VKontakte:Internetzensur in Russland: Gefängnisstrafe für ein Like

  • Das bloße Liken und Teilen von kritischen Inhalten führt in Russland immer häufiger zur Strafverfolgung.
  • Die Menschenrechtsorganisation Agora hat für das Jahr 2015 insgesamt 18 Fälle gezählt, in denen Gefängnisstrafen verhängt wurden.
  • Die Entwicklung zeigt, wie weit die Internetzensur in Russland mittlerweile reicht.

Von Antonie Rietzschel

Eine Hand umklammert eine Zahnpastatube, aus der eine weiß-blau-rote Paste heraus quillt. "Quetsch Russland aus dir heraus", so der passende Slogan. Eigentlich ein harmloses Bild. Andrei Bubejew hatte es auf VKontakte, dem russischen Facebook, geteilt. Gemeinsam mit einem Artikel unter der Überschrift "Die Krim gehört zur Ukraine". Jetzt steht er in Twer vor Gericht. In den Augen der Staatsanwaltschaft ist Bubejew ein Extremist.

Das Schicksal des Familienvaters ist kein Einzelfall. Das bloße Liken und Teilen von kritischen Inhalten führt in Russland immer häufiger zur Strafverfolgung. Die Ermittlungen richten sich nicht nur gegen Aktivisten, sondern auch gegen Menschen, die sich nicht groß für Politik interessieren. 2015 wurden 200 Fälle angezeigt. Der Menschenrechtsorganisation Agora zufolge wurden in mindestens 18 Fällen Gefängnisstrafen verhängt - angefangen bei ein paar Monaten bis hin zu fünf Jahren. Manche Gerichte sahen sogar in einem einfachen Like eine Straftat.

Auch 2016 ist es bereits zu mehreren Gerichtsprozessen und Urteilen gekommen:

  • Vor einer Woche wurde Alexander Semin zu anderthalb Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt. Semin gehört ein Fitness-Studio. In seiner Heimatstadt Tscherepowez ist er als Alleinunterhalter bekannt. Auf VKontakte hatte er unter Pseudonym zwei Bilder geteilt, berichten russische Medien. Auf einem soll zu sehen gewesen sein, wie Polizeikräfte der einst prorussischen Regierung in Kiew Anhänger der Maidan-Bewegung verprügeln. Das zweite zeigte offenbar eine Collage mit Wladimir Putin, der sich bewaffnet bereit macht, den Roten Platz zu beschießen.
  • Fast zeitgleich wurde das Urteil gegen Jekaterina Wologscheninowa verkündet: 320 Sozialstunden. Außerdem muss die 47-Jährige aus Jekaterinburg ihren Laptop sowie die Computermaus zerstören. Die allein erziehende Mutter hatte auf VKontakte Beiträge veröffentlicht, in denen sie sich kritisch über die Ukraine-Politik Russlands ausließ, darunter zwei Karikaturen. Laut Staatsanwaltschaft hatte sie damit zu Hass aufgerufen, gegen Mitglieder der russischen Regierung, gegen russische Freiwillige, die in der Ostukraine kämpfen - und gegen den Russen an sich.
  • Andrei Bubejew, der unter anderem das Bild mit der Zahnpastatube geteilt hatte, wird vorgeworfen, die territoriale Integrität Russlands in Frage zu stellen. Im August vergangenen Jahres wurde er bereits zu zehn Monaten in einer Strafkolonie wegen ähnlicher Vorwürfe verurteilt. Nun drohen ihm zusätzlich fünf Jahre Haft. "Mein Mann ist kein politischer Aktivist", sagt Bubejews Frau Anastasia im Gespräch mit dem russischen Fernsehsender Doschd. Im Hintergrund spielt ihr dreijähriger Sohn.

Aktivisten ziehen sich auf Facebook zurück

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International bemängeln schon seit längerem die Einschränkung der Meinungsfreiheit im Internet durch Moskau. Agora spricht sogar von einem "Triumph der Internetzensur". Im Juni 2014 hatte der russische Präsident Wladimir Putin ein Gesetz unterzeichnet, wonach es möglich ist, die Verbreitung von Extremismus im Internet unter Strafe zu stellen. Mehr als 10 000 Webseiten sind mittlerweile gesperrt, angeblich weil sie Propaganda für Pornografie oder Terrorismus verbreiten. Darunter befinden sich auch kremlkritische Seiten. Mittlerweile stehe jeder Beitrag, der sich gegen die Politik des Kreml ausspreche unter dem Verdacht, Extremismus zu befördern, bemängeln Juristen. "Vor zehn Jahren war das Internet in Russland ein freier Raum", sagt der Anwalt Roman Katschanow. "Mittlerweile muss man zweimal darüber nachdenken was man schreibt oder teilt."

Besonders aufmerksam beobachten die russischen Behörden die Aktivitäten bei VKontakte. Das soziale Netzwerk ist schon seit Längerem kein sicherer Ort mehr für politische Oppositionelle oder Aktivisten der Homosexuellen-Szene. Im April 2014 musste der VKontakte-Gründer Pawel Durow das Unternehmen verlassen. Zuvor hatte er sich geweigert, die Daten prowestlicher Aktivisten in der Ukraine an den russischen Geheimdienst weiterzugeben. Seitdem wird VKontakte von Vertrauten Putins geleitet.

Viele Aktivisten haben sich mittlerweile auf Facebook zurückgezogen, da sich das US-Unternehmen dem Einfluss des Kremls weitestgehend entzieht. Zwar sperrte Facebook Ende 2014 eine Gruppe, in der zu Kundgebungen zur Unterstützung des Oppositionellen Alexei Nawalni und dessen Bruder aufgerufen wurde. Doch das Unternehmen widersetzt sich aber weiter der Forderung, Nutzerdaten auf russischen Servern zu speichern.

Die Menschenrechtsorganisation Agora geht jedoch davon aus, dass sich die Situation in Zukunft zuspitzt: "Es ist möglich, dass russische Bürger nur eingeschränkt Zugang zu ausländischen Servern haben. Meinungsäußerungen werden zudem weiter strafrechtlich verfolgt."

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