Völkermord an Armeniern im Ersten Weltkrieg:Erdoğan wirft Papst vor, "Unsinn" zu reden

  • Der türkische Präsident Erdoğan hat die Aussage von Papst Franziskus, es handle sich bei den Massenmorden an Armeniern während des Ersten Weltkriegs um einen Völkermord, als "Unsinn" bezeichnet. Der Papst solle "diesen Fehler" nicht wiederholen, warnte Erdoğan.
  • Die Türkei lehnt den Begriff "Völkermord" vehement ab. Sie beharrt darauf, dass in den Wirren des Krieges auf osmanischer wie auf armenischer Seite Hunderttausende Menschen ums Leben gekommen seien.
  • Am Mittwochabend stimmt das Europaparlament über eine Resolution ab, in der die Türkei aufgefordert wird, die Verfolgung von Armeniern im Osmanischen Reich vor hundert Jahren als "Völkermord" anzuerkennen.

Der Papst solle "diesen Fehler" nicht noch einmal machen, warnt Erdoğan

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat den Gebrauch des Wortes "Völkermord" durch Papst Franziskus im Zusammenhang mit den Massenmorden an Armeniern durch das Osmanische Reich als "Unsinn" bezeichnet. Das Oberhaupt der katholischen Kirche solle einen derartigen Fehler nicht noch einmal machen, drohte Erdoğan in einer Rede vor Geschäftsleuten in Ankara. In einer Messe am Sonntag hatte Franziskus als erster Papst direkt von Völkermord gesprochen, um das Vorgehen des Vorgängerstaates der Türkei im Jahr 1915 zu beschreiben.

"Verehrter Papst: Ich verurteile diesen Fehler und warne davor, ihn noch einmal zu begehen", sagte Erdoğan. "Wenn Politiker und religiöse Führer die Rolle von Historikern übernehmen, dann bekommen wir nicht die Wahrheit, sondern bloß einen Haufen Unsinn", erklärte Erdoğan in seiner ersten öffentlichen Reaktion nach den Äußerungen Franziskus'. Zugleich erneuerte er seine Aufforderung an Armenien, in einer gemeinsamen Historikerkommission die Archive auf die Klärung dieser Frage hin zu untersuchen.

Armenien sieht eine gezielte Vernichtungskampagne des Osmanischen Reiches

Armenien vertritt die Position, dass der Tod von bis zu 1,5 Millionen Landsleuten während des Ersten Weltkriegs Ergebnis einer gezielten Vernichtungskampagne des Osmanischen Reiches gewesen sei. Die Auffassung Armeniens teilen neben zahlreichen internationalen Historikern etwa zwanzig weitere Länder, darunter Frankreich, Italien und Russland. Die Türkei hingegen lehnt den Begriff "Völkermord" vehement ab. Sie beharrt darauf, dass in den Wirren des Ersten Weltkrieges auf beiden Seiten Hunderttausende Menschen ums Leben gekommen seien.

Franziskus' Vorstoß hatte für diplomatische Turbulenzen zwischen dem Vatikan und der Türkei sowie für bislang ungekannte verbale Attacken türkischer Behördenvertreter auf den Papst gesorgt. Der türkische EU-Minister Volkan Bozkır hatte am Montag gemutmaßt, der Papst habe die Äußerung aufgrund der starken armenischen Lobby in seinem Heimatland Argentinien getätigt. "In Argentinien ist die armenische Diaspora in Presse und Geschäftswelt dominierend", sagte Bozkır. Zudem habe Franziskus' Heimat nach dem Zweiten Weltkrieg "Nazis willkommen geheißen, die beim Holocaust an den Juden die Vorreiter waren".

Europaparlament stimmt über Resolution ab

Am Mittwochabend stimmt das Europaparlament über eine Resolution ab, in der die Türkei aufgefordert wird, die Verfolgung von Armeniern im Osmanischen Reich vor hundert Jahren als "Völkermord" anzuerkennen. Dies solle den Weg für eine "aufrichtige Aussöhnung zwischen dem türkischen und armenischen Volk" bereiten, hieß es in einem Resolutionsentwurf. Das Europaparlament bezeichnet die Ereignisse schon seit 1987 offiziell als "Völkermord".

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