Geschichte mitbestimmt haben.

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Die wichtigsten Akteure waren natürlich die Wähler, die an diesem frühlingshaften Tag in Massen von ihrem neu erlangten Wahlrecht gebraucht machten. 93,4 Prozent der Wahlberechtigten gingen an die Urne - und sorgten sogleich für eine Überraschung. In den Meinungsumfragen lag die SPD noch Anfang Februar mit 54 Prozent der Stimmen weit in Führung, gefolgt von der PDS mit zwölf Prozent und der CDU mit elf Prozent.

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Auch noch zwei Wochen vor der Wahl galt die SPD als Favorit. Doch am 18. März stimmten 48 Prozent der Wahlberechtigten für die Parteien der "Allianz für Deutschland" mit Lothar de Maizière an der Spitze der größten Partei, der CDU. De Maizière formte anschließend und nach langwierigen Verhandlungen eine große Koalition zusammen mit der SPD und den Liberalen.

Er wurde am 12. April 1990 der erste und letzte frei gewählte DDR-Ministerpräsident. Später betonte er: Die Wahl sei auch eine Abstimmung über die Einheit gewesen.

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Die damals 25-jährige Studentin Petra Bläss war die Leiterin der Wahl. Um 2:17 Uhr morgens verkündete sie im Palast der Republik das vorläufige amtliche Endergebnis.

Für das Bündnis von Lothar de Maizière, die Parteien der Allianz für Deutschland, bestehend aus CDU, DSU und Demokratischem Aufbruch, hatten 48 Prozent gestimmt, nur 21,9 Prozent für die SPD, 16,4 Prozent für die PDS und 5,3 Prozent für den Bund Freier Demokraten. Das Bündnis 90 - die Vereinigung von Neuem Forum, Demokratie Jetzt und der Initiative für Frieden und Menschenrechte - musste sich mit nur 2,9 Prozent der Stimmen begnügen.

"Das war wie ein Schlag ins Gesicht, hammerhart", sagte Bläss später. Seit 1986 war sie Mitglied der SED, hatte die Partei im Januar 1990 verlassen und trat 1997 in die PDS ein. Von 1998 bis 2002 war sie Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.

(späteres Archivfoto)

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Das Ergebnis stand am Ende eines Turbo-Wahlkampfs: Eigentlich hätte der Urnengang erst am 6. Mai 1990 stattfinden sollen. Doch am 29. Januar 1990 entschied sich der damalige DDR-Ministerpräsident Hans Modrow für Neuwahlen. Nur so glaubte er, das Chaos in der DDR in den Griff bekommen zu können: Die Menschen flüchteten noch immer in Massen in den Westen. Die Marktwirtschaft drängte nach Osten, das Land war in Auflösung.

Spätestens seit Ende des Jahres 1989 gab es ein Machtvakuum: Die SED hatte abgewirtschaftet, verlässliche Strukturen waren nötig, denn die Regierung hatte keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Sie galt als Überbleibsel des alten Machtapparats. Modrow hatte Angst, dass ohne eine demokratisch legitimierte Regierung bald Anarchie ausbrechen könnte. Es mussten Wahlen her, so schnell wie möglich.

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Und so dauerte der Wahlkampf keine acht Wochen. Das war vor allem für die kleinen Parteien und die neu gegründeten Vereinigungen und DDR-eigenen Gruppen ein Problem. Sie konnten auf keinerlei Infrastruktur zurückgreifen.

Die großen Parteien CDU und SPD schickten dagegen aus dem Westen Geld und Wahlkampfhelfer, aus der Bundesrepublik wurde massiv in den Wahlkampf eingegriffen.

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Der Schriftsteller Michael Schneider schrieb in seinem Buch mit dem Titel Die abgetriebene Revolution: "Insgesamt wurden rund 40 Millionen DM für den parteipolitischen Werbefeldzug in der DDR verausgabt, davon ein beträchtlicher Teil aus Steuermitteln der Bundesbürger. 100.000 Schallplatten und Kassetten mit drei Reden Helmut Kohls wurden teils im Einzelversand nach "drüben" geschickt, teils bei Kohls Wahlkampfauftritten direkt unter seine Leipziger und Erfurter Fans verteilt. In Erfurt ...

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... beispielsweise haben hessische CDUler, die mit acht Omnibussen angekarrt wurden, in einer einzigen Nacht 80.000 Plakate geklebt."

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Die Sozialdemokratische Partei, die Anfang Oktober 1989 von 43 Dissidenten gegründet worden war, besaß ein bewährtes Programm und erhielt auch frühzeitig Unterstützung von ihrer Schwesterpartei, der mächtigen West-SPD. Ein gemeinsamer Ausschuss wurde eingerichtet, und eine ganze Reihe von SPD-Politikern, darunter auch der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt, reisten in die DDR, um ihre ostdeutschen Kollegen im Wahlkampf zu unterstützten.

Brandt wurde Ehrenvorsitzender der ostdeutschen Sozialdemokraten.

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Wahlkampfposter porträtierten ihn über seinem oft zitierten Slogan "Was zusammengehört, wächst zusammen". Die Ost-SPD ging zuversichtlich in die Wahl. Die meisten politischen Beobachter glaubten, dass sie überlegen gewinnen und die neue Regierung stellen würde.

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Ibrahim Böhme (rechts, zusammen mit Brandt), Spitzenkandidat der SPD, sah sich schon als zukünftiger Ministerpräsident und führte bereits politische Sondierungsgespräche mit dem damaligen sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse.

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Der große Vorsprung der SPD in den Umfragen vor der Wahl war vor allem auf ein Problem der CDU zurückzuführen. Ihre Mitglieder galten als "Blockflöten". Denn die Partei hatte vierzig Jahre lang als Blockpartei in der Nationalen Front mit der SED zusammengearbeitet und die Kommunisten unterstützt. Und selbst 1990 arbeitete die Ost-CDU noch aktiv in der Modrow-Regierung mit. Auch deshalb zögerte die westdeutsche CDU mit ihrer Unterstützung.

Im Bild: De Maizière auf einer Wahlkampfveranstaltung.

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Bundeskanzler Helmut Kohl bot Lothar de Maizière erst Anfang Februar seine Hilfe an. Zuvor hatte der Ostdeutsche vehement für ein Engagement der Westdeutschen geworben und auf die eigene Partei-Organisation hingewiesen, mit den funktionierenden Abteilungen in den Bezirken und eigenen Zeitungen.

Mit dem Demokratischen Aufbruch (DA) und der Deutschen Sozialen Union (DSU) gab es da bereits zwei weitere, eher konservative Gruppierungen, die als Bündnispartner in Frage kamen.

Am 5. Februar 1990 wurde dann die Allianz für Deutschland gegründet, einen Tag später kündigte Bundeskanzler Helmut Kohl eine schnelle Wirtschafts- und Währungsunion an. Nachdem der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel diese Ankündigung wenig später kritisierte, kam es zu einem Stimmungsumschwung in der DDR-Bevölkerung.

Als Kohl kurz danach zu seinem ersten Wahlkampfauftritt in der DDR erschien, erwarteten ihn in Erfurt mehr als 100.000 Menschen. In Cottbus bot sich ein ähnliches Bild. In Leipzig bejubelten Kohl sogar 300.000.

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Die Unterschiede der Parteien waren klar: Die SPD wollte eine "Einheit in Schritten" und mit Volksentscheid, die PDS war für eine "Einheit unter Vorbehalten". Den einfachsten und schnellsten Weg versprach die Allianz für Deutschland: die "Einheit durch Beitritt". Das gab den Ausschlag.

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Für Markus Meckel (links, zusammen mit Hans-Jochen Vogel), den letzten Außenminister der DDR und Ost-SPD-Mitbegründer, war der Sieg der Kohl-Allianz nur logisch: "Die CDU galt als Partei des Kapitals, und ..."

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"... wenn schon ein Systemwechsel in der DDR anstand, dann aber richtig", erklärte sich Meckel das Wahlverhalten seiner Mitbürger.

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Am härtesten traf das Wahlergebnis die Bürgerrechtler von Bündnis 90, die für den Fall der Mauer gekämpft hatten. Gerade einmal 2,9 Prozent der Stimmen gewinnen sie.

Im Bündnis 90 hatten sich die Initiative für Frieden und Menschenrechte (IFM) das Neue Forum und die Reformbewegung Demokratie Jetzt zu einem Wahlbündnis zusammengeschlossen.

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Das Bündnis hatten vor allem deshalb keine Chance, weil starke Partner im Westen fehlten, genauso wie eine funktionierende Parteistruktur, um einen Wahlkampf effektiv zu organisieren. Alle Bündnisse hatten sich aus Bürgerbewegungen heraus entwickelt, die auf Basisdemokratie als Regierungskonzept setzten. Doch die DDR-Bürger waren nach 40 Jahren Kommunismus nicht bereit, ein Experiment zu wagen. Sie vertrauten den etablierten Parteien.

Das musste einigermaßen betrübt auch Jens Reich, Spitzenkandidat von Bündnis 90, zur Kenntnis nehmen, der das Neue Forum mitgegründet hatte.

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Freude herrschte nach der Wahl dagegen bei der PDS, die aus der SED hervorgegangen war. Die Partei konnte immerhin noch 16,4 Prozent der Stimmen auf sich vereinen - was Hans Modrow und Gregor Gysi, als die ersten Wahlergebnisse bekannt waren, auf der PDS-Wahlparty sichtlich begeisterte.

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands hatte sich im Dezember 1989 in PDS - Partei des Demokratischen Sozialismus - umbenannt. Egon Krenz hatte nach andauernder Kritik alle Ämter niedergelegt, Gysi wurde zum neuen Vorsitzenden gewählt.

Zwar war die Zahl der Mitglieder der SED/PDS innerhalb weniger Monate von 2,4 Millionen auf 890.000 Ende Januar 1990 gesunken. Doch die Partei hatte den neu gebildeten Gruppierungen in Bezug auf Organisation, Infrastruktur und Erfahrung vieles voraus.

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Nach der Regierungsbildung folgte für die DDR-Politiker ein halbjähriger Crash-Kurs in Realpolitik, mit vielen turbulente Sitzungen.

Sabine Bergmann-Pohl (links, hier zusammen mit dem damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizäcker und mit Rita Süssmuth) wurde Präsidentin des DDR-Parlaments und damit gleichzeitig Staatsoberhaupt des sich auflösenden Staates.

Es gab keine Fraktionsdisziplin. Nichts war vorhersehbar. "Kein Wunder, dass manches etwas handgestrickt wirkte", schrieb Bergmann-Pohl zehn Jahre später.

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Innerhalb von sechs Monaten verabschiedete die Volkskammer 164 Gesetze und 93 Beschlüsse - sie führte die DDR vom Sozialismus in die Vereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland.

Am 23. August 1990 trat die DDR mit Wirkung zum 3. Oktober der Bundesrepublik bei - und die erste demokratisch gewählte Volkskammer der DDR war schon wieder Geschichte.

Text: segi Alle Bilder: SZ-Photo

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