Volksbühne:Tag eins

Der neue Intendant der Volksbühne hat am Sonntag seine Spielzeit begonnen. Zu früh für ein Urteil?

Von Andrian Kreye

Gegner des neuen Intendanten der Volksbühne Berlin, Chris Dercon, dürften sich von seinem Auftakt am Sonntag bestätigt sehen: Fünfzehntausend Besucher, zweihundert Tanzprofis, ein französischer Starchoreograf, zehn Stunden Programm auf dem Vorfeld des Tempelhofer Flughafens. Einen deutlicheren Bruch mit der Tradition des historischen Hauses hätten sich selbst Satiriker nicht ausdenken können.

Nun haben einige Berliner Dercon Vorwürfe, Hass und letzthin buchstäblich Fäkalien vor die Türe gekippt, bevor die Spielzeit überhaupt angefangen hatte. Das riecht nach Ideologie und Verweigerung. Das Theaterpublikum ist allerdings offener und geduldiger als die Theaterwelt selbst. In der Kulturpolitik sollte deswegen gelten, was in der Politik schon immer galt. Bevor ein Urteil gefällt wird, kann sich der Neue erst einmal beweisen.

Schaut man sich die Entwicklung so einiger Theater nach ähnlich umkämpften Machtwechseln an, könnte man die Karenzzeit auf drei Spielzeiten anlegen. Auf die erste der Empörung folgt meist eine zweite der Einbrüche, weil Teile des Stammpublikums abwandern. Im dritten Semester normalisieren sich die Verhältnisse dann oft. Aber das sollen sie ja gerade nicht. Das wollen weder Dercon mit seiner Aufbruchstimmung noch seine Gegner mit ihrem Beharrungswillen. Also eben das Maß der Politik: 100 Tage. Am Sonntag war Tag eins.

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