Süddeutsche Zeitung

Versöhnung:Zeit der Schuld

Die Bundesregierung will 1,1 Milliarden Euro als "Geste der Anerkennung" an Namibia zahlen. Das klingt nach sehr viel Geld. Aber man sollte schon genau hinschauen.

Von Daniel Brössler, Berlin

Am Anfang hat Ruprecht Polenz erst einmal getan, was wohl jeder getan hätte. Er hat gefragt, was da auf ihn zukommt. Drei Verhandlungsrunden, gab Frank-Walter Steinmeier damals zur Antwort, würden es wohl werden. Das klang machbar. Obwohl Polenz es ja auch gleich wusste, dass die Aufgabe, die der damalige Außenminister ihm da antrug, alles andere als einfach werden würde. Es ging um dieses eine Wort, das im Leben und in der Politik das Schwierigste sein kann: Entschuldigung.

Fast sechs Jahre sollten vergehen, neun Verhandlungsrunden nötig werden, bis am Freitag Steinmeiers Nachfolger, Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD), diesen entscheidenden Satz verkünden konnte, auf den Polenz hingearbeitet hat. "Im Lichte der historischen und moralischen Verantwortung Deutschlands werden wir Namibia und die Nachkommen der Opfer um Vergebung bitten", lautet er. "Man kann nicht einfach nur um Entschuldigung bitten", sagt Polenz an diesem Tag. Es müsse eben auch die Frage beantwortet werden: "Was folgt daraus?"

Über viele Jahre hinweg war der heute 75-Jährige ein prägender Außenpolitiker der CDU. Von 2005 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag 2013 war er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Sein besonderes Interesse galt in dieser Zeit nicht zuletzt dem Osten. Die Aussöhnung mit Polen beschäftigte ihn, auch das Verhältnis zu Russland. Im Ruhestand übernahm Polenz den Vorsitz der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO). Afrika - das war bis 2015 eher nicht sein großes Thema. Über die deutsche Kolonialzeit ist ihm bis heute eine Lektion aus dem Geschichtsunterricht in Tauberbischofsheim in Erinnerung. In den frühen 60er-Jahren war das. "Deutschland hat seine Kolonien 1918 verloren", sagte der Lehrer damals, "deshalb ist das für Deutschland heute kein Problem."

Seitdem Steinmeier ihn 2015 zum Verhandlungsführer in den Gesprächen mit Namibia gemacht hatte, ging es für Polenz darum, diesen lange sehr verbreiteten Irrtum zu korrigieren. Historikern zufolge kamen bei der Niederschlagung von Aufständen durch deutsche Truppen zwischen 1904 und 1908 etwa 65 000 von 80 000 Herero und mindestens 10 000 von 20 000 Nama ums Leben. Für Polenz war von Anfang an klar, dass diese Verbrechen der deutschen Kolonialmacht im heutigen Namibia als Völkermord eingestuft werden müssen.

Die Schwierigkeit war allerdings auch hier: Was folgt daraus? Im Auswärtigen Amt wurde zunächst einmal darauf verwiesen, dass die UN-Völkermordkonvention, das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, erst 1948 beschlossen wurde und 1951 in Kraft getreten ist. Vor allem aber ging es darum, Rechtsansprüche und eine Präzedenzwirkung zu verhindern. Deutschland wollte zwar auch finanzielle Verantwortung übernehmen, aber eben nicht im juristischen Sinne. Versuche, Deutschland auf dem Klageweg zu Entschädigungen zu zwingen, blieben erfolglos - belasteten allerdings die Verhandlungen, in denen es nie nur um Worte, sondern natürlich auch um Geld ging.

Als "Geste der Anerkennung" will Deutschland nun Zahlungen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro über einen Zeitraum von 30 Jahren leisten. Das entspricht fast der Summe, die Deutschland seit der Unabhängigkeit 1990 Namibia im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit hat zukommen lassen. Solche Mittel sollen weiterfließen. 50 Millionen Euro sind nun für einen Versöhnungsfonds gedacht, etwa für gemeinsame Schulprojekte. Deutschland will aber vor allem durch einen mit 1,05 Milliarden Euro ausgestatteten Fonds für Wiederaufbau und Entwicklung Projekte in Bereichen wie Landreform, Landwirtschaft, Wasserversorgung und Berufsbildung finanzieren und damit insbesondere Herero und Nama fördern.

Auch das aber gehört zu den schwierigen Aspekten der Entschuldigung. Während der Verhandlungen war nie nur die Höhe, sondern auch die Verwendung der Mittel umstritten. Verhandelt wurde überdies nur zwischen den Regierungen, was zu Unmut auf Seiten der Herero und Nama führte. Polenz verweist darauf, dass die Zusammensetzung der namibischen Delegation Sache der namibischen Regierung gewesen sei. Und darauf, dass der namibische Verhandlungsführer, der frühere Diplomat Zedekia Ngavirue, aus der Volksgruppe der Herero komme.

"Unser Ziel ist, einen gemeinsamen Weg zu echter Versöhnung zu finden."

Während seiner vier Reisen nach Namibia hat Polenz allerdings auch das Gespräch mit denen gesucht, die sich ausgeschlossen fühlten. Einmal kam es dabei auch zum Eklat, als Polenz die Gleichsetzung der Verbrechen an Herero und Nama mit dem Holocaust nicht stehen lassen wollte, woraufhin seine Gesprächspartner aus Protest auszogen. Es gebe auch nach dem Verhandlungsabschluss, sagt Polenz, "keine Garantie dafür, dass Versöhnungsprozesse stattfinden". Dennoch sei er zuversichtlich: "Ich glaube und hoffe, dass beim zweiten Durchlesen der Erklärung und beim genauen Hinschauen, was vereinbart worden ist, es auch gelingt, die Gruppen einzubeziehen, die dem Verhandlungsprozess skeptisch gegenüberstanden."

Der Wortlaut dieser mehrseitigen Erklärung wurde nicht gleich veröffentlicht, von Maas aber so zusammengefasst: "Unser Ziel war und ist, einen gemeinsamen Weg zu echter Versöhnung im Angedenken der Opfer zu finden." Dazu gehöre, die Ereignisse der deutschen Kolonialzeit im heutigen Namibia und insbesondere die Gräueltaten in der Zeit von 1904 bis 1908 "ohne Schonung und Beschönigung" zu benennen. "Wir werden diese Ereignisse jetzt auch offiziell als das bezeichnen, was sie aus heutiger Perspektive waren: ein Völkermord", kündigte er an.

Maas will möglichst bald nach Windhoek reisen, um die Erklärung zu unterzeichnen. Sie soll dann auch von beiden Parlamenten bestätigt werden. Die Bitte um Vergebung, mit deren Vorbereitung er Polenz einst beauftragt hatte, will Frank-Walter Steinmeier voraussichtlich als Bundespräsident nun selber aussprechen. Über eine Reise werde noch entschieden, teilte eine Sprecherin des Bundespräsidialamts mit. Gerechnet wird aber schon damit, dass Steinmeier noch in diesem Jahr nach Namibia aufbricht.

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