Volksbühne:Berliner Flop-Liste

In nur sieben Monaten hat Chris Dercon das renommierte Haus in die Pleite gespielt; in München wird der Vertrag mit Matthias Lilienthal nicht verlängert. Das Scheitern der beiden ist katastrophal - und zeigt doch die Stärke des Theaters als Ort, mit dem sich eine Stadt identifiziert.

Von Christine Dössel

Nach nur sieben Monaten im Amt muss Chris Dercon als Intendant der Berliner Volksbühne aufgeben. Das Haus ist pleite und leer gespielt - ein kulturpolitisches Desaster. Da wurde ein Theater sehenden Auges gegen die Wand gefahren. Nicht irgendein Theater, sondern eines der bedeutendsten und geschichtsträchtigsten des Landes.

Ein Haus, das Kultstatus und internationale Strahlkraft hatte - und das gerade auch deshalb als "Brand" interessant war für den Global Player Chris Dercon. Stadttheater sind Orte, an denen sich eine Gesellschaft über sich selbst verständigt. Orte, mit denen sich eine Stadt identifiziert. Man sollte das nicht unterschätzen. Theater gegen das Publikum zu machen, kann schnell dazu führen, dass man es ohne Publikum macht.

Dem Museumsmann Dercon ist das passiert. Er trat mit nonchalantem Alleskönner- und Allesvernetzer-Gestus auf. Die Berliner Kulturpolitiker versprachen sich davon internationalen Event-Glamour für ihre arme sexy Hauptstadt. Der vormalige Kulturstaatssekretär Tim Renner und der Regierende Bürgermeister Michael Müller, beide SPD, sind verantwortlich für die jetzige Volksbühnenmisere, die auf der Berliner Flop-Liste gleich nach dem BER-Flughafen-Fiasko kommt. Die Blauäugigkeit, mit der beide Seiten - auch die Kulturbehörde - hofften, das werde schon irgendwie hinhauen, auch finanziell, ist der Wahnsinn. Allein die Finanzplanung für den Spielort Tempelhof war pure Schönrechnerei.

Fast gleichzeitig mit Dercon in Berlin ist in München an den Kammerspielen der Intendant Matthias Lilienthal gescheitert. Zumindest kann man das so sehen, nachdem der Berliner angekündigt hat, seinen Vertrag nicht über 2020 hinaus zu verlängern. Statt sich kämpfend zur Wahl zu stellen, strickt der Rückzieher Lilienthal an seinem eigenen Mythos als CSU-Opfer. München wird dabei als zu konservativ für Experimente hingestellt. Und alle, die die Kammerspiele für ihren Qualitäts- und Publikumsverlust kritisieren, gelten jetzt plötzlich als CSU. Im Gegensatz zu Dercon ist Lilienthal ein Theaterprofi. Allerdings einer, dem Sozialarbeit lieber ist als Kunst. Ähnlich wie Dercon schwebt ihm eine international bespielte Plattform für Performances, Gastspiele, Hybridformen vor. Und weil man dafür kein Stadttheater mit Ensemble- und Repertoirebetrieb braucht, werden dessen Strukturen entsprechend ab- oder umgebaut. In beiden Fällen, an der Volksbühne wie an den Kammerspielen, hat sich das gerächt. Nicht, weil das Publikum in Berlin oder München sich gegen Öffnung, Diversifizierung und Internationalisierung sträuben würde. Sondern weil beide, Dercon wie Lilienthal, auf ihre je eigene Weise Fehler gemacht haben. Dazu gehört das fehlende Gespür für die Geschichte und die Räume ihrer Häuser ebenso wie die Missachtung des bisherigen Publikums. Dass beide Versuche gescheitert sind, ist keine Krise des Stadttheaters und kein Beweis für seine Unbeweglichkeit. Es zeigt vielmehr seine Stärke. Deshalb darf das jetzt kein Rollback bedeuten. Dass nun einige jubeln, die am liebsten das gute alte Sprechtheater à la Dieter Dorn zurück hätten, ist ein fataler Nebeneffekt. Theater ist Gegenwart und muss auf Gegenwart reagieren. Es braucht Experimente, neue Formen und neue Publikumsschichten, sonst hat es keine Zukunft.

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