Süddeutsche Zeitung

Völkermord:Die Welt hat aus Ruanda nichts gelernt

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Vor 25 Jahren wurde in Ruanda eine halbe Million Menschen ermordet. Die internationale Gemeinschaft sah weitgehend tatenlos zu. Würde sie heute anders reagieren? Die Antwort ist nicht ermutigend.

Kommentar von Anna Reuß

Vor 25 Jahren trafen zwei Raketen ein Flugzeug. In der Maschine saßen die Präsidenten von Ruanda und Burundi. Ihr Tod markiert den Beginn des Völkermordes in Ruanda, als Hutu-Milizen im Blutrausch mehr als eine halbe Million Tutsi massakrierten.

Das kleine afrikanische Land wurde in jenen hundert Tagen im Jahr 1994 zu einem Schlachthaus. Der Genozid wurde nicht etwa mit Chemiewaffen begangen, sondern mit Macheten und Pistolen. Nachbarn kämpften gegen Nachbarn, Familien gegen Familien. Der Völkermord war nur durch die staatlich organisierte Entmenschlichung der Tutsi-Minderheit möglich, so wurden zum Beispiel im Radio Vernichtungslisten verlesen.

Der Westen und die ganze Weltgemeinschaft ließen dies alles mehr oder weniger tatenlos geschehen. Das lag auch an unterschiedlichen Interessen der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. "Nie wieder", erklärte Kofi Annan, der damalige Generalsekretär. Doch sein Appell kam zu spät. In Ruanda versagte das Gewissen der UN und ihrer Mitgliedstaaten.

Einer der verhängnisvollsten Fehler war der Beschluss des Sicherheitsrates im Oktober 1993, nur eine kleine Friedensmission nach Ruanda zu entsenden und sie dort ohne Verstärkung zu belassen. Die UN-Hilfsmission, eingesetzt zur Überwachung des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie, war aufgrund ihres schwachen Mandats und ihrer geringen Kapazitäten nicht geeignet einzugreifen.

Berichte über anhaltende Menschenrechtsverletzungen in Ruanda fanden im Sicherheitsrat kaum Gehör. Die internationale Gemeinschaft versteckte sich hinter Euphemismen: Die amerikanische Regierung vermied den Begriff Völkermord und sprach lieber von "Chaos".

Erst ein Jahr zuvor waren bei einer humanitären Mission in Somalia 18 US-Soldaten getötet worden. Bilder ihrer geschändeten Leichen waren weltweit zu sehen gewesen. Die USA waren nicht bereit für eine weitere Intervention in Afrika. Frankreich stellte dem ruandischen Militär sogar Waffen und Soldaten. Erst 2010 räumte der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy schwere Fehler seines Landes ein.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg

Würden die UN heute anders reagieren? Die Antwort ist nicht ermutigend. Westliche Regierungen haben den zermürbenden Missionen in Afghanistan, Irak oder Libyen Tribut gezollt und sich aus zahlreichen schwelenden Konflikten lange herausgehalten, etwa in der Zentralafrikanischen Republik, wo sich muslimische Rebellen und christliche Milizen bekriegen, oder in Syrien. Die Wähler im eigenen Land danken es ihnen. Und draußen in der Welt wird weiter gestorben.

In Ruanda leben Tutsi und Hutu, Überlebende und frühere Mörder, heute Seite an Seite. Trotzdem bleibt Ruanda das große Fragezeichen hinter der neuen Doktrin des Westens, sich nicht einzumischen.

Symbol für das Versagen der Welt ist die Warnung des kanadischen Generalmajors Roméo Dallaire, des Befehlshaber der UN-Hilfsmission in Ruanda. Am 11. Januar 1994 - fast drei Monate vor Beginn des Völkermords - schickte er ein Telegramm an die UN in New York. Darin drängte er seine Vorgesetzten zum Handeln: "Peux ceux que veux." Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Leider gab es damals keinen Willen. 25 Jahre später hat sich daran wenig geändert.

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SZ vom 06.04.2019
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