Süddeutsche Zeitung

Völkerrecht und Flüchtlingspolitik:Mit schweren Waffen gegen Schlauchboote

Halb verdurstete Menschen auf Schlauchbooten: Sieht so eine "Bedrohung für den Weltfrieden" aus? Die geplante Militärmission gegen Flüchtlingsströme auf dem Mittelmeer lässt die UN-Charta verblassen.

Von Ronen Steinke

Ein drastischeres Szenario als jenes, das die EU-Außenbeauftragte derzeit beschreibt, kann eine Politikerin kaum malen. Bedrohung des Weltfriedens, Gefahr für die internationale Sicherheit: Mit dieser eindringlichen Warnung trat Federica Mogherini kürzlich vor den Diplomaten im UN-Sicherheitsrat in New York auf. Ihr Appell: Um der Bedrohung Herr zu werden, müsse die Weltgemeinschaft zum völkerrechtlich Äußersten greifen, zu einem UN-Militärmandat, das staatliche Souveränität beiseite wischt.

Bedrohung des Weltfriedens? Wer Mogherini reden hörte, konnte glatt vergessen, um wen es vor allem geht: um unbewaffnete Zivilisten aus Afrika und Arabien, Jugendliche, Frauen, Schwangere, viele von ihnen kurz vor dem Verdursten, wenn sie vor Europas Küsten aus dem Mittelmeer gerettet werden, auf zusammengeklebten alten Großschlauchbooten oder rostigen Kähnen.

Die EU möchte militärisch intervenieren, um die Fluchtrouten in Libyen abzuschneiden. Bevor die gefährliche Reise über das Mittelmeer beginnt. Sie möchte Schlepperboote zerstören, bereits in den nordafrikanischen Küstengewässern des gescheiterten Staates von Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi. (Der lange gut davon leben konnte, dass er Flüchtlinge gewaltsam stoppte und den zahlungsfreudigen Europäern vom Hals hielt. Bis er 2011 stürzte.)

Ein UN-Mandat für eine solche militärische Intervention ist laut Kapitel sieben der UN-Charta aber nur möglich, wenn eine Gefahr für die internationale Sicherheit besteht. Und so ist in diesen Tagen allenthalben in diplomatischen Zirkeln davon die Rede, dass die nach Europa strebenden Elendsmigranten eine solche Gefahr seien. In der kommenden Woche wollen auch die EU-Außenminister über den Plan für eine Mittelmeer-Mission beraten.

Flüchtlinge als Friedensbedrohung: Es ist ein schleichender Prozess gewesen, bis die völkerrechtliche Diskussion so weit gekommen ist, sagt der in Hamburg lehrende Völkerrechtsprofessor Stefan Oeter. Seit mehr als 20 Jahren würden Migrationsbewegungen immer mehr zu einer "Bedrohung der internationalen Sicherheit" interpretiert, wenn auch unter wachsendem Protest von Menschenrechtlern und kleinen Ländern, die im UN-Sicherheitsrat mit wenig Einfluss ausgestattet sind.

Flüchtlingsströme können eine Region destabilisieren. Davon hat sich der UN-Sicherheitsrat 1991/92 überzeugen lassen, als es um den Irak und Somalia ging. Und er hat eine Argumentation geprägt, die bis heute gilt: Nicht die Flüchtlinge selbst sind die Gefahr. Sondern das Chaos, das ihre Ankunft auslösen kann.

Eine ähnliche Logik hat der UN-Sicherheitsrat zuletzt 2008 auch mit Blick auf die Piraten vor der Küste Somalias akzeptiert. Das bildet nun den Präzedenzfall für die Mittelmeer-Mission der EU. Zwar bedrohten Kriminelle, wie es Piraten sind, nicht den Weltfrieden, befand der Sicherheitsrat. Doch sie könnten Somalia weiter destabiliseren und dadurch indirekt dann doch den Weltfrieden (Resolution 1838).

"Diese rechtliche Begründung ist etwas vorgeschoben", kritisiert Oeters Kollege Stefan Talmon; der deutsch-britische Völkerrechtler lehrt an der Universität Bonn. Auf diese kleine juristische Verrenkung dürfte die EU jetzt aber wieder setzen. "Wenn Zehntausende Flüchtlinge angezogen würden, nach Libyen zu reisen, um über dieses Tor nach Europa zu gelangen, würde das Chaos dort noch gefährlicher werden", erklärt Talmon. In diesem Sinne argumentiert in diesen Tagen auch Mogherini: Viel ist die Rede davon, dass im Gefolge der Flüchtlinge auch Terroristen auf Reisen gehen würden.

Von der ursprünglichen Idee der UN-Charta, wonach Militärmissionen nur erlaubt sein sollen, um Kriege zu beenden, ist damit nicht mehr viel übrig. "Bedrohung des Weltfriedens" - diesen Begriff nutzen die Staaten inzwischen immer flexibler. Die Konturen dieses völkerrechtlichen Begriffs "sind inzwischen derart aufgeweicht, dass wir allmählich nicht mehr wissen, was keine Friedensbedrohung ist, solange es irgendwie grenzüberschreitende Migrationsbewegungen auslöst", kritisiert Völkerrechtler Oeter. Die im UN-Sicherheitsrat vertretenen Mächte gewönnen dadurch mehr Bewegungsspielraum. "Für den Rest der Welt aber bedeutet es eine zunehmende Rechtsunsicherheit."

Sollen die Verteidigungspolitiker der EU sich noch darum kümmern, von Libyen eine "Einladung" zu bekommen für ihre Marinemission im Mittelmeer? Nötig ist das nach dem Völkerrecht nicht, denn ein UN-Mandat würde die libysche Souveränität ohnehin aushebeln. Zudem wäre ungewiss, wer für Libyen sprechen sollte: die islamistische Regierung im Westen des Landes, die unter merkwürdigen Umständen die letzte Wahl ignoriert hat, oder diejenige im Osten an der Grenze zu Ägypten, die zwar Anerkennung im Ausland genießt, aber kaum echte Macht?

Dennoch, für die EU hätte eine solche Pro-forma-Einladung Vorteile, meint der Völkerrechtler Oeter. Es wäre "zumindest ein politisches Zeichen des Respekts vor dem Prinzip der Staatensouveränität, was insbesondere Russland und China sehr wichtig ist." Damit würde es diesen UN-Veto-Mächten erleichtert, dem Mittelmeer-Plan zuzustimmen.

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