Es sollten eigentlich Tage guter Nachrichten für den Nahverkehr werden. Am Donnerstag verhandelten Emissäre von Bundes- und Landesregierungen darüber, wie die Deutschen mit dem Neun-Euro-Ticket, einer nie dagewesenen Rabattaktion, im Sommer in den Nahverkehr gelockt werden können. Busse und Bahnen sollen schließlich mit kräftigen Passagierzuwächsen helfen, die enormen Klimaprobleme des Landes zu lösen.
Doch echte Aufbruchstimmung mag sich derzeit in der von der Pandemie gebeutelten Branche nicht einstellen. Denn hinter den Kulissen ist in Deutschland unter Verkehrspolitikern heftiger Streit um die Finanzierung von Bussen und Bahnen ausgebrochen.
Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung streiten Bund und Länder mit harten Bandagen über drohende Finanzlücken im System. Die Länder fordern in den laufenden Verhandlungen, dass der Bund insgesamt 5,6 Milliarden Euro zur Stützung und Stärkung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) zahlt. Doch nach Angaben aus Verhandlungskreisen plant der Bund nun offenbar nur Ausgleichszahlungen von 3,7 Milliarden Euro fest ein.
Damit allerdings könnte sich die pandemiebedingt angespannte Finanzlage von Verkehrsbetrieben, die ihr Geschäft eigentlich ausbauen sollen, in der nächsten Zeit noch verschärfen. Zwar will der Bund die Gesamtkosten des Neun-Euro-Tickets bis zu 2,5 Milliarden Euro übernehmen. Dagegen will der Bund seinen Anteil am Corona-Rettungsschirm von geplanten 1,6 Milliarden auf 1,2 Milliarden Euro senken - unter Verweis auf die hohen Ausgaben für die Rabattaktion. Weitere, von den Ländern eigentlich erwartete Hilfen, etwa für höhere Energie- und Treibstoffkosten, seien nicht beziffert, heißt es in Verhandlungskreisen.
Wissing könne sich nicht bei Lindner durchsetzen, heißt es
Offenbar könne Wissing den Mehrbedarf nicht bei Finanzminister Lindner durchsetzen, sagt ein Insider. Damit allerdings drohten dem Nahverkehr in Deutschland noch größere Finanzprobleme als ohnehin schon, heißt es weiter. "Da bekommen Betriebe echte Existenzängste." Das Bundesverkehrsministerium äußerte sich zunächst nicht zu den Angaben.
Innerhalb der Ampel-Parteien löst Wissings harter Kurs bereits heftige Reaktionen aus. Baden-Württembergs Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) ist verärgert. "Der Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs ist ein zentraler Baustein, um die Klimaziele zu erreichen und damit die Folgen der Erderwärmung abzumildern", sagt Hermann. "Wer jetzt den Ausbau des öffentlichen Verkehrs durch restriktive Haushaltspolitik blockiert, der verhindert die Verkehrswende und damit einen effektiven Klimaschutz im Verkehr."
Es sei ihm "unbegreiflich", dass Wissing nicht für mehr Finanzmittel zum Ausbau des ÖPNV kämpfe. Ein ausreichend großer Rettungsschirm sei für die geplagten Verkehrsbetriebe lebenswichtig. Die sogenannten Regionalisierungsmittel müssten dringend erhöht werden, um das Angebot zu verbessern. Bleibe das aus, sei das auch ein "Bruch der Koalitionsvereinbarung der Ampel".
Die Diskussionen könnten sich in den nächsten Tagen noch verschärfen. Anfang Mai kommen Bund und Länder zur nächsten Verkehrsministerkonferenz zusammen. Ein Insider ist überzeugt: "Dann werden die Länder mit dem Bundesverkehrsminister sicher hart ins Gericht gehen."