Völkermord an Armeniern:Paris und Ankara streiten über Genozid-Leugnung

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Paris will Leugnen von Völkermorden künftig mit einer Gefängnisstrafe ahnden. Das Vorhaben erzürnt die Türkei, die sich wegen des Armenier-Genozids an den Pranger gestellt sieht. Ankara droht nun, den Botschafter aus Paris zurückzurufen und französische Firmen von Aufträgen auszuschließen.

Stefan Ulrich, Paris

Die Türkei feuert aus allen Rohren, mit Worten versteht sich. Der Dachverband der türkischen Handelskammern befürchtet "große Schäden" im Wirtschaftsverkehr mit Frankreich. Außenminister Ahmet Davutoglu hält dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy wahltaktischen Opportunismus vor. Premier Tayyip Erdogan prophezeit "irreparable Folgen" und droht mit politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Präsident Abdullah Gül warnt Paris davor, die alte türkisch-französische Freundschaft aufzukündigen.

Türkische Gewerkschaftsmitglieder protestieren vor der französischen Botschaft in Ankara gegen den Pariser Gesetzentwurf.  (Foto: AFP)

Der Grund der Aufregung: Die Nationalversammlung in Paris berät am Donnerstag über einen Gesetzesvorschlag. Danach soll das Leugnen von Völkermorden mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Der Entwurf wird von allen Fraktionen unterstützt und dürfte im Abgeordnetenhaus wie im Senat angenommen werden - auch wenn einige Politiker daran zweifeln, ob es sinnvoll ist, historische Ereignisse per Gesetz zu bewerten. Die konservative Abgeordnete Valérie Boyer, die den Vorschlag eingebracht hat, sagt, er sei von den Menschenrechten inspiriert und wende sich gegen kein bestimmtes Land.

Die Türkei sieht das anders. Sie glaubt, nicht zu Unrecht, dass sich die Strafvorschrift in erster Linie auf die Massaker und Vertreibungen beziehe, die die Armenier während des Ersten Weltkrieges im damaligen Osmanischen Reich ertragen mussten. Nach türkischen Angaben starben dabei 300.000 bis 500.000 Armenier, nach armenischen Angaben waren es eineinhalb Millionen.

Armenien, viele andere Staaten, das EU-Parlament und die meisten Historiker stufen diese Verbrechen als Völkermord im Sinne der Genozid-Resolution der Vereinten Nationen ein. Sie sehen es als erwiesen an, dass die damalige jungtürkische Regierung die Armenier, die im Krieg als "Binnenfeinde" galten, vernichten wollte. Die Türkei behauptet dagegen, die Angehörigen der christlichen Minderheit seien wegen bürgerkriegsähnlicher Zustände, der allgemeinen Kriegswirren und militärisch notwendiger Umsiedlungen gestorben. Es habe zwar Massaker gegeben, aber keinen Völkermord.

Ankara reagiert aggressiv und verbittert, wenn andere Staaten den Genozid an den Armeniern anerkennen. Besonders das Verhältnis zu Frankreich wird dadurch seit langem belastet. 2001 stufte das französische Parlament die Verbrechen an den Armeniern bereits per Gesetz als Genozid ein. Die Türkei schloss daraufhin französische Firmen von Staatsaufträgen aus.

Seitdem gab es in Paris immer wieder Versuche, das Leugnen des Völkermordes unter Strafe zu stellen. Sarkozy versprach dies im Präsidentschaftswahlkampf 2007, um sich die Stimmen der 500.000 armenischstämmigen Franzosen zu sichern. Auf Wunsch des Präsidenten lehnte dann aber der Senat im Mai dieses Jahres ein solches Gesetz ab. Im Oktober wiederum forderte Sarkozy bei einem Besuch in Armenien die Türkei geradezu ultimativ auf, sich ihrer Geschichte zu stellen und den Völkermord anzuerkennen. Ankara reagierte gewohnt erbost. Nun scheint Sarkozy Wort halten und das Gesetz durchs Parlament bringen zu wollen.

Die Schaukelpolitik des Präsidenten hat ihre Gründe. Er möchte bei der Wahl 2012 erneut die armenischstämmigen Bürger für sich gewinnen. Zudem sind viele Franzosen gegen einen Beitritt der Türkei zur EU. Sie sollen von einer schärferen Gangart gegenüber Ankara beeindruckt werden. Außerdem möchte Sarkozy Erdogan in die Schranken weisen. Er hält ihn für einen autoritären und egozentrischen Störenfried in der internationalen Politik und für einen Konkurrenten im Ringen um Einfluss in Nordafrika. Andererseits braucht Frankreich die Türkei, etwa im Atomstreit mit Iran oder im Konflikt in Syrien. Zuletzt sah es daher nach Tauwetter zwischen beiden Staaten aus. Nun ist der Winter zurück.

"Wenn die französische Nationalversammlung sich für Geschichte interessiert, dann soll sie sich über die vergangenen Ereignisse in Afrika - in Ruanda und Algerien - beugen", poltert Erdogan. Die französische Kolonialgeschichte sei "schmutzig und blutig" gewesen. Außenminister Davutoglu doziert in der Zeitung Libération, Frankreich möge doch bitte die Meinungsfreiheit achten. "Sie ist die Garantin einer wirklichen Demokratie." Dabei lässt der Minister unerwähnt, dass in seinem Land Intellektuelle verfolgt wurden, die den Genozid an den Armeniern beim Namen nannten.

In türkischen Regierungskreisen wird nun gedroht, den Botschafter aus Paris zurückzurufen und französische Firmen erneut von Aufträgen auszuschließen. Das französische Außenministerium hält dagegen, die Türkei sei Mitglied der Welthandelsorganisation und durch Abkommen mit der Europäischen Union verbunden. Sie dürfe demnach keine französischen Unternehmen diskriminieren. Die Abgeordnete Boyer sagt, Ankara betreibe eine "archaische Droh-Diplomatie". Der Krieg der Worte geht weiter.

© SZ vom 22.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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