Völkerrecht:Unsicheres Drittland

Völkerrecht: Weiter nach Westeuropa oder zurück in die Türkei? Flüchtlinge im Lager Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze.

Weiter nach Westeuropa oder zurück in die Türkei? Flüchtlinge im Lager Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze.

(Foto: Daniel Mihailescu/AFP)

Die EU und die Türkei verhandeln über ein Abkommen in der Flüchtlingsfrage. Juristen und Menschenrechtler zweifeln an der Legalität dieses Plans. Sie fürchten, so werde das Recht auf Asyl untergraben.

Von Stefan Ulrich

Die Bundesregierung und die EU-Kommission hoffen darauf, beim EU-Gipfeltreffen an diesem Donnerstag und Freitag ein Abkommen mit der Türkei zu schließen, um der Flüchtlingskrise Herr zu werden. Ein Kernstück des Aktionsplans ist es, Flüchtlinge, die über die Türkei nach Griechenland kommen, in die Türkei zurückzuschicken. Juristen und Menschenrechtler bezweifeln aber, dass ein solches Vorgehen rechtmäßig ist. Nils Muiznieks, der Menschenrechtskommissar des Europarats, warnt davor, "das fundamentale Menschenrecht des Einzelnen, Asyl zu suchen und zu finden", zu untergraben.

Völker- und europarechtlich wird das Asylrecht in etlichen Normen garantiert. So steht in der 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: "Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen." Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 sowie ein Zusatzprotokoll von 1967 verpflichten die knapp 150 Vertragsstaaten unter anderem dazu, Flüchtlingen ein Aufenthaltsrecht zu geben. Flüchtlinge haben zwar kein Recht auf Asyl in einem ganz bestimmten Wunschland. Sie dürfen aber weder an der Grenze zurückgewiesen noch abgeschoben werden, wenn ihnen dann erneute Verfolgung droht. Juristen bezeichnen das als Refoulement-Verbot.

Die EU-Grundrechte-Charta schreibt das Asylrecht "nach Maßgabe des Genfer Abkommens" für die EU fest. Außerdem garantiert die Europäische Menschenrechtskonvention Schutz vor schweren Menschenrechtsverletzungen. Schutzsuchende haben das Recht, dass ihre Anträge individuell geprüft werden und dass sie eine Ablehnung anfechten können.

All diese - und weitere - Vorschriften, enthalten also mehrere Grundgedanken. Erstens: Verfolgte genießen Asyl. Zweitens: Sie können sich ihr Asylland nicht aussuchen. Drittens: Zurückweisungen und Abschiebungen dürfen Schutzsuchende nicht erneut in Gefahr bringen.

An diesen Maßstäben ist ein mögliches Abkommen mit der Türkei zu messen. Das bedeutet: Syrer, Iraker oder Afghanen, die von der Türkei aus nach Griechenland gelangen, dürfen nicht sofort in die Türkei zurückgeschickt werden. Sie haben das Recht, zunächst in Griechenland einen Asylantrag zu stellen, damit die Behörden prüfen können, ob sie wirklich verfolgt sind und ob sie bei einer Rückführung in die Türkei sicher wären. Bei einer Ablehnung müsste auch das Rechtsschutzverfahren in Griechenland ablaufen. Derzeit ist Athen kaum in der Lage, solche Verfahren in angemessener Zeit zu organisieren. Die EU müsste das Land massiv unterstützen - und Griechenland müsste diese Hilfe auch annehmen.

Ankara erkennt die Genfer Flüchtlingskonvention bislang nur für Europäer an

Die EU-Kommission glaubt, dass das gelingt. Ihr Plan sieht außerdem vor, dass Griechenland - und andere EU-Staaten - die Türkei zu einem "sicheren Drittstaat" erklären, also zu einem Staat, in dem Schutzsuchenden keine Gefahr droht. Nur dann könnten die Flüchtlinge nach Ablauf ihres Verfahrens in Griechenland in die Türkei zurückgeschickt werden.

Laut dem EU-Recht darf ein Land aber nur dann als sicherer Drittstaat eingestuft werden, wenn dort die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und ein geregeltes Asylverfahren angewendet werden. "Diese Voraussetzungen erfüllt die Türkei eindeutig nicht", sagt der Asyl- und Menschenrechtsspezialist Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin. Die Türkei erkenne die Genfer Konvention nur für Flüchtlinge aus Europa an, also nicht etwa für Syrer, Iraker oder Afghanen. Diese hätten in der Türkei keinen Anspruch auf einen Schutzstatus nach der Konvention.

Zudem kritisieren Berichte von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch, die Türkei verstoße immer wieder gegen das Refoulement-Verbot, weil sie Syrer an der türkisch-syrischen Grenze zurückweise oder nach Syrien abschiebe. Der Jurist Cremer kommt daher zu dem Schluss, es sei "ein Ding der Unmöglichkeit", die Türkei zum sicheren Drittstaat zu erklären.

Um dieser Kritik zu entgehen, drängt die Europäische Union gerade die Türkei dazu, nichteuropäischen Flüchtlingen einen gleichwertigen Schutz wie nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu garantieren. Doch selbst wenn die Regierung in Ankara das jetzt in Brüssel versprechen sollte, bleibt fraglich, ob sie sich daran hält und nicht doch wieder Syrer an der Grenze abweist. Damit scheint derzeit nur eines sicher zu sein: Irgendwann wird sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit dem Flüchtlingsdeal zwischen EU und Türkei befassen müssen.

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