Süddeutsche Zeitung

Volksabstimmung:Lernen von den Schweizern

Die ausländerfeindliche SVP-Initiative ist gescheitert. Das zeigt: Es lohnt sich zu argumentieren.

Kommentar von Charlotte Theile, Zürich

Die Wahllokale sind erst eine Viertelstunde lang geschlossen, da geht die erste Welle der Euphorie durch das Land. Die Durchsetzungsinitiative, ein Vorstoß der Schweizerischen Volkspartei (SVP), ist abgelehnt worden. Nur etwa 40 Prozent der Schweizer haben nach Hochrechnungen für die Initiative der Rechtspopulisten votiert.

Das, was in den vergangenen Wochen in der Schweiz passiert ist, ist tatsächlich eine kleine Sensation. Noch vor wenigen Wochen bekam der Vorschlag, Ausländer schon wegen Bagatelldelikten abschieben zu lassen, überall breite Zustimmung. Mehr als 60 Prozent der Schweizer planten Ende 2015 mit Ja zu stimmen.

Gefahr einer Zwei-Klassen-Justiz

Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass die SVP mit einer Initiative, die vor kriminellen Ausländern warnt, die Wähler mobilisieren kann: 2010 stimmten mehr als 52 Prozent der Schweizer für die sogenannte Ausschaffungsinitiative. Auch sie legte einen Katalog von Straftaten vor, der automatisch zur Abschiebung führen sollte. Nachdem das Parlament diese Initiative zwar umgesetzt, aber mit einer Härtefallregelung versehen hatte, legte die SVP nach.

Die Härtefallregelung verstoße gegen den Volkswillen, argumentierte die Partei, die Durchsetzungsinitiative sollte diese Klausel verhindern. Quasi durch die Hintertür schob die Partei noch einen zweiten Strafkatalog nach, darin viele Bagatelldelikte. Ausdrücklich waren auch diejenigen Ausländer gemeint, die in der Schweiz geboren sind. Eine Zwei-Klassen-Justiz wäre entstanden - wenn ein Schweizer und ein Ausländer gemeinsam ein Delikt begehen, könnten die Strafen damit weit auseinander liegen. Der Richter hätte daran nichts ändern können.

Um zu erkennen, wie weitreichend dieser Vorstoß ist, braucht es juristische Vorbildung, ein Verständnis für Gewaltenteilung und die Balance der unterschiedlichen staatlichen Kräfte. An diesem Punkt haben die Gegner der SVP in der Vergangenheit meist kapituliert. Mit abstrakten Paragrafen gegen eine Partei, die vor ausländischen Vergewaltigern und Mördern warnt? Vor dem Hintergrund der europäischen Flüchtlingskrise erschien das fast unmöglich. Noch im Januar sah es nach einem klaren Ja für die Durchsetzungsinitiative aus.

Plakate verglichen die Schweiz mit Nazi-Deutschland. Das zeigte Wirkung.

Es kam anders. Rechtsprofessoren, Künstler, Politiker haben in den vergangenen Wochen alles in die Waagschale geworfen, was einer Zivilgesellschaft zur Verfügung steht. Sie warnten vor Totalitarismus und Willkür, schalteten im ganzen Land Anzeigen und scheuten sich nicht, den Kampagnen-Profis der SVP ebenso plakative Aussagen entgegen zu halten. Vergleiche zum Deutschland der 1930er Jahre tauchten auf Plakaten auf, eines zeigte ein Hakenkreuz. Das zeigte Wirkung.

Die Diskussionen im Land drehten sich immer weniger um ausländische Vergewaltiger. Stattdessen stand der Rechtsstaat im Fokus. Den Gegnern der Initiative gelang es, Beispiele unter die Leute zu bringen. Bald war die Geschichte vom jugendlichen Apfeldieb ähnlich bekannt wie die Angst-Szenarien der SVP.

Dieser Wahlkampf hat über die Schweiz hinaus Bedeutung. In ganz Europa feiern Rechtspopulisten Erfolge, die SVP als stärkste Schweizer Partei gilt vielen als Vorbild. In den vergangenen Jahren gelang es der Partei, Wirtschaft und Politik vor sich her zu treiben, ausländerfeindliche Stimmung zu machen - und gleichzeitig bürgerlich-harmlos zu wirken. Grundsätzlichen Widerspruch hatte sie kaum zu befürchten. Diese Serie ist gebrochen. Die Schweizer haben den Angriff auf ihre demokratische Verfassung erkannt und sich konsequent zur Wehr gesetzt.

Das Signal, was von diesem Abstimmungstag ausgeht, ist deutlich: Es lohnt sich, zu argumentieren. Die Populisten haben kein Abonnement auf den Volkswillen.

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