Süddeutsche Zeitung

Meinung:Freizügigkeit, nein danke

Die Schweizer stimmen für eine Begrenzung der Zuwanderung in ihr Land. Nicht weil sie unbedingt fremdenfeindlich sind, sondern weil sie glauben, dass Wachstum mehr Nachteile produziert als Wohlstand. Das Nichtmitglied Schweiz hat nur artikuliert, was auch viele EU-Bürger umtreibt.

Ein Kommentar von Wolfgang Koydl, Zürich

Ließe man Niederländer, Deutsche oder Franzosen über die Zuwanderung abstimmen, fiele das Ergebnis wohl nicht viel anders aus als in der Schweiz. Denn auch in der EU spürt man die Risiken und Nebenwirkungen der Personenfreizügigkeit. Das ist kein Wunder auf einem Kontinent mit einem derart großen Wohlstandsgefälle wie in Europa.

Die Schweiz hat sich in dieser Frage in zwei Hälften gespalten. Doch auch wenn das Ergebnis denkbar knapp ausfiel - es ist ein Erfolg der Gegner der "Masseneinwanderung". In Brüssel und in anderen EU-Hauptstädten wird die eidgenössische Entscheidung nun Sprengkraft entwickeln. Von der Schweiz kann ein Signal ausgehen für die Union. Oder ein Fanal.

Bis zuletzt konnten es EU-Granden nicht lassen, sich in den Schweizer Wahlkampf einzumischen. Noch am Abstimmungssonntag drohte Parlamentspräsident Martin Schulz mit schlimmen Konsequenzen, falls das Begehren angenommen würde. Nur hat Angstmache bei Eidgenossen häufig den gegenteiligen Effekt. Zudem dokumentierte Schulz nur eines: Europa fürchtet sich vor einem Schweizer Ja mehr als die Eidgenossen selbst.

Kritik an der Freizügigkeit ist nicht automatisch Fremdenfeindlichkeit

Das Nichtmitglied Schweiz hat nur artikuliert, was auch viele EU-Mitglieder umtreibt. Die Schweizer haben die Pandora-Büchse geöffnet, aus der sich jetzt auch andere Gegner der Freizügigkeit bedienen werden. Für Brüssel reicht es nun nicht mehr, sich schmollend auf das hehre Prinzip Freizügigkeit zurückzuziehen und jede Kritik daran abzubürsten. Es gibt Probleme, und die Bürger wollen sie gelöst sehen.

Vor allem darf man Kritik an der Freizügigkeit nicht automatisch mit Fremdenfeindlichkeit gleichsetzen. Der Stuttgarter Gynäkologe mit seiner Praxis in St. Gallen ist nicht fremd, und auch nicht die Mailänder Bankkauffrau in Lugano. Die Zuwanderung wird eher als Symptom für ein allgemeines Unbehagen an einer Entwicklung gesehen, die außer Kontrolle zu geraten droht: ein grenzenloses Wachstum, das mehr Nachteile produziert als Wohlstand.

Die Sorge um den Arbeitsplatz dominiert

Sicher, die Ausländer in der Schweiz tragen zum Bruttosozialprodukt bei, doch konkret sieht der Schweizer Bürger nicht viel davon. Laut Statistik hat er ein paar Franken im Jahr mehr im Portemonnaie. Aber die erkauft er sich mit einem Verlust an Lebensqualität: Wohnungsnot, überfüllte Züge, Staus auf den Straßen. Und das sind Lappalien verglichen mit der Sorge um den Arbeitsplatz. Ausländische Arbeitnehmer drücken Löhne - weil die Unternehmen aus einem Reservoir von 500 Millionen EU-Bürgern schöpfen können.

Als Nutznießer der Freizügigkeit sah man wieder einmal die alten Verdächtigen: Manager, Abzocker, Bonus-Ritter. Es ist kein Wunder, dass Thomas Minder, der Vater der erfolgreichen Initiative gegen Manager-Boni, auch für diese Vorlage warb.

Schulz lobte auch die direkte Demokratie in der Schweiz als Vorbild für Europa. Vergleichbare Abstimmungen aber wären risikoreich. Denn das Unbehagen der Europäer dürfte sich nicht grundsätzlich von jenem der Eidgenossen unterscheiden.

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SZ vom 10.02.2014/uga
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